FA-Cup-Finale:Der Maßstab sitzt auf der Tribüne

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Zwei Tore für den zweiten Titel: Ilkay Gündogan, links, beim Jubel über sein 1:0 mit Jack Grealish. (Foto: Paul Marriott/Imago)

Vor den Augen der legendären 1999er-Triple-Mannschaft von Manchester United schießt Ilkay Gündogan die Citizens im englischen Pokalfinal-Derby zum zweiten Titel. Die Vollendung könnte in einer Woche folgen.

Von Sven Haist, London

Leicht gibt sich Gary Neville nicht geschlagen. Schon als Rechtsverteidiger war er bekannt für seine Hartnäckigkeit. Der langjährige Kapitän von Manchester United gehörte jener Mannschaft an, die 1999 ein in England bisher einmaliges Triple bewerkstelligte. Nach dem Gewinn der Meisterschaft in der Premier League und des FA Cups bog der Verein seinerzeit mit zwei Toren in der Nachspielzeit gegen den FC Bayern das verloren geglaubte Finale in der Champions League um. Aufgrund dieses Triumphs gilt das damalige United-Team bis heute als Richtwert für ähnlich erfolgreiche Mannschaften - was seit einiger Zeit dafür sorgt, dass vor allem die Leistungen des Stadtrivalen Manchester City auf der Insel etwas unter Wert gehandelt werden.

Zum Saisonabschluss sollte Neville kürzlich als Fernsehexperte aus Uniteds 1999er-und dem aktuellen City-Team, das zuletzt drei Mal in Serie die Meisterschaft gewonnen hat, seine Best-of-Version zusammenstellen. Neville nominierte sich und seine Mitspieler (inklusive Ersatzspieler) - und keinen einzigen City-Profi. Seine Wahl begründete er damit, dass United ja in dieser Konstellation das Triple gewonnen habe, während City immer noch auf den ersten Champions-League-Sieg wartet.

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Nevilles Verweis auf den fehlenden Königsklassentitel ist der sportliche Angriffspunkt von Manchester City. Denn dagegen, dass der von der Herrscherfamilie aus Abu Dhabi alimentierte Klub nach fünf Meisterschaften in sechs Jahren die Vormachtstellung im englischen Fußball übernommen hat, lässt sich erst recht unter dem frischen Eindruck des Pokalsiegs über United am Samstag nicht mehr seriös argumentieren. Selbst der von sich eingenommene Rekordmeister musste bei der schmeichelhaft knappen 1:2-Niederlage im Pokalfinale einsehen, mit dem neureichen Nachbarn derzeit nicht mithalten zu können. Auf der Tribüne verfolgten diverse United-Legenden, darunter Trainerikone Alex Ferguson, konsterniert die Niederlage ihres Herzensklubs. Mit Abpfiff stürmten die Anhänger aus dem Wembley-Stadion, bei der Siegerehrung war die United-Fankurve leer.

Seit 2011 versucht Guardiola vergeblich, die Champions League zu gewinnen

So hat United auch keinen Einfluss mehr darauf, ob City am kommenden Samstag mit einem Sieg im Champions-League-Finale gegen Inter Mailand ebenfalls das Triple schafft. Und dieser historischen Chance ist sich der lange unterschätzte Klub durchaus bewusst. City-Trainer Pep Guardiola sagte, dass seine Spieler jetzt in einer Position seien, in der sie sich "wahrscheinlich nie wieder" befinden werden. Mit einem weiteren Sieg, der den ersehnten Henkelpott bringen würde, könne man dafür sorgen, endlich so respektiert zu werden, wie man das verdiene.

Der Wunsch nach mehr Anerkennung begleitet Guardiola ähnlich lange wie Manchester City selbst. Seit seinem Abschied vom FC Barcelona, den er als Trainer 2009 und 2011 zu zwei Königsklassentiteln führte, halten ihm die Kritiker vor, mit keinem anderen Spitzenverein im selben Wettbewerb siegreich gewesen zu sein. Und City wird wegen beispielloser finanzieller Investitionen nach der Übernahme durch Scheich Mansour 2008 vom Establishment der Branche mit Argwohn beäugt - trotz aller Erfolge. Noch immer fällt es vielen Experten wie Neville schwer, den neuen Konkurrenten zu akzeptieren. Allerdings lässt der Widerstand nach. Nevilles ebenbürtiger Expertenkollege Jamie Carragher, der seine Fußballerkarriere ausschließlich beim FC Liverpool verbrachte, berief in derselben Sendung kürzlich sechs City-Profis in seine Startelf, darunter Kapitän Ilkay Gündogan.

Die Nominierung des deutschen Nationalspielers sorgte für einen verbalen Schlagabtausch zwischen Carragher und Neville. Letztgenannter wollte partout nicht mit sich reden lassen, einen der einstigen United-Mittelfeldgranden - Roy Keane, Paul Scholes, Ryan Giggs und David Beckham - für Gündogan aus dem Allstar-Team zu streichen. Die Physis von Keane, das Passspiel von Scholes, die Vorlagen von Giggs und die Schusstechnik von Beckham: Dieses Mittelfeld sei einfach das beste, das je in England gespielt habe, fand Neville. Ihre Reputation gründeten jene Spieler auch darauf, bei wichtigen Spielen zur Hochform aufzulaufen.

In den ganz großen Spielen blieb Gündogan stets das Glück versagt - bis zu diesem Samstag

Diesen Aspekt konnte Gündogan in seiner Karriere bisher selten abdecken. Im Champions-League-Finale 2013 traf er für Borussia Dortmund zum Elfmeter-Ausgleich, später siegten die Bayern. Bei Deutschlands WM-Sieg 2014 fehlte er verletzt. Und als er sich als Offensivspieler im verlorenen 2021er-Königsklassenfinale mit City in blendender Verfassung befand, beraubte Trainer Guardiola ihn seiner Stärken, indem er ihn überraschend als Abräumer vor der Abwehr einsetzte. Selbst bei seinem entscheidenden Doppelpack im Meisterschaftsfinale der Vorsaison wurde er erst in der Schlussphase eingewechselt.

Und dann: Entschied Gündogan am Samstag, vor den Augen des United-Kunstschützen Beckham, mit zwei Volleytoren das Pokalfinale für seine Mannschaft. Dabei erzielte er nach zwölf gespielten Sekunden den schnellsten Treffer in der 152-jährigen Finalgeschichte des FA Cups. Solche Tore könne man nicht tra­inieren, sie seien "Instinkt", lobte Mitspieler Kevin De Bruyne. Dass Gündogan im fortgeschrittenen Fußballeralter von 32 nochmals ein höheres Niveau als in den Vorjahren erreicht hat, ist paradoxerweise auch darauf zurückzuführen, dass seine Karriere ohne Champions-League-Titel nicht vollständig wirkt.

Sofern er diese Lücke mit Manchester City schließen kann, hat Gary Neville übrigens angekündigt, die Zusammenstellung seiner kombinierten United-City-Elf noch mal zu überdenken.

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