European Championships:Genuss bis unter die Haut

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Geschafft: Die deutsche Kletterin Hannah Meul gewinnt Silber. (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Sie strahlt und strahlt: Hannah Meul gewinnt Silber im Bouldern und freut sich trotz enormer Strapazen auf die nächste "Riesenparty". Ihre männlichen Kollegen dagegen sind tief enttäuscht.

Von Ralf Tögel

Feiern? Jetzt? Hannah Meul musste lachen, eigentlich lachte sie ständig, so überwältigt war die Sportkletterin. Die Silbermedaille baumelte um ihren Hals, es war die erste für die deutsche Mannschaft, dabei wurden die angepeilten Trophäen bei den European Championships eher im Männerteam erwartet. "Ich will eigentlich nur ins Bett, lange ausschlafen und dann hoffen, dass die Haut an den Händen nachwächst" sagte sie.

Die Anstrengungen der vergangenen drei Tage waren enorm, berichtete die Kletterin aus Frechen: erst die Qualifikationen, dann Halbfinale und Finale im Lead und dann dasselbe Programm im Bouldern. "Auch das Switchen von einem Wettkampf in den anderen hatten wir so noch nie", erklärte die 21-Jährige, "das war sehr intensiv und eine ganz neue Herausforderung für mich." Ihr Erfolgsgeheimnis? "Die positive Energie hat mich getragen, die Zuschauer haben mich gepusht, und ich habe einfach jede Sekunde genossen."

In der Tat strahlte Meul in allen Runden ihrer Wettkämpfe übers ganze Gesicht. Schon im Boulder-Halbfinale deutete sie mit ihrem dritten Platz an, dass sie zum engeren Favoritenkreis zu zählen ist. Und als sie gleich die erste der vier Routen im Finale durchkletterte, war klar, dass sie ganz vorne mit dabei sein würde.

Ein dynamischer Sprung an den nächsten Griff: Hannah Meul im Finale. (Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Zumal dies der übermächtigen Janja Garnbret, die am Vortag schon den EM-Titel im Lead gewonnen hatte, nicht gelang. Aber die Slowenin, die sich bei ihrem Sieg im ersten Wettbewerb den Fingernagel am Zeigefinger eingerissen hatte, wankte nur dieses eine Mal. Die beiden nächsten Routen bewältigte sie jeweils im ersten Versuch. Fingerverletzung hin, extremes Programm her: Garnbret stand schon vor der letzten der vier zu bewältigenden Routen als Doppel-Europameisterin so gut wie fest - als sie als Letzte an die Reihe kam, war ihr Auftritt bereits einer für die Galerie.

Dem Top-Griff der letzten Route, der kontrolliert mit beiden Händen gehalten werden muss, kam die vorher kletternde Meul sogar näher als die Favoritin Garnbret; an der Gesamtwertung änderte das aber nichts. Ihrer Freude tat das keinen Abbruch, vielmehr sei es Ansporn für den Kombinationswettbewerb am Mittwoch: "Jetzt weiß ich, dass ich die Möglichkeit habe zu gewinnen. Es gibt jetzt für mich keine Limits. Das wird eine Riesenparty, die ich genießen will."

Die Stimmung auf dem Königsplatz war herausragend

Das darf man in der Tat erwarten, denn erneut war die Veranstaltung mit 5000 Zuschauern bis auf den letzten Platz gefüllt. Egal, wer an der Wand war, die Besucher peitschten die Athleten nach oben, die Atmosphäre auf Rängen und Stehplätzen war herausragend. Auch draußen auf dem Königsplatz tummelten sich viele Menschen, es herrschte Volksfeststimmung. Die Organisatoren hatten sich einiges überlegt: Passend zu Mini-Olympia, wie die Championships ja gerne genannt werden, ist auf der Mitte des Königsplatzes ein Mini-Oktoberfest errichtet worden. Es gibt Bratwürste, gebrannte Mandeln und kleine Biergärten, neben der Glyptothek kann man sich am sogenannten Multicolour Roof bei exotischeren Speisen und Getränken entspannen. Wieder gab der Königsplatz ein buntes und lebendiges Bild ab, vor allem viele junge Leute und Familien mit Kindern waren unterwegs.

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Die Läuferinnen Miriam Dattke, Domenika Mayer und Deborah Schoneborn siegen in der Teamwertung, die erstmals in eine EM integriert ist. Richard Ringer gewinnt überraschend das Einzel-Rennen.

Das ist auch für den Kombinationswettbewerb am Mittwoch zu erwarten, bei dem Hannah Meul wieder gute Chancen hat. Die Studentin für soziale Arbeit klettert gerade die Saison ihres Lebens, zweimal war sie im Weltcup schon als Zweite auf dem Siegerpodest, spätestens mit EM-Silber ist sie nun endgültig in den Kreis der Profi-Elite geklettert.

Die deutschen Männer versuchen, ihre enttäuschenden Ergebnisse zu erklären

Als die 21-Jährige freudestrahlend von der Siegerehrung kam, boten ihre beiden Teamkollegen ein ganz anderes Bild: Alexander Megos und Yannick Flohé waren dabei, ihr enttäuschendes Abschneiden zu erklären. Beide waren ja als Medaillenanwärter nach München gereist, im Bouldern erreichten sie nicht einmal die Endrunde der besten Sechs, wonach Flohé den Routenbau mit deutlichen Worten als zu schwer kritisiert hatte.

So müsste es gehen: Yannick Flohé und Alexander Megos (von links) studieren die Route, rechts die beiden Slowenen Domen Skofic and Luka Potocar. (Foto: Adam Pretty/Getty Images)

Im Lead-Finale, dem Klettern mit Seilsicherung, das am Sonntagabend unmittelbar nach dem Bouldern der Frauen stattfand, belegten die beiden deutschen Vorzeigekletterer die Plätze fünf und sechs. Sie verpassen somit beide den Kombinationswettbewerb am Donnerstag, der in dieser Form in Paris 2024 erstmals olympisch sein wird. Gaben sich Megos und Flohé nach dem unerwarteten Boulder-Aus noch äußerst wortkarg, hatte das deutsche Duo am Sonntagabend immerhin zu etwas Galgenhumor gefunden. "Bizeps zu klein, Kletterer zu schwach", antwortete Megos, noch bevor die Frage nach einer Einordnung zu Ende gestellt war. Natürlich sei er bitter enttäuscht, gab der 29-Jährige zu, der vor zwei Tagen Geburtstag gefeiert hatte.

Ob der Druck vor heimischer Kulisse zu groß war? Dafür sei er schon zu lange im Geschäft, sagte Megos. "Manchmal riskierst du zu wenig, manchmal zu viel, dann ist der Moment vorbei und es geht nach unten." Flohé, der am Wettkampftag Geburtstag feierte, fand erneut die deutlicheren Worte. Der 23-Jährige galt als klarer Medaillenfavorit, war einer der bestimmenden Profis der Saison, kam immer ins Finale und gewann im Juni den letzten Weltcup vor der EM. "Alles lief scheiße. Ich war in jedem Weltcup besser, da hätte ich gar nicht erst herfahren müssen." Auf das vom Wettkampfsprecher angekündigte Ständchen verzichtete er genervt. Gold im Lead holte sich Adam Ondra, der gemeinhin als bester Kletterer der Welt gilt, vor dem Slowenen Luka Potocar und dem spanischen Olympiasieger Alberto Gines Lopez.

Während Teamkollegin Meul mit der Silbermedaille um den Hals die Arena am Königsplatz verließ und ihr Hotel zwecks Hautpflege an den Händen und einem langen Schlaf ansteuerte, verriet Flohé, wie er mit seinem Kumpel Megos den Abend zu beenden gedenke: "Wir werden uns jetzt hier irgendwo einen Biergarten suchen und etwas essen." Nur essen? Da musste sogar er lachen.

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