Fan-Gesänge:So viel mehr als "Olé olé" und "Schalalalala"

Glasgow Celtic v Dunfermline; Celtic

Tiefste schottische Poesie: Celtic Fans beim Spiel gegen Dunfermline.

(Foto: Getty Images)

Fußballfans sind verkappte Romantiker, ihre Lieder bleiben für immer. Eine absolut unvollständige Auswahl der lautesten, lustigsten und traurigsten Stadion-Choräle der Welt.

Von Thomas Hummel, Martin Schneider, Carsten Eberts, Jonas Beckenkamp und Sebastian Fischer

Die Seele jedes Fußballklubs klingt aus seinen Liedern. Wenn Menschen zusammenkommen und nicht singen, dann ist irgendetwas nicht in Ordnung. In der Kirche, beim Volksfest, im Stadion - wo keine Musik ist, ist es leer. Jede Arena ist zunächst mal ein Stahl-Glas-Betonklotz, ein Nicht-Ort wie ein Flughafen oder ein Parkhaus. Charakter bekommt jeder Ort und jedes Stadion erst durch die Menschen - und weil 50 000 nicht zusammen reden, schreiben oder malen können, müssen sie eben singen und hüpfen. Der Fußball hat über die Jahre sehr viele Lieder hervorgebracht, martialische, traurige, fröhliche, kitschige, lustige. Ein paar sind länger in Erinnerung geblieben. Eine Auswahl.

O San Lorenzo - Fans aus Buenos Aires

Jeder hiesige Fußballfan, ob aus Stuttgart, Sandhausen oder Schwabing, ist schon mal an einem Samstagabend nach Hause gekommen, heiser und zufrieden, und hat erzählt: "Mann, die Stimmung heute im Stadion, die war richtig gut." Jeder hiesige Fußballfan sollte sich ein bisschen schämen. Denn was er erlebt hat, war nichts im Vergleich mit der Stimmung in einem argentinischen Stadion.

Es ist nicht ganz unproblematisch, argentinische Ultras zu verklären. Viele sogenannte Barras Bravas (dt.: Wilde Horden) machen illegale Geschäfte, sind gewalttätig und werden durch korrupte Polizisten protegiert. Doch für sich genommen sind die Videos aus den Stadien in Buenos Aires einfach unglaublich. "Dicen que estamos todos de la cabeza", singen etwa die Fans des Erstligisten San Lorenzo: "Sie sagen, wir sind alle völlig verrückt." Ja, möchte man ihnen entgegen rufen, wenn man sieht, wie die riesige Tribüne unter ihren Sprüngen bebt: Ihr seid verrückt, verdammt noch mal! "Pero a San Lorenzo no le interesa", werden sie antworten. Es interessiert sie nicht. Wer diesen Fans mit trockenen Augen ohne Gänsehaut zusieht, der - um ausnahmsweise mal Rudi Völler zu zitieren - hat den Fußball nie geliebt. (sefi)

Fields of Athenry - Irische Fans bei der EM 2012

Es ist der Moment, in dem Tom Bartels schweigt. Was hätte er dazu auch sagen sollen. Irland spielt gegen Spanien im zweiten Gruppenspiel der EM 2012 und die Iren sind so hoffnungslos unterlegen, wie man gegen dieses Xavi-Iniesta-Spanien eben war. Es steht kurz vor Schluss 0:4, aber es hätte auch 0:8 stehen können. Normale Fans reagieren auf so eine Vorstellung mit Schweigen. Oder Pfeifen. In der 88. Minute fängt in irgendeiner Ecke des Stadions aber eine Gruppe an zu singen.

"Low lie the Fields of Athenry." Ein altes irisches Volkslied über eine Hungersnot. Das Lied wächst. Mehr Iren singen mit, kein Fanblock, sondern alle. Dieses stolze und traurige Lied wird immer lauter. Die Spanier dominieren auf dem Rasen, die Iren erschaffen in der Luft darüber etwas Größeres. "Damit haben uns die Iren gezeigt, worum es im Sport wirklich geht." Sagte nach dem Spiel Vicente del Bosque, Trainer des sportlich siegreichen Teams. (schm)

Italien singt und sieht Gott

Roma Roma Roma - Vereinshymne des AS Rom

Selbst Menschen, die häufig in ein Fußballstadion gehen, sind nicht davor gefeit, sich bisweilen mit offenem Mund und einem leichten Frösteln zu ertappen.

Bei einem Heimspiel des AS Rom kümmert man sich nicht um Nummern und Ränge. Jeder setzt sich irgendwo hin und am Ende schüttelt sich alles irgendwie zusammen. Wenn das Stadio Olimpico mal ausverkauft ist, kann das durchaus beschwerlich sein, doch genau in dem Moment, wo der Deutsche grimmig denkt, "so ein Mist, jetzt sollen sie sieben Stück kassieren", da beginnt Antonello Venditti zu singen.

Der Mann hat dem AS Rom eine Hymne geschrieben. Und man kann dem Klub nur gratulieren, so einen Liedermacher als Fan zu haben. "Roma, Roma, Roma" kommt so leicht und lässig daher wie eine Vespa-Fahrt mit seiner Geliebten durch die römische Nacht. "Gelb wie die Sonne, Rot wie mein Herz" - die "unico grande amore" eben. Bei mehr als 70 000 Sängern entsteht eine Feierlichkeit wie bei einer Prozession. Angeführt vom Stadtheiligen Francesco Totti. (hum)

Ich habe Maradona gesehen - Fans des SSC Neapel

Wenn Diego Maradona die Hand Gottes ist, dann ist dieses Kurvenlied der Soundtrack des Übersinnlichen. In Neapel verehren sie den Argentinier bis heute mit solcher Inbrunst, dass dieser Gesang für immer fortbestehen wird.

"Oh mamma mamma mamma, oh mamma mamma mamma, sai perché mi batte el corazon, ho visto Maradona, ho visto Maradona, ué mammà, innamorato so'!!!" Es geht um die Epiphanie des Fußballgottes, verkörpert natürlich von: Maradona. Und wer den in Napoli auf dem Zenit seiner Schaffenskraft spielen sah, der kriegt halt Herzklopfen. So heftiges Herzklopfen, dann man im Grunde nur noch nach der lieben Mamma schreien kann. Da spielt es auch keine Rolle, dass der Text zwischen Italienisch, Spanisch und Biblisch changiert. Wer Diego gesehen hat, der ist verliebt, basta! Noch mehr als er es je in eine Frau sein könnte. (jbe)

Schottische Seen und Kölner Kirchen

Loch Lomond - schottische Fans

Wer einmal in seinem Leben das Glück hat, auf dem Conic Hill zu stehen und bei strahlendem Sonnenschein auf den Loch Lomond zu sehen, der weiß, warum alle Schotten hierhin zurückkehren wollen. Entweder auf der "High Road" der Lebenden, oder auf der "Low Road", die all jene nehmen, die im Ausland umgekommen sind. Zu den "bonnie, bonnie banks O' Loch Lomond", den schönen, schönen Hängen am Rande des Sees, etwa eine Autostunde von Glasgow entfernt.

Das Lied "The Bonnie Banks o' Loch Lomond", aufgeschrieben irgendwann im 18. Jahrhundert von einem unbekannten Liedermacher, gehört zur Seele des Landes. Und die wird nach außen gestülpt, wenn in der Halbzeitpause der Länderspiele im Hampden Park gesungen wird. Da kommt dann viel zusammen. Stolz auf das Schottentum, Freude am Singen, Berauschen an der selbstgeschaffenen Stadionatmosphäre. Wenn 50 000 dieses melancholische, kraftvolle, hinreißende Lied singen, wundert man sich schon, warum die Gästemannschaften nicht aus purer Ergriffenheit freiwillig verlieren. (hum)

Mer stonn zo dir, FC Kölle - Kölner Fans im Dom

Karneval, eine Kneipe in Köln-Nippes. Menschen stehen dicht gedrängt an der Theke, unterhalten sich, singen, tanzen. Dann klingen die ersten Takte eines schottischen Volksliedes aus den Lautsprechern - und die Stimmung, eben noch fröhlich entspannt, changiert zwischen Ekstase und Andacht. Jetzt wird sich eingehakt und die Hymne gesungen. Jede Zeile. Von jedem.

"Mer stonn zo dir, FC Kölle", haben die Höhner auf die Melodie von "Loch Lomond" gedichtet, und damit die mit weitem Abstand schönste Vereinshymne eines deutschen Fußballvereins geschaffen. Zum Stadion in Müngersdorf lohnt sich eine frühe Anreise nicht nur wegen des katastrophalen Stadtverkehrs, sondern auch, um Tausende Fans ihre Schals schwingen zu sehen und singen zu hören. "E Jeföhl, dat verbingk", heißt es: Ein Gefühl, das verbindet. Natürlich ist das unheimlich schwülstig. Aber die Kölner nehmen die Liebe zu ihrem Verein sehr ernst, sie ist wichtiger als das Spiel. Deshalb wird die Hymne nicht nur im Stadion gesungen, sondern eben auch im Karneval. Und einmal im Jahr im Kölner Dom, begleitet von Orgelklängen. Fans im Trikot, Nonnen in Ordenstracht - der FC ist ein Gefühl, das verbindet. (sefi)

Humor aus dem Breisgau und von der Insel

Idrissou spielt Champions League - Fans des SC Freiburg

Die Geschichte dieses Liedes geht so: Mohammadou Idrissou ist Spieler des SC Freiburg und im Februar 2010 steckt der Klub mal wieder in akuter Abstiegsnot. Idrissou, so ist es überliefert, soll in der Kabine gesagt haben: "Ich habe eh keine Lust mehr, mit euch Absteigern zu spielen. Ich spiele nächstes Jahr in der Champions League." Idrissou dachte, er wechsele zum FC Schalke 04. Er ging dann aber nach Gladbach. Und die standen dann in der nächsten Saison - das Schicksal ist manchmal so - plötzlich hinter Freiburg. Auf einem Abstiegsplatz. Von den Freiburger Fans wurde der Kameruner schließlich mit folgendem, mittlerweile legendärem Fangesang begrüßt. (schm)

I just can't get enough - Celtic-Fans

"Das Tolle an den Celtic-Fans ist, dass sie den kompletten Text kennen - auch die Strophe und die Bridge." Das hat Andy Fletcher gesagt, das Mitglied der Band Depeche Mode, die 1981 mit "I just can't get enough" ihren ersten großen Hit hatte. Etwa seit 2009 intonieren die Fans von Celtic Glasgow das Lied auf den Tribünen, wenn es der Spielstand gut mit ihnen meint. Wobei, was heißt da intonieren: Es gewaltiger Chor schwillt schon während der Strophen heran. Dann der Refrain: "I just can't get enough, I just can't get enough." Gefolgt von: "Dip-dip-didipdip-dip-dip-dipdidip." Dazu hüpft die grüne Kurve, die Fans werfen ihre Arme abwechselnd in die Luft.

Das allein schafft ordentlich Gänsehaut. Besonders dem, der diese Geschichte kennt: Der Celtic-Fan Reamonn Gormley arbeitete an einer Schule für Kinder mit Down Syndrom und brachte den Kindern kurzerhand sein Lieblingslied bei. Als der 19-Jährige 2011 bei einem Raubüberfall starb, nahm seine Klasse das Lied mit verändertem Text als Video auf - und berührte damit Fans auf der ganzen Welt. Der Verein ließ das Lied anschließend als Charity-Single veröffentlichen. Es erreichte Platz 30 in den britischen Single-Charts. (ebc)

Ja, auch Illertissen kann es

Illertissen International - Stefan Dömsödi

Illertissen hat nicht international gespielt. Insofern basiert der Ruhm von Stefan Dömsödi auf einer Lüge. Es ist ein Spiel des FV gegen die SpVgg Greuther Fürth im DFB-Pokal. Im Illertissener Fanblock steht: Stefan Dömsödi, fast allein, unverzagt. Dem Magazin 11Freunde sagte er: "Ich bin der einzige aktive Fan des gesamten Vereins. Die Ausnahme bilden höchstens noch die Jugendspieler. Insofern habe ich keine andere Wahl, als es trotzdem durchzuziehen und meinen Verein so zu unterstützen, wie er es verdient." Recht hat er. In der Gruppe singen kann jeder. Und was das "international" betrifft, meinte er: Die bayerischen Schwaben aus Illertissen spielen normalerweise in der Regionalliga Bayern. Da sei der DFB-Pokal, zumal in Franken, sowas wie Ausland. (schm)

No one likes us, we don't care - Fans des FC Milwall

Das Stadionerlebnis in England ist ja längst nicht mehr das, was es mal war. Neulich in Liverpool war gegen Augsburg eine herzerschwerende Stille an der Anfield Road zu erleben. Klar, teure Tickets, Investoren, kaum Helden von der Insel - das verdirbt den Fans die Laune. Doch vereinzelt gibt es sie noch, die echten "football lads" auf den Rängen. Zwei Ligen tiefer zum Beispiel, bei den Härtesten der Harten vom FC Millwall.

"No one likes us, No one likes, No one likes us, we don't care, cause we are Millwall, super Millwall, we are Millwall from the den" grölen die Anhänger der "Lions". Das einzig wahre Londoner Derby ist schließlich nicht Spurs gegen Arsenal oder irgendein Kram aus besseren Gegenden, sondern Millwall gegen West Ham. Da, wo es "grimey" ist und die Menschen nicht viel mehr als Fußball haben. Als beide Klubs noch auf demselben Level spielten, gab es in East-London noch regelmäßig Haue. Und Fangesänge wie diesen, dem ein feiner Sinn für englische Ironie innewohnt. Wer würde sonst sein Stadion "The Den" nennen? Das "Loch". (jbe)

Spieler-Songs aus England

Einige Verfehlungen von Mario Balotelli inspirierten die Fans von ManCity 2011 dazu, ihrem damaligen Liebling ein eigenes Lied zu widmen. Darin bezeichneten sie ihn unter anderem als guten Darts-Spieler, nachdem Balotelli Nachwuchskicker des Klubs mit Dartpfeilen beworfen hatte. Außerdem wurde seine vermeintliche Grasallergie thematisiert wie auch die Tatsache, dass in seinem Wagen nach einem Autounfall eine erhebliche Menge Bargeld gefunden wurde. Über alldem steht jedoch seine sportliche Klasse: "When he plays, he´s fuckin class." Schon klar.

Ohnehin sind die Lieder der englischen Fans deutlich persönlicher als die Anfeuerungsrufe hierzulande. Neben Klassikern wie "He scores when he wants", bei dem vor die Zeile nur noch der Name des Torschützen einzusetzen ist, besingt man auf der Insel die Helden immer wieder mit eigenen Titeln. Steven Gerrard widmeten Fans des FC Liverpool eine wahre Hymne. Mesut Özil ist laut Fans des FC Arsenal besser als Zinédine Zidane.

Die Anhänger von City scheinen dabei eine besondere musikalische Begabung zu haben. Neben dem Balotelli-Song widmeten sie gleich mehrere Chants, wie es auf der Insel heißt, ihren Spielern Yaya und Kolo Touré. Dass diese nicht immer zu ernst gemeint sein müssen, zeigt das folgende Video. (steen)

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