Süddeutsche Zeitung

European Championships:Die Aufregung ist raus

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Die deutschen Turnerinnen meistern die EM-Qualifikation mit starker Leistung. Neben dem Teamfinale erreichen auch je zwei die Einzelendkämpfe an Schwebebalken und Stufenbarren.

Von Volker Kreisl

Der Schatten des Olympiaturms lag zu dieser frühen Zeit noch lang dahingestreckt, als wolle er nicht aufstehen. Hier und dort brummte am frischen Morgen ein Müllwägelchen über die kleinen geschwungenen Straßen und Wege und machte sich an die Mülleimer, in denen sich die Reste der Eröffnungsfeier vom Vorabend als gestopfte und getürmte Kunstwerke präsentierten: Alte Pommes-Schachteln, Bierflaschen, Tüten...

Trotzdem war es ein schöner Morgen, jedoch für nicht wenige Menschen, bestimmt waren es schon tausend, ging es sogleich wieder ins Schattige, nämlich in die Turnhalle, besser gesagt in die als große Turnarena umgebaute Olympiahalle. Dort stieg die Qualifikation, diesmal die der Frauen. Diese Vorkämpfe versprechen in diesem Sport schon von Beginn an Spannung: ein Fehlgriff, und alle Träume sind geplatzt. Mehr und mehr füllten sich die Ränge, und die deutschen Zuschauer, vielleicht waren's mittlerweile zweitausend, legten sich bei jedem gelungenen Abgang, jeder eleganten Landung ins Zeug. Schließlich waren es die Deutschen, die da in der ersten von vier im Turnen sogenannten "Subdivisionen" dran waren.

Kim Bui und Emma Malewski, die Älteste und die Jüngste, tragen maßgeblich zum Erfolg bei

Es ist aber kein Militärsport, sondern das Gegenteil: Eleganz, Grazie in Verbindung mit Kraft und Technik machen den Reiz aus. Und die Mannschaft von Bundestrainer Gerben Wiersma hatte am Morgen den Grundstein gelegt für das, was folgte, weshalb kurz in den Abend gesprungen werden muss: Nach neun Stunden Quali, um kurz nach acht, war das Warten der Deutschen zu Ende. Die letzte Turnerin der letzten Division fertig und das Ergebnis stand endlich fest: Das Quintett des Deutschen Turner-Bunds qualifizierte sich als Vierte für das Teamfinale am Samstag. Zudem rückten Kim Bui und Elisabeth Seitz in das Finale am Stufenbarren ein, Pauline Schäfer und Emma Malewski wiederum stehen im Endkampf am Schwebebalken. Gold im Mehrkampf ging an die Italienerin Asia D'Amato.

Alles war dabei beim Auftritt der Deutschen: Zwei dem Publikum gut bekannte Medaillengewinnerinnen, die Schwebebalken-Weltmeisterin Pauline Schäfer-Betz und die Stufenbarrenspezialistin Elisabeth Seitz; zudem die erfahrene Sarah Voss, die allerdings diesmal am Balken nach einem knapp zu weit gesetzten Schritt sich leicht beim Abgang verletzte und ihre weiteren Übungen entschärfen musste; und, diesmal besonders wichtig: eine besonders erfahrene und eine besonders junge Athletin: Kim Bui, 33, und Emma Malewski, 18. Fünfzehn Jahre liegen zwischen den beiden, was sie an diesem Vormittag aber verband, war ihr Beitrag für diesen Qualifikationserfolg.

Die eine, Bui, sicherte mit ihrer Stabilität den Erfolg ab. Jede in der ganzen Riege wusste: Wenn sie mit ihren höher gewerteten, weil schwierigeren Übungen patzte, dann war da immer noch Bui. Sie trat an und bestach mit Eleganz. Und selbst, wenn sie mal schon zu Beginn der Übung kurz strauchelte, wie am Boden, so rettete sie sich doch noch in einen sauberen, etwas geschwindelten Übergang, der zumindest die Haltungsnote kaum leiden ließ.

Emma Malewski aus Hamburg bildete mit ihrer Leistung das Gegenstück zu Bui. Ihre Stärke ist nicht Abgeklärtheit, sondern jene Sicherheit, die Sporttreibende auszeichnet, welche noch nichts zu verlieren haben. Es wirkte, als hätte das Trainerteam Malewski volle Freiheit zur Attacke zugestanden, jedenfalls überzeugte sie an fast jedem Gerät - vor allem am ersten.

Malewski setzt den Grundstein, mit einer sicheren Auftaktübung am Schwebebalken

Malewski war als Auftaktturnerin vorgesehen, sie sollte den Auftritt der gesamten deutschen Riege eröffnen. Es ging auf den Schwebebalken, ein Gerät, das nicht unbedingt ihr bestes ist, doch sie schien in diesem Moment nichts zu befürchten. "Ich stand von Anfang an auf dem Plan", sagte sie später, sie habe gezweifelt, ob das jetzt sein muss, bei ihrer allerersten großen Meisterschaft. Aber dann entschied sie sich selber dafür, sie fühlte sich ja wohl, hatte auch in den Probedurchgängen keine Schwierigkeiten. Und nachdem sie alle kopfgesteuerten Zweifel aufgelöst hatte, legte sie los.

Malewski bestand ihre erste Akrobatik, stand auch die weiteren Spagat- und Durchschlagsprünge und Drehungen und kam, zwar mit etwas Armrudern, aber doch sicher nach ihrer Mehrfachpirouette in den Stand - auf dem zehn Zentimeter breiten Balken. Nervös war sie nicht, was so auch nicht ganz stimmte, denn sie bemerkte später: "Ich hab versucht, mich ein bisschen runterzubringen." Atemübungen macht sie dann, oder sie weicht auf andere Techniken aus: "Es geht darum, die Aufregung, die man in sich hat, nach außen zu bringen." Zum Beispiel, indem man sich auf die Stimmung konzentriert, wie Malewski. Und es hat geklappt. Deren Aufregung verschwand dann irgendwo auf den Rängen, die 18-Jährige jedenfalls war sie los.

Malewski legt nun richtig los mit diesem Sport, während Kim Bui dem Gegenteil entgegensieht: Sie wird nach diesem Wochenende ihre aktive Karriere beenden. Noch aber ist es nicht so weit. Am Donnerstag, zu Beginn dieses um die Mittagszeit ersten Teils eines noch langen Wochenendes mit Team- und Einzelfinals, wollte Kim Bui noch nicht an die Zeit danach denken. Der morgendliche Schatten des Fernsehturms war ja auch noch ziemlich lang.

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