Süddeutsche Zeitung

Fanberaterin Susanne Franke im Gespräch:"Das war versuchter Mord"

Überfälle auf Dortmunder Fans in Lwiw, Rassismus in beinahe jedem Stadion: Fan-Arbeiterin Susanne Franke sorgt sich um die radikale Fan-Szene in der Ukraine. 2012 finden ausgerechnet hier einige Spiele der Fußball-EM statt.

Christoph Ruf

Susanne Franke, 44, ist Vorsitzende der Schalker Faninitiative "Fan-Ini". Der Verband gründete sich 1992, als rassistische Gesänge im damaligen Parkstadion überhand nahmen, er hat beste Kontakte zu Fans in Osteuropa. Von der jüngsten Reise in die Ukraine brachte Franke beklemmende Eindrücke mit.

SZ: Frau Franke, als Borussia Dortmund im September in Lwiw spielte, wurden BVB-Fans überfallen, beim Spiel von Galatasaray Istanbul wurde ein rassistisches Transparent entrollt. Im September demonstrierten 1000 Ukrainer für ausländerfreie Fußballmannschaften. Viel Arbeit für die Fan-Initiativen.

Franke: Das stimmt leider, wobei es nicht überall in der Ukraine so übel zugeht wie in Lwiw. Rassistische Einstellungsmuster sind im Ostteil des Landes weniger stark ausgeprägt als im Westteil. Menschen mit dunklerer Hautfarbe leben aber fast überall in Angst vor Diskriminierung und Gewalt.

SZ: Und das äußert sich in besonderem Maße beim Fußball?

Franke: In jedem Stadion steht ein Block von gut 20 Hardcore-Nazis, oft mit entsprechenden Symbolen und Gesängen, ohne dass das jemanden stören würde. Dazu kommen die Mitläufer. Und dass man rassistische Äußerungen nicht dulden muss, ist auch bei der dortigen Polizei keine weit verbreitete Erkenntnis.

SZ: Woran liegt das?

Franke: Nicht zuletzt am Erbe des Sowjetsystems: Alles, was als links gilt, ist nachhaltig diskreditiert. Gegen Nazis zu sein, gilt seither als links. Leute wie wir von der Fan-Ini sind dort schnell die "Sowjetschlampen" - einfach, weil wir jede Form von Diskriminierung nicht normal finden. Deswegen sind die Nazis dort auch so tiefenentspannt - sie surfen auf einem Meer des Wohlwollens. Selbst bei einem von der Organisation Fare...

SZ: ...der Antirassismus-Organisation Footballfans against Racism in Europe...

Franke: ...unterstützten Turnier tauchen schon mal Nazis auf, denen keiner so richtig entgegentritt. Fare macht gute Arbeit, keine Frage. Der aus Westeuropa bekannte Ansatz, über rechtsextreme Symbole und Codes aufzuklären, greift dort aber nicht tief genug. Man muss in vielen Ländern Osteuropas vorher anfangen: beim Bewusstsein, dass eine Demokratie keine Diskriminierung verträgt, und dass es ohne Zivilcourage nicht geht.

SZ: Wie verhalten sich die Vereine?

Franke: Denen ist das völlig egal. Unsere Partner vor Ort bekamen zwar mal einen Gesprächstermin, aber bisher gibt es nur Lippenbekenntnisse. Vor allem, wenn Sie über solche Gewaltexzesse reden wollen, wie wir sie selbst beim Spiel Dynamo Kiew gegen den FC Dnipro gesehen und gefilmt haben.

SZ:  Exzesse?

Franke: Auf dem Film ist zu sehen, wie der offizielle Ordnerdienst ein paar Jugendliche aus dem Block holt und an finstere Gesellen in zivil übergibt. Danach wähnt man sich in einem indizierten Gewaltfilm. Das war versuchter Mord, ich hätte so etwas nicht für möglich gehalten. Diese Leute haben die Jugendlichen brutal vermöbelt. Als die längst bewegungslos am Boden lagen, wurde noch gezielt in die Nieren getreten und auf den Kopf geschlagen. Wir haben uns nur zitternd angeschaut: So einen Gewaltexzess haben wir noch nie gesehen. Und wir konnten in der Situation nichts tun.

SZ: Und der Verein reagiert nicht?

Franke: Man kommt nicht an ihn heran. Es mag blöd klingen, aber: Das ist eine Gesellschaft, in der es noch kein Konsens ist, dass man sich nicht auf die Fresse haut, wenn einem etwas nicht passt.

SZ: Gibt es Organisationen, an die man sich wenden kann?

Franke: Zum Beispiel das "Eastern European Development Institute", mit dem wir in Zukunft enger zusammen arbeiten wollen. Aber deren Einfluss ist begrenzt. Das liegt auch daran, dass die Ukrainer aus historischen Gründen kein allzu großes Vertrauen in Institutionen haben.

SZ: Das alles klingt nicht gut - auch nicht im Hinblick auf die EM 2012.

Franke: Ich glaube, da müssen sich die Uefa-Funktionäre keine Sorgen machen. Es wird saubere Spiele geben, und das wird ja auch weitgehend das einzige sein, was Europa an seinem Ostteil 2012 interessieren wird. Die Karten werden die reichen West-Touristen kriegen und die offiziellen Fanklubs vor Ort. Leute, die auf Kommando klatschen. Das haben sie jahrzehntelang geübt.

SZ: Auch hierzulande haben die Verbände jahrelang abgewiegelt. Ohne Fan-Initiativen hätte es sicher länger gedauert, bis der Alltagsrassismus in den Stadien thematisiert worden wäre. Kann das Versagen der Verbände und Vereine auch eine Chance sein?

Franke: Sofern die Zivilgesellschaft die Lücken füllt. Genau das ist der Ansatz vieler vernünftiger Leute in der Ukraine. Den Jugendlichen vorzuleben, dass es coolere Leute gibt als die Rechten. Echte Fans, die jedes zweite Stadion in Europa kennen und schon deswegen einen weiteren Horizont haben als die rechten Schläger. Die kennen doch bloß ihre drei Straßenzüge.

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Quelle:
SZ vom 06.11.2010/ebc
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