Bastian Schweinsteiger gab Anlass zur Sorge. Es schien zwar nicht so schlimm zu sein, wie es die Bilder verhießen, aber ernst genug sah es aus, als ihn die Betreuer am Rasenrand verarzteten und Schweinsteigers Körper so mechanisch zuckte, als ob er auf dem Seziertisch von Dr. Frankenstein läge. Dann betrat Kevin Großkreutz die Szene, er machte sich bereit für die Einwechslung. Sein erster WM-Einsatz, und das gleich im Finale von Rio vor den Augen der gesamten Menschheit.
Bekanntlich hat sich Schweinsteiger nach der Notbehandlung doch lieber noch mal aufs Feld geschleppt, und so kehrte Kevin Großkreutz zwar ohne Einsatz, aber immerhin als amtlich anerkannter Weltmeister vom Turnier zurück. Im Sommer schickte ihm Schweinsteiger, sein WG-Vorsteher im WM-Quartier Campo Bahia, Urlaubsgrüße und ein Glückwunschvideo zum Geburtstag. "Wir sind tatsächlich Freunde geworden", teilte Großkreutz stolz mit. Selige Zeiten. Alte Zeiten.
Inzwischen setzt Schweinsteiger sein Weltbürgerleben bei Manchester United fort, während Großkreutz an dem Versuch scheiterte, die stagnierende Profikarriere bei Galatasaray Istanbul wiederzubeleben. Nun wurde bekannt, dass er von Heimweh geplagt wird und endlich zurück nach Dortmund-Eving möchte.
Kenner in Dortmund sind davon überzeugt, dass der größte sportliche Erfolg in der Karriere des 27-Jährigen nicht nur positive Spuren in seinem Leben hinterlassen hat. Bei der Borussia entstand im Laufe des folgenden Jahres der Eindruck, dass sich Großkreutz tatsächlich für einen Weltmeister hielt. Er geriet mit seinem Mentor Jürgen Klopp aneinander, gab seinen Missmut zu erkennen, wenn er nicht zum Einsatz kam, die Eskapaden häuften sich. Bis zum 19. Spieltag bestritt Großkreutz 17 Einsätze, nach seinem letzten Bundesligaspiel für den BVB war die Mannschaft Tabellenletzter. Dann zog sich Großkreutz einen Muskelbündelriss zu, und aus dem Krankenstand erlebte er, wie Klopp mit seinem Team das Feld von hinten überholte.
Die neue Saison hat dem Weltmeister erst recht kein Glück gebracht. Thomas Tuchel hatte keine Verwendung für ihn, in seinem Heimat- und Herzensverein war nur noch im Regionalligateam Platz. Nach Einsätzen gegen Verl, Viktoria Köln, die Sportfreunde Lotte und Ahlen entschied er sich zum Wechsel nach Istanbul. Weil Galatasaray es aber nicht schaffte, rechtzeitig die Transferdokumente an die Verbände zu schicken, erhielt Großkreutz keine Spielgenehmigung. Erst zur Rückrunde hätte er in der Süper Lig starten dürfen. Aber so lang hat er es nicht ausgehalten.
Die Anfänge in der Türkei seien "verdammt schwer" gewesen, hatte er in einem Interview mit Sport Bild eingestanden. Besser wurde es nicht mehr. So erinnert sein Schicksal an einen anderen entwurzelten WM-Helden aus Dortmund. Auch David Odonkor verließ nach der WM 2006 nicht ganz freiwillig die Heimat, um sich Betis Sevilla anzuschließen. Es sollte für alle Beteiligten eine große Sache werden, doch profitiert hat - mit 6,5 Millionen Euro Ablöse - nur der BVB.
Für den verlorenen Sohn Großkreutz sieht sich Borussia Dortmund nun nicht mehr zuständig, die Heimkehr muss er selbst regeln, die Kosten wird er selbst zu tragen haben. Galatasaray ist bereit, Großkreutz gehen zu lassen, aber der Verein möchte das investierte Geld - Ablösesumme und Gehalt - zurück haben. Interessenten in der Bundesliga sollten sich für den vielseitigen Profi finden lassen (der BVB wird nicht dazugehören), aber es wird ein Neuanfang ohne Weltmeister-Bonus.