Fall Caster Semenya:Runter von der Tagesordnung

Dem Council des Leichtathletik-Weltverbandes fehlen weiterhin entscheidende Antworten im Fall der südafrikanische Läuferin.

J. Mölter

Das Angenehme kommt zum Schluss, am Sonntagabend. Dann machen sich die Funktionäre des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF schick und feiern wie jeden Herbst mit einer Gala in Monaco die herausragenden Sportler der abgelaufenen Saison. Damit bei der wie üblich vorangehenden Sitzung des Councils die Stimmung nicht verdorben wird, hat IAAF-Präsident Lamine Diack am Mittwochabend das unangenehmste Thema kurzfristig von der Tagesordnung absetzen lassen: den weltweit diskutierten Fall Caster Semenya, jener 18-Jährigen aus Südafrika, die Ende Juli bei den afrikanischen Junioren-Meisterschaften auf Mauritius mit einer Weltjahresbestzeit über 800 Meter auftauchte (1:56,72 Minuten) und drei Wochen später bei den Weltmeisterschaften der Erwachsenen in Berlin den Titel holte mit einer weiteren Steigerung auf 1:55,45.

Fall Caster Semenya: Frau, Mann oder intersexuell? Der Fall Caster Semenya ist noch immer nicht entschieden.

Frau, Mann oder intersexuell? Der Fall Caster Semenya ist noch immer nicht entschieden.

(Foto: Foto: AP)

Dieser rasante Fortschritt allein hätte schon Argwohn gerechtfertigt, verstärkt wurde er durch Semenyas männliche Erscheinung, welche Gegnerinnen wie Zuschauer ratlos und verstört zurückließ mit der Frage: Ist dieses Mädchen nicht doch eher ein Junge? Um diese sich aufdrängende Frage zu klären (auch aus Fairness gegenüber der Konkurrenz), hatte die IAAF gleich nach dem Wettkampf auf Mauritius einen Geschlechtstest bei Caster Semenya veranlasst; als das während der Titelkämpfe von Berlin bekannt wurde - nur ein paar Stunden vor dem 800-Meter-Finale -, war die Aufregung groß.

Vorsichtshalber schirmte die IAAF das Mädchen - ein Kind einfacher Arbeiter aus einer ländlichen Region im Norden des Landes - ab und führte es nicht bei der obligatorischen Siegerpressekonferenz vor. "Sie ist nicht vorbereitet auf die Fragen, die kommen würden", erklärte IAAF-Generalsekretär Pierre Weiss damals.

Sieben andere Fälle

Der Weltverband selbst wollte sich bis zur Council-Sitzung an diesem Wochenende Zeit nehmen, Antworten zu finden. Am Mittwoch teilte er nun mit, dass er noch keine Antworten habe: "Die medizinischen Untersuchungen der Athletin sind immer noch nicht abgeschlossen", hieß es in einer Erklärung; deswegen werde der Fall nicht in den Gremien diskutiert. Wie die IAAF zudem bekanntgab, verhandeln Vertreter des Weltverbandes, des südafrikanischen Sportministeriums sowie der Athletin derzeit darüber, "wie die Probleme zu lösen sind, die Caster Semenyas Teilnahme an der Leichtathletik umgeben".

IAAF-Sprecher Nick Davies hat in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder versichert, dass es bei Semenya nicht um irgendeine Form des Sportbetrugs gehe: "Es handelt sich bei ihr nicht um einen Dopingfall, sondern um ein medizinisches Problem." Mehr möchte die IAAF dazu nicht sagen, um wenigstens den letzten Rest von dem zu wahren, was von der Intimsphäre des Mädchens übrig geblieben ist.

In anderen Fällen von nicht eindeutiger Geschlechtszuordnung, mit denen die IAAF konfrontiert worden ist, hat es mit der Diskretion ja besser geklappt. Pierre Weiss bestätigte, dass der Weltverband seit dem Jahr 2005 sieben Fälle behandelt habe, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfuhr und die Geschlechtsmerkmale in allen Details erörtere. Aber vier Sportlerinnen, so gab Weiss zu, seien "gebeten worden, ihre Karriere zu beenden".

Die zwielichtige Rolle von Chuene bleibt ebenfalls zu klären

Bei Caster Semenya muss das nicht so sein, sagt der Tübinger Soziologie-Professor Helmut Digel, eines der insgesamt 27 Council-Mitglieder: "Wenn die Untersuchung erbracht hat, dass Caster Semenya intersexuell ist" - also sowohl weibliche wie männliche Merkmale aufweist, wie es australische und britische Medien bereits berichteten - "dann hat sie keinen Fehler gemacht. Solche Menschen werden auch in Deutschland dem weiblichen Geschlecht zugeordnet."

Nachdem der Fall Semenya an diesem Wochenende also nicht geklärt wird, bleibt noch die Frage offen, wie die Council-Mitglieder mit ihrem Kollegen Leonard Chuene umgehen, dem Präsidenten des südafrikanischen Leichtathletik-Verbandes. Chuene spielt in der ganzen Affäre eine zwielichtige Rolle. Während der WM entrüstete er sich lauthals über den Geschlechtstest der IAAF und schürte auch in der Heimat die Stimmung: Von Rassismus war die Rede, einer Beschwerde bei den Vereinten Nationen, gar davon, den dritten Weltkrieg anzuzetteln.

Erst Wochen später gab Chuene kleinlaut zu, dass sein Verband selbst und ohne Wissen der Athletin einen Geschlechtstest hatte vornehmen lassen; außerdem, dass er trotz mehrmaliger Warnungen seines Verbandsarztes auf den WM-Start Semenyas bestanden habe. Die Aussicht auf eine Goldmedaille samt entsprechenden Vermarktungsmöglichkeiten für den in den Jahren 2005 und 2007 leer ausgegangenen Verband hatte Chuene wohl geblendet.

Südafrikas Olympia-Komitee Sascoc hat jedenfalls reagiert und in der vorigen Woche den gesamten Leichtathletik-Verband suspendiert. Ein Sascoc-Vertreter schickte die Angestellten heim und ließ die Schlösser in der Geschäftsstelle austauschen. Wie die IAAF nun mit dem Fall des Funktionärs Cheune umgeht, ist unklar. "Ich habe von der Suspendierung nur aus der Zeitung erfahren", sagt Hansjörg Wirz, der Präsident des europäischen Verbandes. Helmut Digel sagt: "Ich weiß nicht einmal, ob Leonard Chuene überhaupt noch Council-Mitglied ist." Chuene hatte während der WM in Berlin seinen Rücktritt erklärt, aber später wieder zurückgezogen. Man darf gespannt sein, ob IAAF-Chef Diack sein Council wenigstens darüber diskutieren lässt.

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