Süddeutsche Zeitung

Inklusion im Kanusport:Ein Bootshaus für alle

Lesezeit: 3 min

Die Kanuten zeigen, wie Inklusion im Sport funktioniert - und zwar schon seit Jahren. Doch auch hier sind noch nicht alle Hindernisse aus dem Weg geräumt.

Von Barbara Klimke, München

Im Laufe der Europameisterschaft kam die Sprache dann doch auf die schöne Rampe. Mit vorbildlich sanftem, langem Anstieg führte sie an der Regattastrecke hinauf zum hölzernen Podium. "Das ist allerdings nichts, was man heutzutage noch ausdrücklich hervorheben müsste", sagte Edina Müller, für die solche Medaillenpodeste seit Jahren zentraler Bestandteil ihrer Karriere sind. Und dann rollte sie zielstrebig nach oben.

Edina Müller, 39, hatte am Sonntag einen Start-Ziel-Sieg auf der 200-Meter-Paddelstrecke gefeiert, mit einer Überlegenheit, die sogar den Bundestrainer erstaunte. "Ich bin aggressiv nach Plan gefahren", erklärte die Paralympics-Siegerin aus Hamburg bei der Medaillenvergabe, als sie wieder in ihrem Rollstuhl saß, vergnügt. Eine komplette Bootlänge legte sie zwischen sich und ihre Dauerrivalin, die Weltmeisterin Maryna Mazhula aus der Ukraine. Wie Edina Müller in der Startklasse Kl1 war zuvor auch Lillemor Köper, 38, im Finale in der Klasse Vl1 Europameisterin geworden: Die gewohnt üppige Medaillenausbeute des Deutsche Kanu-Verbands (DKV) bereicherten die Parakanutinnen vergangene Woche mit zwei von insgesamt acht Goldplaketten.

Bei den elftägigen European Championships, dem Münchner Multikulti-Spektakel, hatten Auftritte von Parasportlern Seltenheitswert. Nicht so auf der Regattastrecke in Oberschleißheim, zunächst bei den Ruderern, dann bei Kanuten, denn dort gehören sie zum gewohnten Bild. Und zwar seit Jahren schon, wie Thomas Konietzko, der Präsident des internationalen Kanuverbandes ICF, betont: "Wir machen keine Unterschiede zwischen den Bootsklassen von nicht behinderten und behinderten Sportlern. Das ist Teil unserer Satzung und inzwischen längst normal." Wettkampfpaddeln ist barrierefrei.

Auch den Ausrichtern der European Championships machten die Kanuten klar, dass in ihrem Sport die Para- und Rennathleten grundsätzlich gleichberechtigt starten, als Teil des vorgeschriebenen Programms, so bestätigt von den Mitgliedern. "Nachdem die deutsche Politik uns unterstützt hat, haben die privaten Organisatoren das natürlich sehr begrüßt", sagt Konietzko.

Der Bootsbauer schraubt am Vierer der Olympioniken - und an den Parakajaks

Bereits 2009 gab es bei der Weltmeisterschaft in Kanada erstmals Demonstrationsrennen. Ein Jahr später war Parakanu offizieller Teil des WM-Programms, 21 Länder meldeten Athleten an. Heute sind es 60 Nationen, die Parasport in zwei Wettkampfbooten bestreiten: im Kajak und im Va'a, einem Outrigger oder Auslegerkanu. Das sind seit 2016 auch die paralympischen Boote.

Doch so problemlos, wie es klingt, hat sich der Übergang zur Inklusion vor zehn Jahren nicht vollzogen. Konietzko, seit 2010 Präsident des DKV, musste mit den fortschrittlichen Kollegen in den internationalen Verbandsgremien zunächst den Widerstand der beharrenden Fraktion brechen. Anfangs paddelten die Parakanuten beispielsweise nur am Rand der Regattastrecken. "Die konservativen Kräfte wollten keine Änderung am Rennverlauf zulassen", erzählt er, "die fanden, die Neuen sollten sich erst einmal hinten anstellen." Inzwischen hat sich erwiesen: Durch das integrierte Programm hat der Sport in allen Belangen gewonnen.

Im Bootshaus in Oberschleißheim, wo sich Para- und Rennathleten des DKV versammelten, zeigte sich, wie sehr der Kanusport zusammengewachsen ist. "Das Schöne ist, dass wir in der Nationalmannschaft komplett integrativ arbeiten können", sagt Para-Bundestrainer Andre Brendel. Sogar der Bootsbauer werde gemeinsam genutzt, er schraubt am Deutschland-Vierer der Olympiasieger genauso wie an den Einern von Edina Müller, Lillemor Köper, Esther Bode, Anja Adler, Felicia Laberer, Katharina Bauernschmidt und Anas Al-Khalifa, den in München versammelten Mitgliedern des Parateam.

Überall, sagt Brendel, ergäben sich Synergien, in der Logistik wie im Miteinander. Den Lehrgang am Stützpunkt Duisburg vor den Weltmeisterschaften in Kanada haben alle gemeinsam bestritten. Und bei deutschen Meisterschaften gibt es sogar Mixed-Rennen: Da griffen zwei Kanugrößen, Paralympics-Siegerin Edina Müller und Olympiasieger Ronald Rauhe, schon mal gemeinsam zum Paddel.

Doch so eng verzahnt das Wettkampfprogramm ist, so offensichtlich sind auch weiterhin die Diskrepanzen. Die Pararennen aller zwölf Klassen im Va'a und Kajak für Männer und Frauen sind bislang auf die kurze Sprintstrecke von 200 Metern beschränkt. Die Olympiaathleten, also diejenigen ohne Einschränkungen in der Rumpfbeweglichkeit, fahren auch 500 und 1000 Meter. "Ein paar längere Rennen wären schön", sagt Edina Müller.

Europameisterin mit Halbtagsstelle

Und auch bei der finanziellen Förderung treten Unterschiede zutage. Die Parakanuten werden vom Bundesinnenministerium sehr großzügig unterstützt, sagt Bundestrainer Brendel. Aber die Europameisterin im Vl1, Lillemor Köper, und die EM-Zweite, Esther Bode, können trotzdem nur mit nicht-staatlichen Mittel gefördert werden - weil ihre Startklasse, jene mit der stärksten Einschränkung, noch nicht im Programm der Paralympics verankert ist. "Wir haben Sportler unterschiedlichster Behinderung, und wir wünschen uns, dass wir intern nicht differenzieren müssen, nur weil jemand das Glück hat, in einer paralympischen Startklasse zu sitzen", sagt Brendel: "Das tut uns allen weh." Lillemor Köper und Esther Bode konnten nur nach München kommen, weil sie einen privaten Sponsor fanden.

Und dann war da noch ein kleiner Kontrast: Edina Müller, diplomierte Sporttherapeutin, arbeitet mit einer Halbtagsstelle. Die Europameisterin wird diese Woche wieder in Hamburg im Dienst erwartet.

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