Gesucht wird: eine Person, hinter der sich alle anderen versammeln. Und zwar im Wortsinne: Vorne wird bei der Eröffnungsfeier der Winterspiele von Pyeongchang der Mann / die Frau mit der schwarz-rot-goldenen Fahne marschieren, dahinter winken alle anderen - Athleten, Trainer, Betreuer - hinauf zum Publikum, vor allem aber hinaus in die Welt. Die Frage, wer die Hand an die Fahne legen darf, hat deshalb Symbolik, sie erzählt etwas über die Gruppe von Athleten, die mit dem Schriftzug "Germany" auf dem Rücken in den Wettkampf geschickt werden. Und sie wirkt als Zeichen ins Team hinein. Fahnenträger sein, das heißt, der Gruppe ein Gesicht zu geben.
Es ist im Grunde zu begrüßen, dass die Funktionäre des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) nicht mehr bloß unter sich auskarteln, wer dieses Gesicht sein soll. Sondern dass jetzt sowohl die Athleten abstimmen dürfen, als auch alle anderen Sportinteressierten, im Internet unter www.teamdeutschland.de. Der DOSB hat nur die Vorauswahl getroffen.
Auf die "Vorbildfunktion" komme es an, sagt der DOSB
"Bisherige internationale, insbesondere olympische Erfolge" sind dabei ein Kriterium gewesen - und in dieser Hinsicht spricht nichts gegen die fünf Benannten. Der Eishockeyspieler Christian Ehrhoff steht vor seiner vierten Spiele-Teilnahme. Und die Einzelsportler Eric Frenzel (Nordische Kombination), Natalie Geisenberger (Rodeln), Viktoria Rebensburg (Ski alpin) und Claudia Pechstein (Eisschnelllauf) haben alle mindestens einmal Olympia-Gold gewonnen. Pechstein sogar fünfmal; dass sie im Alter von bald 46 Jahren erneut mit Medaillenchancen an den Start geht und als erste Sportlerin überhaupt ihre siebten Winterspiele bestreitet, macht sie noch dazu zum Phänomen.
Fahnenträgerin bei Olympia:Pechstein wäre eine fragwürdige Kandidatin
Claudia Pechstein als Fahnenträgerin bei Olympia? Der DOSB sollte sich überlegen, ob er dieses Bild um die Welt schicken will. Denn Pechstein ist eine Athletin, die vor allem auf sich selbst schaut.
Selbst der DOSB sagt allerdings, dass Erfolg nicht das einzige Kriterium sein kann. Auf die "Vorbildfunktion" komme es an, gesucht würden "populäre Athletinnen und Athleten, die nicht nur mit ihren Erfolgen, sondern auch mit ihrer Persönlichkeit und Haltung einen fairen und manipulationsfreien Leistungssport verkörpern". Da ist es zumindest erstaunlich, dass es in Pechstein eine Athletin auf die Liste geschafft hat, die von 2009 bis 2011 wegen auffälliger Blutwerte gesperrt war.
Sportrechtlich ist diese Sperre nie nachträglich revidiert worden. Aber Pechstein führt bis heute den Kampf um die Wiederherstellung ihrer Ehre, "siegen oder sterben", das ist da längst ihre Terminologie. Experten diagnostizierten ihr eine vererbte Blutanomalie. Die Internationale Eislauf-Union (ISU) beharrt indes drauf, dass Pechstein "nicht rehabilitiert" sei - das muss die ISU wohl auch, da Pechstein mit ihr inzwischen in der achten Instanz um 4,4 Millionen Euro Schadenersatz streitet. 2015 gab die ISU eine der seltenen Stellungnahmen in dem Fall ab und fragte, warum Pechstein "ihre höchsten abnormalen Werte ständig genau zum Zeitpunkt von globalen Topwettkämpfen" gehabt habe; Pechstein attestierte der ISU daraufhin eine "kranke Denkweise".
"Krank", "mafiös", "Hexenjäger" - sie hat im Laufe ihres Kampfs vom Minister bis zum Schweizer Bundesrichter schon alle in den Senkel gestellt, sie hat die Medien eingespannt für gezielte Image-Kampagnen und dabei auch mit mancher Halbwahrheit operiert. Immer an ihrer Seite: Lebensgefährte Matthias Große, der nicht davor zurückschreckt, vermeintliche Pechstein-Gegner einzuschüchtern.
Dem DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann ist all das egal. Hörmann bewundert Pechstein als "Kämpferin". Als 2015 eine Expertenkommission den Fall für den DOSB begutachtete und Pechstein am Ende vom Dopingverdacht freisprach, sagte Hörmann: "Man kann nur um Entschuldigung bitten." Und unterschlug, dass der DOSB als "unabhängigen" Vorsitzenden der Kommission einen Blutexperten benannt hatte, der zuvor schon mehrmals zu Pechsteins Gunsten ausgesagt hatte.
Es gibt einige im deutschen Pyeongchang-Team, die sich nicht hinter einer Fahnenträgerin Pechstein versammeln wollen. Bloß: Solange sie ihre Stimmen auf die anderen Kandidaten verteilen, wird ihnen das nichts nutzen. Pechstein polarisiert nicht nur, sie hat auch gelernt, zu mobilisieren. Sie hat andere Sportler öffentlichkeitswirksam für ihre Sache eingespannt, legendär ist eine Pressekonferenz 2010, auf der der Boxer Arthur Abraham kundtat, man könne solche Blutwerte auch "durch Vitamine und so" kriegen, das wisse jeder.
Pechstein hat sich als Vorkämpferin gegen vieles stilisiert. Und mit ihrer gepflegten Ost-Berlin-Vita ist sie nicht zuletzt die Ikone all jener, die es unfair finden, wie schnöde die DDR und ihr Sportsystem abgewickelt wurden, während doch im Westen nichts besser war - und übrigens auch nicht frei von Doping.
Es läuft jetzt auf Claudia Pechstein zu, und am Ende wird Alfons Hörmann sich hinter einem Votum von Öffentlichkeit und Athleten verstecken. Pechstein mit der Fahne voraus, alle anderen dahinter! Wenn der DOSB-Chef das für einen guten Wink an die Sportwelt hält, hat er wenig begriffen. Es wäre seine Aufgabe gewesen, dem 154-köpfigen Aufgebot ein Gesicht zu geben, das es eint, nicht spaltet. Pechsteins Fahne ist Hörmanns Versagen.