Fan-Debatte im Fußball:"Die Stehplätze sind ein Heiligtum"

Im Fußball ist eine Fankultur-Debatte ausgebrochen. Während der DFB den 1. FC Köln hart bestraft, warnen Experten vor heftigen Sanktionen.

F. Heckenberger

Kevin Miles aus Newcastle wundert sich über die Deutschen. Der 49-Jährige arbeitet für die Football Supporter Federation (FSF), in der 142000 englische Fans organisiert sind. Die FSE koordiniert Fanprojekte, Kampagnen und eine Initiative mit dem Namen safe standing, sicheres Stehen. Miles und seine Mitarbeiter gehen damit gegen das Stehplatzverbot in den Stadien auf der Insel vor. "Wir würden gerne Fußballschauen wie in Deutschland", sagt Miles. "Jetzt diskutiert ausgerechnet Deutschland über ein Verbot der Stehplätze."

Seit 150 Fans am 26. Bundesliga-Spieltag den Rasen des Berliner Olympiastadions gestürmt haben, hat das Ansehen der Fankurven in Deutschland wieder einmal gelitten. Es ist eine Debatte in Gang, wie Gewalt in den Stadien zu verhindern ist. Eine der ersten Wortmeldungen kam von Rainer Wendt, dem Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft DPolG: Stehplätze müssten verschwinden. Wenig später zog die Zentrale Informationsstelle für Sporteinsätze (ZIS) nach. Dass das Olympiastadion neben der Arena in Leverkusen eines von zwei Stadien in der Bundesliga ist, in der es gar keine Stehplätze gibt, ging im Getöse der Diskussion unter.

Das Echo in der Fanszene auf die Forderungen ist enorm. "Die Stehplätze sind für viele Fans ein Heiligtum, ein Teil der deutschen Fußballkultur", sagt Volker Goll von der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) in Frankfurt und warnt davor, Stehränge als Sanktion für das Fehlverhalten einiger weniger komplett zu bestuhlen. "Das hätte eine Solidarisierungswelle zur Folge, nach dem Motto: Jetzt wollen die da oben uns bestrafen und die Stimmung kaputt machen."

Auf die Stehplätze der Bundesliga blicken nicht nur die Engländer neidvoll. Die Atmosphäre in deutschen Stadien ist in ganz Europa bekannt. Die Verkündung neuer Zuschauerrekorde in der Bundesliga hat fast schon Tradition. Bei 182.788 Stehplätzen gegenüber 665.375 Sitzmöglichkeiten in den 18 Erstliga-Spielstätten machen Stehränge mehr als ein Viertel aller Plätze aus. "Dort kommt die Stimmung her, dort treffen sich Rentner, Familienväter und die Fanklubs", sagt Goll. Die billigste Stehplatzkarte in der Münchner Arena kostet 15 Euro, einen Platz auf der Freiburger Südtribüne gibt es von zehn Euro an. In England dagegen sind die Ticketpreise seit der Einführung der Sitzplätze vor knapp 20 Jahren um bis zu 400 Prozent gestiegen.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und die DFL wissen um die Besonderheit der Fankurven, in denen Fußball eine Sache des Volkes ist. DFL-Präsident Reinhard Rauball sprach nach den Randalen in Berlin einmalig von den Stehplätzen als "Reliquien", was wie eine Welle durch die Internetforen rollte. Seitdem betonen die Verantwortlichen, wie wichtig ihnen die Stimmung und die stehenden Fans sind. Am Dienstag treffen sich Verband und DFL mit den Vereinsmanagern; am 23. April findet in Berlin ein Runder Tisch mit den Innenministern von Bund und Ländern zum Thema Gewalt statt. Auf der offiziellen Tagesordnung tauchen die Stehplätze nicht auf. Ein Teilnehmer sagt aber: "Ich bin mir sicher, dass darüber gesprochen wird."

Es sei nicht zu leugnen, dass die meisten "sicherheitsrelevanten Vorgänge" von den Stehplätzen ausgingen, sagt Helmut Spahn. Der Sicherheitschef des DFB hält ein generelles Verbot derzeit dennoch für eine falsche Maßnahme. "Für eine große Zahl der friedlichen Zuschauer sind diese Plätze eine Art letzte Bastion des Fan-Seins. Die wollen wir ihnen nicht nehmen." Dem Druck des Weltverbandes Fifa, nicht nur bei internationalen Spielen, sondern auch bei Ligapartien Bestuhlung anzuordnen, widersetzt sich Deutschland erfolgreich.

Als Sanktionsmittel wird das Verbot aber auch in der Liga bereits angewandt. Am Montag untersagte das DFB-Sportgericht den Fans des 1. FC Nürnberg bei den Partien in Freiburg und Hamburg den Zugang zu den Stehplätzen, weil Club-Anhänger vor knapp einem Monat in Bochum Pyrotechnik in der Kurve gezündet und neun Personen verletzt hatten. Das Urteil soll allen Fans ein Zeichen sein - nicht nur Randalierern. DFB und DFL wollen so eine Selbstreinigung der Szene in Gang setzen. "Die friedlichen Fans müssen auf die gewalttätigen Fans einwirken. Das ist einer der wichtigsten Mechanismen beim Vorgehen gegen Gewalt", sagt Spahn. "Jeder muss wissen: Wenn es zu weiteren Vorfällen kommt, dann werden auch die Stehplätze zum Thema."

Köln ohne Fans in Hoffenheim

Meldung der dpa: Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat auch im Fall von Zuschauerausschreitungen beim 1. FC Köln hart durchgegriffen. Die Kölner müssen ihr Bundesliga-Auswärtsspiel am 10. April bei 1899 Hoffenheim ohne eigene Fans bestreiten, wie das Sportgericht am Dienstag urteilte. Nach einer Mitteilung des DFB wurde der Verein zudem zu einer Geldstrafe in Höhe von 30.000 Euro verurteilt.

Damit ahndete das Gremium "unsportliches Verhalten seiner Anhänger in fünf Fällen". Die Steh- und Sitzplätze im Gästeblock der Rhein-Neckar-Arena von 1899 Hoffenheim haben in dieser Begegnung frei zu bleiben, hieß es. Außerdem muss der 1. FC Köln Schadenersatz in Höhe des zustehenden Kartenkontingents an den badischen Liga-Konkurrenten leisten. Der 1. FC Köln hat dem Urteil bereits zugestimmt, es ist damit rechtskräftig. "Wir haben diesem Urteil zugestimmt und haben damit das Worst-Case-Szenario eines Teil- oder Vollausschlusses unserer Fans bei Heimspielen vermieden", sagte FC-Manager Michael Meier.

In fünf Spielen wurden im Kölner Zuschauer-Block unter anderem pyrotechnische Gegenstände wie Knallkörper oder Bengalische Feuer gezündet, bemängelte das Sportgericht: In den Bundesliga-Begegnungen in Mönchengladbach (24. Oktober), bei Hertha BSC Berlin (8. November), in Bochum (28. November) und bei Bayer 04 Leverkusen (27. Februar) sowie im DFB-Pokal-Spiel am 10. Februar beim FC Augsburg.

Am Montag hatte der DFB bereits für ein Novum gesorgt und verfügt, dass an Fans des 1. FC Nürnberg bei zwei Auswärtspartien keine Stehplatztickets und nur personalisierte Sitzplatzkarten verkauft werden dürfen. Dies war die Strafe für die Gewaltausbrüche von "Club"-Fans während des Spiels am 27. Februar beim VfL Bochum. In Freiburg am 17. April und in Hamburg am 1. Mai müssen die Franken ohne die Unterstützung ihrer Anhänger auskommen.

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