European League of Football:Umstrittener Kick-off

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Ende und Neubeginn: 2007 standen sich Frankfurt Galaxy und Hamburg Sea Devils im Finale der NFL Europe gegenüber, die Hanseaten gewannen. Die Liga gibt es nicht mehr, die Teams wieder: Am 20. Juni treffen beide zum Auftakt der neuen European League of Football aufeinander. (Foto: Oliver Schneider/Imago)

Trainer und TV-Experte Patrick Esume will Football in Deutschland mit einer neuen Liga voranbringen. Kurz vor Saisonstart haben einige Teams aber noch nicht trainiert - und die bestehende Liga klagt über Abwerbungen.

Von Alina Götz, München

Sportpolitisch sei in Hamburg in den vergangenen Jahren einiges schiefgelaufen, sagt Max Paatz, General Manager des Footballteams Hamburg Sea Devils: das abrupte Ende der Freezers in der Deutschen Eishockey Liga, der Absturz der Handballer. Und der HSV? "Dümpelt in der zweiten Liga rum", sagt Paatz. Die Wiedergeburt der Sea Devils kommt also eigentlich genau richtig. Aus der letzten Saison der NFL Europe, einem Ableger der nordamerikanischen National Football League, hatten sie sich 2007 als Meister verabschiedet. Bis zu 40 000 Menschen hatten ihre Spiele besucht, erzählt Paatz.

Dies könnte der Beginn einer romantischen Geschichte sein. Nicht nur in Hamburg, auch an anderen Standorten aus der NFL Europe-Ära wurden Teams reaktiviert: Berlin Thunder, Köln Centurions, Frankfurt Galaxy. Sie wollen künftig in der neu gegründeten European League of Football (ELF) um Titel spielen. Auch dabei sind ganz neue Teams aus Leipzig und Stuttgart, der mehrmalige polnische Meister Breslau sowie die Barcelona Dragons.

Die Idee: es besser zu machen als die NFL Europe und der Amateurbereich in Deutschland

Ausgedacht hat sich das Konzept der ehemalige Spieler und Trainer Patrick "Coach" Esume. Der 47-jährige gebürtige Hamburger ist als TV-Experte so etwas wie das Gesicht des deutschen American Football. Die so schlichte wie schlüssige Ausgangsidee: es besser zu machen als die NFL Europe und der Amateurbereich in Deutschland, "damit unser Sport die Bühne bekommt, die er verdient". Die NFL Europe wurde aus den USA organisiert. Die teilnehmenden Klubs kauften sich als abhängige Lizenznehmer in das Franchise-System ein. Das sei jetzt anders, versichert Esume, genau wie die mediale Aufmerksamkeit für Football. Zum Super Bowl, dem Finale der NFL, schalteten zuletzt mehr als 2,4 Millionen Menschen bei Pro Sieben ein - Rekord. Dass der von Esume ernannte "Footballsender Nummer eins" nun viele ELF-Spiele bei ran.de und Pro Sieben Maxx zeigt, sei naheliegend gewesen. Als Commissioner der ELF ist Esume auch für deren Expansion zuständig: Auf 24 Teilnehmer soll die Liga in den nächsten Jahren wachsen.

"Wenn alles super wäre in der Liga, warum wandern die Spieler dann ab?", fragt Patrick Esume, Commissioner der European League of Football. (Foto: Horst Galuschka/Imago)

So viel zur Romantik. Denn es gibt auch Kritik an der Idee, vor allem aus der German Football League (GFL) - und der Zeitdruck ist enorm. Am 20. Juni soll die Saison beginnen, der Spielplan steht. "Mehr als den Trainer haben die Kings noch nicht", meldete indes die Deutsche Presse-Agentur am 7. April zur Situation in Leipzig. Einen Ansprechpartner in Leipzig konnte die ELF auch Mitte des Monats noch nicht vermitteln, ebenso wenig nach Berlin. Frankfurt hat zwar einen fast kompletten Kader, beginnt mit dem gemeinsamen Training aber erst Anfang Mai. Stuttgart übt bereits in Gruppen, sucht nach eigenen Angaben aber noch weitere Trainer.

Die 65 Spieler und 14 Trainer der Sea Devils trainierten am vergangenen Wochenende dank einer Sondergenehmigung der Stadt Hamburg erstmals alle gemeinsam. Allerdings ohne Uniform, Helm und Bälle - die Ausrüstung trudelte erst im Lauf der Woche ein. Die meisten Spieler kennen sich aus der Jugend, sagt Paatz. Einige hätten in der GFL gespielt, Defensive End Kasim Edebali kann sogar NFL-Erfahrung unter anderem in New Orleans und Los Angeles vorweisen. "Jetzt bringen wir die Menschen wieder zusammen", sagt Paatz. Mit ihrer "Allstar-Mannschaft" rechnen sich die Devils gute Chancen aus.

GFL-Chef Axel Streich sagt, die ELF bediene sich "kostenlos und rücksichtslos" an bestehenden Strukturen

Das Team steht also. Bleibt das Problem, innerhalb von zwei Monaten eine wettbewerbsfähige Mannschaft zu formen; aus Spielern, die eineinhalb Jahre weder Football gespielt noch trainiert haben - die GFL-Saison 2020 wurde wegen der Pandemie abgesagt. "Das ist extrem sportlich, aber nicht unrealistisch", glaubt Paatz. Die Spieler seien erfahrene Footballer und hätten mit ihren Trainern bereits zusammengearbeitet - beide wurden in großer Zahl von den Elmshorn Fighting Pirates geholt. Paatz war dort Sportdirektor.

Was das für Elmshorn bedeutet, das im Herbst zum ersten Mal überhaupt für die GFL gemeldet hatte? Die Lizenz für die erste Liga wurde abgegeben, die erste Männermannschaft aufgelöst - allerdings auch wegen der schwierigen finanziellen Situation in der Pandemie, wie der Verein im Dezember einräumte.

Was die Sea Devils als Wiedervereinigung der Hamburger Jungs feiern, wurde von der GFL bereits im November heftig kritisiert. Es habe sich bestätigt, sagt Ligavorstand Axel Streich, dass die ELF sich "kostenlos und rücksichtslos" an bestehenden Strukturen bediene. Dem GFL-Verein Frankfurt Universe habe das ELF-Franchise Frankfurt Galaxy Spieler und Trainer abspenstig gemacht, in Köln bei den Cologne Crocodiles befürchtet man dasselbe. In Stuttgart werden geschätzt rund 75 Prozent des Spieler aus der GFL kommen. Auch um Trainingsplätze, Stadien, Sponsoren und Schiedsrichter wird konkurriert. GFL-Chef Streich glaubt nicht, dass es der neuen Liga um die Weiterentwicklung des Sports geht - sondern um Gewinnmaximierung. Das Timing der ELF ist prekär: Nach jahrelangen Unzufriedenheiten mit dem deutschen Verband - aus diesem Streit entstand die ELF überhaupt - steht die GFL aktuell vor einem Umbruch, soll professionalisiert werden.

"Jetzt bringen wir die Menschen wieder zusammen": General Manager Max Paatz vergangene Woche beim Trainingsauftakt der Hamburg Sea Devils. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Neben Elmshorn sind auch Ingolstadt und Hannover mit dem Standort Hildesheim raus aus der GFL: Dort waren Kapitalgesellschaften mit dem Ziel des Aufbaus einer ELF-Franchise gegründet worden, erzählt Streich. Diese hätten den dortigen Vereinen Spieler, Trainer und Sponsoren abgeworben. Die Verhandlungen mit der ELF sind inzwischen jedoch gescheitert; zumindest 2021 werden Ingolstadt und Hannover weder in der GFL noch in der ELF vertreten sein. In Stuttgart, wo sich das neue Team dem ASC Scorpions anschließen wollte, wehrten sich dessen Mitglieder und besetzten den Vorstand neu. Das Konstrukt hätte die Existenz des Vereins gefährdet, begründete ein Sprecher den Schritt.

"Sie haben das Recht, frei zu entscheiden, wo sie spielen wollen", sagt Esume zu den Transfers. Und: "Wenn alles super wäre in der Liga, warum wandern die Spieler dann ab?" Den Vorwurf, den Sport nicht weiterentwickeln zu wollen, findet er "lächerlich". Er gehe davon aus, dass die GFL sogar davon profitiere, wenn Football in Deutschland einen anderen Stellenwert bekommt. Und "natürlich" gehe es in der ELF um Gewinne, das sei das Prinzip: Was die Liga einnimmt, geht wieder an die Franchises. Lücken im Budget, wie sie GFL-Vereine oft hätten, wolle man so verhindern. Lizenzgebühren gebe es nicht, sagt Esume, die Liga finanziere sich vorrangig aus Sponsoring, TV- und Streaming-Verträgen sowie Zuschauereinnahmen.

Auch was ein Team insgesamt ausgeben darf, ist laut Esume geregelt - für mehr Chancengleichheit, ganz nach amerikanischem Vorbild. "Wir wollen ja nicht, dass es wie in der Bundesliga jedes Jahr den gleichen Meister gibt." Der Frankfurter Etat etwa liege im ersten Jahr zwischen 750 000 und 950 000 Euro - abhängig davon, welches Corona-Konzept gefahren werden müsse, sagt Alexander Korosek, geschäftsführender Gesellschafter der Galaxy. Die Pandemie könnte freilich noch entscheidenden Einfluss auf den Saisonverlauf nehmen: Muss ein Team in Quarantäne, werden die verpassten Spiele als verloren gewertet, erklärt Paatz. Für Ersatztermine bietet der Spielplan keinen Raum, praktisch jedes Wochenende bis zum Finale am 26. September ist belegt.

Zur Saisoneröffnung am 20. Juni empfangen die Sea Devils Hamburg den viermaligen NFL-Europe-Champion Frankfurt Galaxy, der beim ersten Titelrennen "ein großes Wörtchen mitreden" will. Das Duell wird das erste Livespiel bei Pro Sieben Maxx sein. Das Kommentieren überlässt Patrick Esume dann seinen TV-Kollegen.

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