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Europaspiele in Russland:"Bevorzugter Partner"

Vorwürfe, Sperren, Sanktionen: Nach Berichten über systematisches Doping ist die Zukunft von Russlands Sport ungewiss - trotzdem soll das Land die Europaspiele 2019 ausrichten.

Von Johannes Knuth

Empfehlung Nummer 27 klingt besonders hübsch. Empfehlung Nummer 27 ist überschrieben mit den Schlagworten "Good Governance", den Prinzipien also, nach denen man eine Organisation bestmöglich führt. Empfehlung Nummer 27 steht in der sogenannten "Agenda 2020". Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), hat diese Agenda im vergangenen November beim Kongress in Monte Carlo verabschiedet, sie umfasst 40 Empfehlungen, die Olympische Spiele billiger und nachhaltiger machen sollen; tatsächlich stärkt sie vor allem die Macht des IOC, aber das ist eine andere Geschichte. Empfehlung 27 also lautet: "Good Governance". Und Good Governance bedeutete, laut IOC, dass Sportverbände und Ausrichter transparent, integer und entgegen "jeder Form der Korruption" wirtschaften sollen.

So ganz haben die Mitgliedsverbände des Europäischen Olympischen Komitees (EOC) damals in Monaco vermutlich nicht aufgepasst, als Bach seine Agenda präsentierte. Am Freitag rief das EOC jedenfalls Russland als Gastgeber der zweiten Europaspiele aus. 2019 sollen sie in Kasan und Sotschi stattfinden, der sündhaft teuren Winterspiele-Oase von 2014. Die erste Auflage dieser kontinentalen Zusammenkunft hatte Aserbaidschan im vergangenen Sommer beherbergen dürfen, jenes Land, in dem die Familie von Autokrat Alijew herrscht und munter Oppositionelle ins Gefängnis wirft. Die Spiele waren nicht nur deshalb umstritten, Funktionäre und Athleten bemängelten, eine derartige Veranstaltung mit ihren 253 Entscheidungen in 20 Sportarten stehe quer und sperrig in der betriebsamen Sportlandschaft. Jetzt also Russland. Das Land sei nach wie vor der "bevorzugte Partner" des Europäischen Olympischen Komitees, sagte dessen Präsident Patrick Hickey auf der 44. Generalversammlung in Prag.

Kleine Gedächtnisstütze: Eine unabhängige Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada hatte vor kurzem in einem 323 Seiten fassenden Bericht eine "tief verwurzelte Betrugskultur" in der russischen Leichtathletik freigelegt. Der nationale Verband, Anti-Doping-Behörden, Laborchefs, Trainer, Ärzte und Sportpolitiker, sie alle sollen systemisch Doping angeordnet und vertuscht haben. Der Leichtathletik-Weltverband verbannte Russland daraufhin auf unbestimmte Zeit von internationalen Wettkämpfen, die Wada entzog dem Kontroll-Labor in Moskau die Akkreditierung, sie suspendierte zudem die russische Anti-Doping-Behörde Rusada. Auch in anderen Sportarten waren zuletzt immer wieder russische Sportler auffällig worden.

Putins Einfluss reicht weit hinein in die Welt der Sportverbände

EOC-Chef Hickey beteuerte, man werde Russland die Europaspiele erst dann offiziell überlassen, wenn es nach den jüngsten Affären nachweise, "dass es ein Anti-Doping-Programm unterstützt, das den höchsten internationalen Standards entspricht". Bach, der russische Sportminister Witalij Mutko und Staatschef Wladimir Putin ließen zuletzt ausrichten, man sei zuversichtlich, dass sich Russlands Sport sogar bis zu den Sommerspielen im kommenden August ausreichend reformieren werde. Wie das gehen soll angesichts einer tiefwurzelnden Dopingkultur, hat bislang niemand schlüssig erörtert. Fakt ist, dass Putins Einfluss weit hinein in die verästelte Welt der Sportverbände reicht, hinein in viele Funktionärsstuben.

IOC-Mitglied Hickey will sich seine Europaspiele jedenfalls nicht kaputtmachen lassen. "Bis zu den Spielen sind es noch vier Jahre", sagte er in Prag, "und es gibt ein reales Potenzial für Russland, bis 2019 ein neues, stabiles Anti-Doping-System und eine saubere Sportkultur" aufzubauen. Mehr noch: "Ich glaube, dass Russland in Zukunft eine Vorreiterrolle spielen kann." Das wäre ein beachtlicher Wandel, in etwa so, als würde die CSU plötzlich für uneingeschränkte Zuwanderung werben. Andererseits kann man Hickey durchaus verstehen, dass er Russland nach wie vor als seinen "bevorzugten Partner" preist. Alle anderen Bewerber waren vor der Wahl abgesprungen.

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SZ vom 22.11.2015
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