Süddeutsche Zeitung

Fairness bei Niederlande gegen Costa Rica:Dosierter Trash-Talk ohne Folgen

Die feine englische Art war es nicht, wie Hollands Torhüter Tim Krul Costa Ricas Elfmeterschützen irritierte. Doch es waren die Ticos, die die Grenzen zur Unfairness zuerst überschritten. Mitleid braucht in der Stunde des Abschieds niemand zu zeigen.

Ein Kommentar von Boris Herrmann, Salvador

Tim Krul hat nicht viel gesagt nach diesem bemerkenswerten Auftritt. Er kam, pöbelte, hielt und siegte. Und danach sagte er bloß dies: "Da sitzt du die ganze Zeit draußen, und dann kommst du rein und sollst das Halbfinale retten. Ein Kindheitstraum geht in Erfüllung." Wohl dem, der solche Kindheitsträume hat.

Das Märchen vom heldenhaften Traumhüter hat allerdings gleich im Moment seiner Entstehung ein paar dunkle Flecken abbekommen. Krul steht nicht nur als der Matchwinner von Holland da, sondern auch als der Buhmann der restlichen Fußballwelt. Zu offensichtlich war seine Strategie, die Elfmeterschützen Costa Ricas mit allerlei Hampeleien und sorgsam dosiertem Trash-Talk zu irritieren. Auf die ersten drei Schützen - Borges, Ruiz und González - lief er direkt zu, nahm fast Nasenspitzenkontakt auf und flüsterte ihnen nach übereinstimmenden Ohrenzeugenberichten ins Gesicht: "Ich weiß, wo du hinschießen wirst."

Zum allgemeinen Ärger verzichtete Schiedsrichter Irmatow aus Usbekistan auf eine gelbe Karte und beließ es bei einer höflichen Ermahnung. Danach tänzelte Krul an der Fünfmeterlinie hin und her, während die Gegner bereits am Elfmeterpunkt warteten. Schwer zu sagen, ob sich Costa Ricas Fehlschützen Ruiz und Umaña von Kruls Mätzchen tatsächlich irritieren ließen. Die feine englische Art war es jedenfalls nicht, die der Keeper von Newcastle United da an den Tag legte. Stimmt alles. Bloß: Wenn man über Unsportlichkeiten spricht, muss man auch über die allseits bejubelten Underdogs aus Costa Rica reden.

Es waren nämlich die Ticos, die in diesem Spiel die Grenzen zur Unfairness zuerst überschritten haben. Da wäre etwa das überaus nervige Zeitspiel des zurecht allseits gefeierten Torhüters Keylor Navas zu nennen, der für jeden Abstoß zwei bis drei Minuten veranschlagte. Da darf aber auch der billige Schwalben-Versuch des eingewechselten Stürmers Marco Ureña in der Verlängerung nicht unerwähnt bleiben.

Schon gar nicht die unsäglichen Verletzungs-Simulationen, derer sich fast jeder, der Rang und Namen hatte, bei den Ticos schuldig machte - von Keeper Navas bis Kapitän Ruiz. Und für jene Ausdruckstänze, die Trainer Pinto abseits seiner Coaching-Zone veranstaltete, wären Jürgen Klopp und Torsten Lieberknecht in der Bundesliga wohl lebenslänglich auf die Tribüne verbannt worden. Costa Rica war zweifellos die große Show der Weltmeisterschaft, aber in Sachen Fairplay musste man mit dieser Mannschaft in der Stunde ihres Abschieds kein Mitleid haben.

Was die Ticos am allermeisten zu Siegern der Herzen macht: Sie haben sich am allerwenigsten über Krul aufgeregt.

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SZ vom 07.07.2014/ebc
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