Fabian Hambüchen:Im perfekten Wachstum

Der Familienbetrieb Hambüchen plant das Unplanbare: Turner Fabians Zukunft.

Volker Kreisl

München - Fabian Hambüchen ist jetzt genau 162,5 Zentimeter groß. Im August 2004, bei den Olympischen Spielen in Athen, waren es noch 158 Zentimeter. Die 160er Mauer hat er ungefähr im Advent 2004 durchstoßen, dann nochmal einen Schub gemacht, bei seinem EM-Sieg im Mai war er deutlich über 1,61 Meter groß. Nun also weit über 1,62 Meter.

Hambüchen, dpa

Fabian Hambüchen: die ideale Größe.

(Foto: Foto: dpa)

Wie lange das noch geht, kann keiner sagen, aber Hambüchen erklärt, größer als 1,65 Meter wolle er nicht werden. Das wäre die ideale Größe für einen Kunstturner.

Hambüchen ist jetzt 18 geworden, und auch wenn in seinem Umfeld alle sagen, er habe alle Zeit, um groß zu werden, erscheint es doch willkommen, wenn endlich Schluss ist mit dem Wachsen. Große Talente des Sports treten sonst als fast fertige Athleten auf die Bildfläche.

Auch wenn sie noch viel lernen müssen, sind sie zumindest ausgewachsen. Bei Hambüchen ist das umgekehrt. Er hat schon große Erfolge, bevor sein Körper erwachsen ist, und das in einem Sport, in dem es vor allem um die Druck- und Zugkräfte, die Hebelwirkung und das Rotationstempo geht, die so ein menschlicher Körper aushält.

Also begleiteten Hambüchens Werdegang bisher zwei Kernfragen: Was kann der erst, wenn er mal ausgewachsen ist? Und: Wie schafft er das, dass er sich nicht überlastet? Hambüchen antwortete zwischendurch, dass ihn diese Fragen allmählich nerven.

Hambüchens Ruf wuchs so zuverlässig wie seine Knochen und Muskeln. Als 14-Jähriger gab es erste Meldungen über die Möglichkeiten seines Körpers, als 16-Jähriger war er jüngster Olympiaturner und das neue Gesicht des deutschen Traditionssports, mit 17 Europameister bei den Erwachsenen am Reck.

Und nun steht die Weltmeisterschaft in Melbourne an, in der Nacht zum Dienstag (MEZ) beginnt die Qualifikation der Männer. Es ist eigentlich keine wichtige WM, denn sie liegt im Jahr nach Olympia, es gibt keine Teamwertung.

Doch gerade deshalb wird Hambüchen wieder im Mittelpunkt stehen. In der Riege des Deutschen Turnerbundes gibt es zwar andere Talente wie Matthias Fahrig, eine Medaille traut man aber nur Hambüchen zu. Die Konkurrenz ist zwar größer mit amerikanischen und chinesischen Turnern, doch Hambüchens Körper hat auch in den fünfeinhalb Monaten seit der EM erhebliche Fortschritte gemacht.

Er trainiert vier Stunden täglich. Nach der Schule geht er in die Halle, beginnt mit Gymnastik, absolviert Kraftübungen, arbeitet an seiner Körperspannung. Die folgenden zweieinhalb Stunden verbringt er an irgendwelchen Holmen, Pauschen oder in der Luft.

Bis es klappt

Er versucht Figuren umzusetzen, beherrscht diese, kettet mehrere aneinander, fällt herunter, diskutiert mit seinem Vater und Trainer Wolfgang Hambüchen, beginnt von vorne, bis es klappt. Dieses Prinzip funktioniert seit Jahren, damit hat er an den weniger kraftintensiven Geräten Reck, Boden und Sprung Weltklasse-Niveau erreicht.

An den Ringen war er aber bislang chancenlos, vom Pauschenpferd fiel er regelmäßig herunter wie ein Kreisel von der Tischkante. Die Kräfte sind zu stark, aber er scheint sie allmählich zu beherrschen. Mittlerweile gelingt ihm an den Ringen die "Schwalbe", eine Übung, bei der der Körper waagerecht in der Luft liegt, die jedem Muskel alles abverlangt, vom großen Zeh bis zum Nacken.

Fortschritte sind erkennbar, seit er jenes eigentümliche Gerät verwendet, das schon Schwimmer Michael Groß in die Weltklasse half. Hambüchen sitzt und hält zwei Ringe wie im Wettkampf. Über Rollen sind diese mit einem Elektromotor verbunden, der sie nach oben zieht.

Bremsen für mehr Kraft

Das Prinzip funktioniert anders als herkömmliche Kraftgeräte: Hambüchen zieht nicht, sondern versucht die Bewegung zu bremsen. Diese exzentrische Übung, sagt sein Vater, "ist weitaus effektiver".

Die Muskeln werden stärker gefordert, das Gesundheitsrisiko ist geringer. Zugleich wird die Energie mit Messringen am Computer überwacht. "Bei manchen Übungen haben wir 105 Prozent des Körpergewichts erreicht", sagt Wolfgang Hambüchen, "als beschwerdefreie, maximale Belastung."

Zweimal die Woche lässt er sich von einem Physiotherapeuten checken. Sobald es irgendwo weh tut, lässt er nachprüfen, ob sich ein Muskel oder eine Sehne vielleicht entzündet hat. Dieses Prinzip der Gefahrenabwehr funktioniert aber nicht nur gegen körperliche Reizungen, das Umfeld Hambüchens hat sich gewissermaßen perfektioniert.

Der Turner Fabian, der außer ein Gerätespezialist auch ein normaler Erwachsener werden will, steht im Mittelpunkt eines familiären Abschirmdienstes, der ihm helfen soll, nicht nur Traum- sondern auch Abi-Noten zu schaffen.

Seine Mutter erledigt Behördengänge und kümmert sich um Arzttermine. Onkel Bruno Hambüchen ist sein Mentaltrainer, Onkel Markus Hambüchen gibt Nachhilfe, wie auch der große Bruder. Zudem hat Fabian Hambüchen einen Biomechaniker und einen eigenen Manager, der ihm Sponsoren vermittelt und Interviews koordiniert und die Medien auch mal fern hält: "Einmal wurde es mir zu viel", sagt Fabian Hambüchen, "da wollte ich meine Ruhe und dann war auch Schluss."

Man kann so ein Talent also ziemlich gut hegen und pflegen, aber irgendwann hat das beste System seine Grenzen, denn es gibt ja auch ein inneres Wachstum eines Menschen, und das kann kein Computer messen.

Wolfgang Hambüchen hinterfragt immer wieder seine Methoden, derzeit steckt er in einem kleinen Dilemma: "Als Vater darf ich ihn auf keinen Fall betüddeln." Als Trainer muss er ihn aber weiterhin lenken und kritisieren, "ich muss ihn ja auf einem technisch sauberen Weg halten".

Wolfgang Hambüchen sagt, er lege viel Wert auf die Selbstständigkeit seiner Kinder, vielleicht ist es da ganz gut, dass er sich mit seinem Sohn schon immer über Trainingsfragen gestritten hat, teils ziemlich heftig.

Die Auseinandersetzung ist also nichts Besonderes, dennoch gibt es immer neue Dimensionen. Im Herbst hat Fabian Hambüchen drei Wochen alleine in Japan trainiert, jetzt merkt der Vater, dass der Sohn sich viel mehr zutraut, und der Trainer erkennt, dass er ihm unbedingt mehr Freiraum lassen muss: "Wird es zu eng, entstehen Spannungen, gehe ich auf Distanz, kann er sich besser belasten."

Irgendwo wird es Krach geben

Solche Differenzen sind nicht berechenbar. Irgendwann wird Hambüchen fortziehen, irgendwo wird es Krach geben, und sei es, weil es eben doch schwer ist, jeden Rückschlag wegzustecken und sich zurückzuziehen, wenn alle enttäuscht sind. Beim Weltcup vor vier Wochen in Stuttgart war auf den Plakaten nur Hambüchens Gesicht zu sehen, später ist er beim Sprung gestürzt und am Reck früh gescheitert.

Er scheint jedenfalls damit umgehen zu können. Er läuft sofort in die Übungshalle und turnt weiter, sucht den Fehler. Er sagt, so etwas wecke seinen Ehrgeiz, wie bei der EM, wo er nach dem Sturz vom Pferd noch Platz drei im Mehrkampf erreicht hat.

Vielleicht ist er ja auch tatsächlich gefeit gegen schlimmere Zeiten, vielleicht holt er in Sydney die nächste Medaille, vielleicht geht dieses perfekte Wachstum des Fabian Hambüchen wirklich immer weiter, auch dann, wenn er 1,65 Meter groß ist und die eigentliche Karriere erst beginnt.

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