Süddeutsche Zeitung

Extremsportler und Radfahrer Schwarzhuber:Sehnsucht nach Hawaii

Lesezeit: 4 min

"Mein Leben sollte sich nicht nur um meine Krankheit drehen": Maximilian Schwarzhuber ließ sich beide Unterschenkel amputieren. Nun will er mit dem Rennrad von Flensburg nach Oberstdorf fahren - 1001 Kilometer in 48 Stunden.

Von Carolin Gißibl

Böen peitschen gegen das Rennrad, vier Grad, Regen. Maximilian Schwarzhubers Trikot klebt an seinem Körper, Wasser perlt vom Knie an den schwarzen Carbon-Prothesen entlang bis in die Schuhe. Schwarzhuber stemmt sich gegen den Wind, kämpft zweihundertsiebzehn Kilometer und tausendfünfhundertfünfzig Höhenmeter, vom baden-württembergischen Crailsheim bis ins bayerische Oberstdorf. Die Probeetappe ist gerade einmal ein knappes Fünftel der Tour, die er an diesem Freitag, 6. Mai, in Angriff nehmen will. "Schon nach hundert Metern hatte ich so keinen Bock mehr", erzählt er.

Von Flensburg nach Oberstdorf, quer durch Deutschland, 1001 Kilometer - in 48 Stunden. Das ist das Ziel, seines und das des Extremsportlers Achim Heukemes. Drei Pausen zum Schlafen sind geplant, jeweils 20 Minuten. Was beide unterscheidet: Heukemes ist 70 Jahre alt, Schwarzhuber 29. Der eine ist zehnmaliger Ironman-Teilnehmer, der andere tritt mit Prothesen in die Pedale. Vor fünf Jahren ließ sich Schwarzhuber beide Unterschenkel amputieren - nach seiner Entscheidung.

"Zuletzt sah ich aus wie eine lebende Leiche. Mein Körper war am Ende."

Schwarzhuber sitzt in der lichtdurchfluteten Essecke seines Elternhauses im oberbayerischen Wolnzach. Die großen Fenster rund um die Holzbänke lassen in den grünen Garten blicken. Seine Prothesen hat er auf einem Stuhl abgelegt. Zwei Jahre war er alt, als er nach einem Mittagsschlaf aufwachte und seine Beine nicht mehr bewegen konnte. Seine Mutter erinnert sich, wie sie ihn aus dem Bett gehoben hat: "Er konnte nur noch krabbeln und nicht mehr gehen." Der Bub kommt ins Krankenhaus. Es folgt eine Fehldiagnose nach der anderen. Die Mediziner vermuten einen Tumor im Rückenmark. Sie sagen: Ihr Sohn habe nur noch ein Jahr zu leben.

Die Entzündung frisst sich durch die Nervenbahnen. Von den Füßen über die Beine bis zur Hüfte, sodass er zeitweise nicht mehr sitzen kann. Die Symptome sind typisch für das Krankheitsbild des Guillain-Barré-Syndroms, bei dem es zu entzündlichen Veränderungen des Nervensystems kommt. Schreitet die Lähmung bis zum Herzen oder zur Atem- und Schluckmuskulatur, kann sie tödlich enden. Von da an lernt Schwarzhuber das Kämpfen.

Die Lähmung geht zurück, trotzdem spürt er unterhalb der Knie kaum etwas. Er sei gelaufen wie Forrest Gump, erzählt Schwarzhuber. Dennoch hat er den Drang, sich zu bewegen. Manchmal muss er in den Rollstuhl, schaut zu, wie seine Brüder oder andere Kinder umhertoben. "Das war die reinste Folter damals", sagt er. In der Schule wird er gemobbt, später bekommt er Depressionen. Im Fernsehen schaut sein Vater den Ironman. Die Sportler schwimmen 3,862 Kilometer, fahren 180,246 Kilometer Rad, laufen 42,195 Kilometer. Schwarzhuber träumt davon, dort mitzumachen.

"Warum das Problem nicht einfach abschneiden?", denkt Schwarzhuber - aber alle raten ab

Doch durch die fehlende Sensibilität in den Füßen muss er immer wieder ins Krankenhaus. Ständig sind sie wund und entzündet. Er merkt es nicht, als er sich beide Sprunggelenke zertrümmert oder in einen Nagel tritt. Erst durch Blutspuren auf dem Boden erkennt er die Verletzung. Manchmal schläft er 14 Stunden am Tag, weil sein Körper das einfordert. Vielleicht auch wegen der Medikamente. "Zuletzt sah ich aus wie eine lebende Leiche. Mein Körper war am Ende."

An einem Februartag 2017 muss der damals 24-Jährige mal wieder mit starken Schmerzen ins Krankenhaus. Der Arzt sagt: Zwei Tage später, und wir hätten die Unterschenkel amputieren müssen. "Warum nicht?", denkt Schwarzhuber. "Warum das Problem nicht einfach abschneiden?"

Ärzte raten ab. Prothesenbauer raten ab. Prothesenträger raten ab. Der Knochen könnte weiterwachsen, er könnte sein Leben lang unter Phantomschmerzen leiden oder aus dem Rollstuhl nie mehr aufstehen. Aber Schwarzhuber wagt den Schritt in die Ungewissheit: Am Valentinstag 2017 ließ er sich beide Unterschenkel amputieren. "Ich wollte frei sein", sagt er heute. "Mein Leben sollte sich nicht nur um meine Krankheit drehen, es sollte sich nicht anfühlen wie ein Kampf. Nach der Amputation wusste ich, es gibt nur noch eine Richtung - und die ist vorwärts."

Er betrachtet jede Entscheidung wie eine Amputation: Es gibt nur diesen einen Weg und kein Zurück mehr

Vier Tage nach der Operation beginnt Schwarzhuber zu trainieren, lernt zum dritten Mal gehen, nach 136 Tagen rennt er seinen ersten Zehnkilometerlauf, danach einen Halbmarathon, einen Triathlon, den ersten Marathon. Heute ist der gelernte Informatiker Redner und Coach für mentale Stärke, steht mit leicht zur Seite gegelten Haaren auf der Bühne, die Prothesen unter der kurzen Lederhose für das Publikum gut sichtbar. "Es sind nicht unsere Beine, die uns bewegen, es ist unser Denken", sagt er. Mit Sportsfreund Achim Heukemes radelte er bereits vergangenes Jahr von München über die Alpen nach Venedig - in 22 Stunden und 50 Minuten. Nach der Deutschlanddurchquerung will er seinen Traum verwirklichen: den Ironman auf Hawaii, kommendes Jahr.

Auf Facebook folgen Maximilian Schwarzhuber mehr als 2700 Abonnenten. In seinem Podcast "Beinfreiheit - echte Männer haben keine kalten Füße" interviewt er Menschen mit Schicksalsschlägen und stellt sich den Fragen der Zuhörer: "Wo sind deine Füße jetzt?" oder "Wie hast du Sex?" Schwarzhuber möchte Hemmungen abbauen. "Viele Leute wissen nicht, wie sie sich gegenüber Menschen mit Handicap verhalten sollen." Auf seinem Blog gibt er den Rat, jede Entscheidung wie eine Amputation zu betrachten: Es gibt nur diesen einen Weg und kein Zurück mehr.

So sieht er es auch für seine Tour am 6. Mai, in 48 Stunden Deutschland mit dem Rennrad zu durchqueren. Das schwarze Cube-Rad steht in der Garage bereit. Unberechenbar könnten Verkehr und Wetter werden - und die Konzentration, die nachlässt. Zudem: Schwitzt Schwarzhuber in den Prothesen, rutscht er raus und rein. Ein Antitranspirationsspray soll zwar helfen, doch schwitzt er weniger, erhöht sich die Reibung, was vor allem an den Knien schmerzt. Das Team, das die beiden begleiten wird, dürfe aber keine Gnade haben. "Selbst wenn die Ausrede für eine Pause noch so gut ist - ich habe ihnen eingeimpft: Kein Mitleid!"

Und wenn es nicht klappt? Schwarzhuber sagt: "Man scheitert vorwärts."

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