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FA Cup:Werbung in eigener Sache

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Trainer Wenger sammelt mit dem Pokalerfolg über Meister Chelsea Argumente für eine Weiterbeschäftigung.

Von Raphael Honigstein, London

Arsène Wenger saß nachher so ruhig und aufgeräumt auf dem Pressepodium, als ob er mit diesem wilden, heißen, ohrenbetäubend lauten Fußball-Abend im Wembley-Stadion gar nichts zu tun gehabt hätte. Das weiße Hemd und die rote Krawatte hatten den Champagner-Sturm nach Schlusspfiff auf wundersame Weise unbefleckt überstanden; seine Freude über den rekordträchtigen Erfolg war äußerlich ebenfalls kaum zu erkennen: Der Elsässer ist der erste Trainer, der den FA-Pokal sieben Mal gewonnen hat. Erst als der 68-Jährige in seine Hosentasche griff und demonstrativ eine schwarze Schachtel mit einem Stück Edelmetall in die Luft hielt, konnte man ahnen, wie viel ihm das 2:1 über Meister Chelsea wirklich bedeutete. "Ich werde meine Siegermedaille aufheben", sagte er mit leisem, vornehmen Stolz.

Seine bisherigen Titel-Souvenirs, das hatte Wenger vor dem Endspiel erzählt, habe er stets an Spieler und Mitarbeiter verschenkt. Vor diesem Hintergrund klang die Ankündigung, die Auszeichnung ausnahmsweise zu behalten, auch melancholisch, nach einem unausgesprochenen Zusatz: Es könnte ob seiner ungewissen Zukunft in London ja die letzte gewesen sein.

Wengers Vertrag bei den Gunners läuft aus, er würde nach 21 Jahren im Amt gerne weitercoachen. Der Klub will grundsätzlich auch verlängern, aber Wengers totalitäre Machtfülle verringern. Ob sich beide Parteien beim Treffen am Dienstag auf einen Kompromiss einigen können, ist offen. Der während der enttäuschenden Liga-Saison mit Platz sechs von vielen Fans angefeindete Trainer betonte, dass ein Verein von Arsenals Statur sich "nicht nach Popularität, sondern nach Kompetenz" richten müsse; nach mehr als zwei Jahrzehnten auf der Bank der Nord-Londoner dürfe die Bewertung seiner Arbeit zudem nicht nur von einem einzigen Spiel abhängen.

Mertesacker gibt sein Comeback als Zentrale in der Dreier-Kette

Wäre nur Arsenals Auftritt am Samstag der Maßstab, müsste der amerikanische Klubbesitzer Stan Kroenke die Zusammenarbeit mit Wenger unverzüglich fortsetzen. Von der ersten Sekunde an wirkten die Kanoniere aggressiver als die mental wohl noch auf der Meisterfeier befindlichen Blauen; Arsenal entledigte sich komplett jener stereotypen Samtpfotigkeit, die im Verbund mit taktischer Unbedarftheit zur schlechtesten Tabellen-Platzierung der Ära Wenger geführt hatte. Zur Pause hätte Arsenal das Match längst entschieden haben müssen. Alexis Sanchez' kontroverser Treffer nach vier Minuten - der Chilene hatte zuvor den Ball mit beiden Händen berührt - war ein lächerlich geringer Ertrag für eine Fülle von Chancen.

"Das haben viele von uns nicht erwartet, wir selbst vielleicht auch nicht", gab Per Mertesacker zu, der nach langer Verletzungspause (Knorpelschaden) im letzten Saisonspiel zum ersten Mal in der Startelf stand und eine famose Partie hinlegte. Der Weltmeister hatte erst am Freitag erfahren, dass er seine verletzten (Shkodran Mustafi, Gabriel) beziehungsweise gesperrten (Laurent Koscielny) Innenverteidiger-Kollegen als zentraler Mann in der vom Gegner abgeschauten Dreier-Kette ersetzen sollte. "Ich habe mit zehn oder zwölf Jahren mal Libero zwischen zwei Manndeckern gespielt, aber noch nie in diesem System", sagte der 32-Jährige, aber: "Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken."

Wenger hatte Mitte April in höchster Not die Formation auf ein 3-4-3 umgestellt, das defensiv stabilisierte Arsenal gewann dann acht von zehn Spielen. "Wir können uns ohne Ball mit fünf Mann und zwei defensiven Mittelfeldspielern zurückziehen, und vorne machen die drei Angreifer, was sie wollen", so Mertesacker. Entscheidend für den trotz des zwischenzeitlichen Ausgleichs von Diego Costa (76.) hochverdienten Erfolg war auch die Negation von Chelseas Stärken. Antonio Contes italienische Version von Kick & Rush kam nie richtig ins Rauschen. Aaron Ramseys Kopfballtreffer (79.) setzte den Schlusspunkt unter das beste Pokalfinale seit der Eröffnung des neuen Wembley-Stadions vor zehn Jahren. Ob es das auch für Wenger war, wird sich bald zeigen, aber der spektakuläre Erfolg macht die nächsten Tage auf jeden Fall leichter. Er geht - oder bleibt - als Sieger.

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SZ vom 29.05.2017
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