Zur Absprunghocke werden Skispringer oft befragt, zur Telemark-Landung, und nicht selten auch zu den mitfliegenden Konkurrenten. Doch wenn Karl Geiger zuletzt im Zielraum vor den Mikrofonen stand, schlich sich häufig diese seltsame V-Frage in den Themenkatalog ein. So auch am Samstag in Val die Fiemme, nach einem seiner schönsten Triumphe dieses Winters. Was er denn also zu Vinzenz sage, sollte Karl Geiger wieder einmal erklären: zu Vinzenz Geiger, seinem Namenvetter. Da war sie wieder, die V-Frage, und Karl Geiger lächelte so freundlich wie immer. "Das ist schon cool", sagte er dann.
Cool war es, aber auch ein wenig kurios, dass in Val di Fiemme, im Fleimstal im Trentino, binnen dreieinhalb Stunden zweimal ein Wintersportler namens Geiger zum Weltcupsieger ausgerufen wurde: Erst Vinzenz Geiger, 22, aus Oberstdorf, der Nordische Kombinierer. Dann Karl Geiger, 26, aus Oberstdorf, der Skispringer. Der Geiger-Doppelsieg ist nur deshalb zustande gekommen, weil die Wettbewerbe in den beiden Sportarten an einem Ort ausgetragen wurden, was im Weltcup-Kalender eher selten vorkommt. Denn Skispringen und Nordische Kombination sind nur entfernte Schwippschwäger - so ähnlich wie die beiden Geigers. "Direkt verwandt sind wir jetzt nicht", hat Karl Geiger im Dezember bereits erklärt: "Also schon über einige Ecken, aber das geht weiter zurück. Das ist schon ein bisschen verwässert." In Oberstdorf führt man die Verbindung dem Vernehmen nach auf einen gemeinsamen Urahn zurück. Das war's schon mit den Gemeinsamkeiten, abgesehen von der allgemeinen Liebe zum Wintersport im Allgäu.
Und deshalb empfiehlt es sich, die Erfolge der beiden, trotz gegenseitiger Hochachtung, separat zu würdigen. Zunächst den zweiten Saisonsieg des Kombinierers Vinzenz Geiger, der seinem großen Rivalen, dem bislang so überragenden Norweger Jarl Magnus Riiber die zweite Niederlage zufügte. Vinzenz Geiger, der Mannschafts-Olympiasieger von Pyeongchang, lieferte sich ein spannendes Duell mit seinem Konkurrenten: Riiber war nach einem exzellenten Sprung einmal mehr als Erster gestartet, wurde diesmal aber im Zehn-Kilometer-Lauf von einer großen Gruppe noch eingeholt. Im Schlussspurt zeigte Vinzenz Geiger dann seine Klasse.
Tags darauf fügte er einen zweiten Platz im Teamsprint hinzu.
Kurz nach Vinzenz Geigers Erfolg am Samstag war Karl Geiger, der Skispringer, am Ziel seiner Träume, mit einem Blumenstrauß in der Hand. "Mehr geht nicht", sagte er nach seinem ersten Saisonsieg, auf den er so lange gewartet hatte und dem er am Sonntagabend prompt den zweiten folgen ließ. Zugleich übernahm Geiger, der vergangene Woche Dritter der Vierschanzentournee geworden war, die Führung im Gesamtweltcup. "Das freut mich unglaublich", sagte er; für das Gelbe Trikot, das er erhielt, werde er "einen Spezialplatz" finden. Der WM-Zweite gewann auf der selten genutzten Normalschanze im Fleimstal sowohl am Samstag als auch am Sonntag vor dem Österreicher Stefan Kraft und Tourneesieger Dawid Kubacki aus Polen. Für Karl Geiger waren es der dritte und vierte Weltcup-Sieg der Karriere, nach Engelberg 2018 und Willingen 2019. Was sagte Vinzenz Geiger, der Cousin um einige Ecken aus Oberstdorf dazu? "Der Karl ist richtig gut drauf!"