Fall Armstrong und die Folgen:Schnell das Licht löschen

Der Fall Lance Armstrong offenbart erstmals das Gesamtpaket des Betrugs: Politik, Sport, Sponsoren, Kriminalität von Drogenbeschaffung bis zum Steuerbetrug. Dass der Radsport-Weltverband UCI nun jede Aufklärung der Affäre Armstrong abwürgt, indem er seine Ägide zur "schwarzen Ära" erklärt, zeugt von Panik.

Thomas Kistner

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Der Fall Lance Armstrong offenbart das Gesamtpaket des Betrugs.

(Foto: AFP)

Glaubwürdigkeit bei Jugend und Gesellschaft sei ihr höchstes Gut, erzählt die Dachorganisation SportAccord. "Gute Geschäftsführung", verkündet ihr Präsident via Website, "ist unverzichtbar, wenn der Sport die Werte verkörpern will, die zu vertreten er vorgibt".

Was man so sagt, wenn der Tag lang ist.

Das Credo formulierte Hein Verbruggen, Chef des Dachverbands über 90 Fachverbände, von Fußball bis Minigolf. Verbruggen ist auch der Mann, der den Radweltverband UCI durch jene Zeit führte, die jetzt als "schwarze Ära" aus den Sport-Annalen gelöscht wurde. UCI-Ehrenpräsident ist er bis heute und ein guter Freund Lance Armstrongs. Daher entlarvt nichts besser die stumpfe Realität des Kommerzbetriebs Spitzensport als der Satz, den Verbruggen kürzlich kundtat: Es gäbe "keine Spur von Beweis" gegen Armstrong.

Das ist die Integrität in der Praxis. Als Verbruggen 2005 das UCI-Amt seinem Getreuen Pat McQuaid übergab und Andersdenkenden dabei "blutige Kriege" androhte, flogen gerade sechs positive Proben Armstrongs auf. Flott war der wissenschaftlich klare Sündenfall vom Tisch. Weil das nur stört im Milliardenbusiness Spitzensport: integre Geschäftsführung.

Verbruggen hat Macht, er lenkt auch die olympische Fernsehgesellschaft OBS. Eng ist der Niederländer mit dem Belgier Jacques Rogge, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees. Dort hat Rogge, ein Arzt, zwar die Doping-Nulltoleranz zur Chefsache erklärt und auch oft gepflegt. Doch der Geschäftsmann Verbruggen war für Dopingexperten immer ein Bremser; vorsichtig formuliert.

So ist Verbruggen als Experte für Sportintegrität ein Musterexemplar wie Freund Lance für die Gattung des modernen Sportheldentums. Auch bei ihm ist der Widerspruch zwischen Rede und Tun diametral. Doping streitet er eisern ab, Meineide hat er schon geschworen, nur kann er diejenigen, die ihn bezichtigen, jetzt nicht mehr verklagen. Stets betonte er: Die Unterstellung, er hätte chemische Gifte nach überlebter Krebserkrankung in seinen Körper gepumpt, strotze vor Ignoranz gegenüber jedem Krebspatient.

Nun zeigt sich, wie brutal das Sportidol Armstrong die Opfer der Krankheit als Schild für sein liederliches Treiben missbrauchte. Sogar Präsidentschaftskandidat Barack Obama soll er 2008 mit der Millionen Namen umfassenden Mitgliederdatei seiner Krebsstiftung Livestrong unter Druck gesetzt haben. Ja, die Hochebene der Sportindustrie, auf der Leute wie Armstrong agieren, führt bis nach Washington. Wo nun auch Bill Clinton in Erklärungsnot gerät; US-Berichten zufolge erhielt seine Einrichtung eine Spende von Armstrong, nachdem der Altpräsident darauf hingewirkt haben soll, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Armstrong einstellte. Es geschah jedenfalls, ohne Erklärung.

Ermittlungen wie in den USA wären in Deutschland unmöglich

Was wird sich in Frankreich noch zeigen, wo dem Klüngel Nicolas Sarkozys nachgespürt wird? Als Staatspräsident bewirtete er Armstrong beim Tour-Comeback 2009. Plötzlich wurden dem aggressiven Dopinglabor in Paris straffe Zügel angelegt - und die Kontrollhoheit für die Tour abgenommen. Die Fahnder hatten 2008 triumphal ein neues Epo-Produkt aufgespürt. 2010 trat ihr Laborchef ab.

Wo ist Bedarf für Integrität in einem Handelskontor mit dem schönen Schein, der das Volk verführt und die Politik erpresst? Sich mit berühmten Sportlern schmücken zu dürfen, ist heute ja per se eine Wahlempfehlung. Auch Angela Merkel dringt gern mit Fotografen in die Nasszelle der nationalen Fußballhelden vor.

So funktioniert das System. Die Liga Verbruggen, wo auch der deutsche Sport eifrig mitspielt. 2013 soll Topfunktionär Thomas Bach gar das Spitzenamt im IOC erobern. Auf den Thron gelangt keiner, der das System stört. Aber die Deutschen sind unverdächtig; gerade ihre Betrugsbekämpfung ist vorbildlich lax. Während selbst Österreich ein Anti-Doping-Gesetz hat, gibt es hier eine Art Doping-Ermunterung - versteckt im Arzneimittelgesetz, das etwa regelt, dass ein Athlet erst straffällig wird, wenn sein Besitz an Wachstumshormonen den Jahresbedarf einer Sprint-Staffel übersteigt. Als diese Woche die Affäre Armstrong dem Gipfel zustrebte, stopfte Berlin eine Millionenlücke im Etat der Nationalen Anti-Doping-Agentur: überfallartig, binnen Stunden. Die Blöße wollte man sich nicht geben.

Ermittlungen wie die der US-Agentur Usada gegen Armstrong wären hierzulande unmöglich. Beate Merk, die bayerische Verfechterin eines harten Anti-Doping-Gesetzes, wird nur müde belächelt, wenn sie aus der Praxis berichtet: Ihre Staatsanwälte halten die gesetzlichen Instrumente schlicht für ungeeignet, "um an dopende Spitzensportler heranzukommen".

Klar sind sie ungeeignet. Das passt ja in eine nationale Sportpolitik, die im August erst auf richterlichen Druck offenlegte, dass sie sich diskret 86 Medaillen in London errechnet hatte. So viel räumte Chinas Muskelarmee ab. Eine Regierung, die solche Ziele teilt, muss fest zu ihren Sportfunktionären stehen. Und damit auch akzeptieren, dass die UCI jede Aufklärung der Affäre Armstrong abwürgt, indem sie seine Ägide zur "schwarzen Ära" erklärt, sieben Jahre einfach ausblendet in einem Sport, dessen Doper schon vor 50 Jahren tot vom Sattel fielen - das ist kein Innehalten. Es ist Panik. Armstrongs Fall offenbart ja, über den Dopingexzess hinaus, erstmals das Gesamtpaket: Politik, Sport, Sponsoren, Kriminalität von Drogenbeschaffung über -transport bis zum Steuerbetrug. Ziel der konzertierten Aktion war die Täuschung des Publikums. Soll all das in gleißendes Licht getaucht werden? Bloß nicht. Wo ist der Schalter? Schnell das Licht löschen: schwarze Ära. Irgendwas von Integrität und Neuanfang reden. Und weitermachen - ist ja nichts passiert.

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