Europameister:Ohren zu für Deutschland!

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Ein gutes Team: André Thieme und Chakaria nach dem Gewinn des EM-Titels.

(Foto: Petter Arvidson/Bildbyran/Imago)

Millionendeal oder internationale Karriere? Europameister André Thieme lebt vom Verkauf talentierter Pferde - aber um seine Erfolgsstute Chakaria will er kämpfen.

Von Gabriele Pochhammer, Riesenbeck

Es kommt immer öfter vor, dass sich André Thieme beide Ohren zuhalten muss. Wenn mal wieder einer kommt, der Millionen für seine Chakaria bietet, jene elfjährige Stute, mit der er am Sonntag in Riesenbeck Europameister wurde. "Aber wir sind uns einig, dass wir sie nicht hergeben."

Wir - das sind er selbst und ein Freund seines Vaters. "Mein ganzes Leben habe ich auf so ein Pferd gewartet", sagt Thieme. Jetzt will er es behalten. So jedenfalls ist die Situation heute, ungeachtet der Tatsache, dass man für die Summe, die Chakaria springambitionierten Milliardären vermutlich wert wäre, mehrere nette Einfamilienhäuser bauen könnte. Kaufinteressenten müssen sich notgedrungen unter den anderen Vierbeinern im Stall Thieme in Plau am See umsehen. "Ich habe ja noch mehr Pferde zu verkaufen."

André Thieme ist geprüfter Pferdewirtschaftsmeister und damit Berufsreiter. Er verdient sein Geld durch das Entdecken talentierter Pferde, ihre Ausbildung und ihren Verkauf. Er wäre vermutlich schon öfter in einem deutschen Championats-Team geritten, aber Top-Pferde wie Conthendrix oder Contanga wechselten noch vor dem Einsatz für Deutschland den Besitzer. Als Thieme Chakaria auf einem Turnier in Springpferdeprüfungen entdeckte, da war sie bereits Mutter eines Fohlens, das inzwischen unter dem Namen Dackaria erste Erfolge in schweren Springprüfungen verbucht. Vor drei Jahren übernahm Thieme die damals Achtjährige, die übrigens mit Alice, dem Weltmeisterschaftspferd von Simone Blum, verwandt ist.

Pferdesport, Springreiten EM in Riesenbeck 210905 Andre Thieme of Germany with horse DSP Chakaria competes during the in

Nur Fliegen ist schöner: André Thieme und Chakaria.

(Foto: Petter Arvidson/Bildbyran/Imago)

Seit seinem Sieg in Riesenbeck schwebt der 46-jährige Mecklenburger auf Wolke sieben. Er beschrieb hinterher wieder und wieder seine Gefühle: die Bedenken, die ihn angesichts des äußerst schwierigen letzten Parcours beschlichen, und schließlich das Herzklopfen, als eine Stange fiel ­­- eine zweite hätte es nicht werden dürfen, dann wären die Medaillen weg gewesen. André Thieme ist einer, der sich Frust wie Freude von der Seele redet.

Bei Olympia in Tokio war es die Enttäuschung über einen selbstverschuldeten groben Fehler gewesen, der ihn den Start im Einzelfinale kostete, der Frust über die langweiligen Tage im Hotel, die Pandemie-bedingten Einschränkungen, die den Reitern nicht mal gestatteten, sich andere olympische Sportarten anzusehen. "Tokio kam ein bisschen früh für uns", sagte er, "ich habe mir das wohl einfacher vorgestellt, aber wir beide, mein Pferd und ich, haben viel gelernt."

Das zahlte sich jetzt aus. Einen Flüchtigkeitsfehler im ersten Springen machte Thieme mit zwei Nullrunden im Nationenpreis wieder wett. Der erste Lohn, noch vor dem Einzelgold, war die Mannschafts-Silbermedaille für das Team von Bundestrainer Otto Becker.

Sein Vater war Obersattelmeister. Was blieb Thieme da anderes, als zu reiten?

Als Kind blieb André Thieme wenig anderes übrig, als zu reiten. Sein Vater Michael war Obersattelmeister im Mecklenburger Landgestüt Redefin. Natürlich musste der Junge aufs Pferd. Aber zunächst musste er im Dressursattel ordentlich reiten lernen. Erst nachdem ihm das Goldene Reiterabzeichen verliehen worden war - mit 19 Jahren und nach zehn Siegen in der schweren Dressurklasse -, erlaubte ihm sein Vater, in den Springsport umzusteigen. Von der strengen väterlichen Schule profitiert Thieme noch heute bei der Ausbildung seiner Pferde. Dem gesamtdeutschen Publikum fiel der blonde Hüne erstmals auf, als er mit Nacorde das Deutsche Springderby in Hamburg gewann, insgesamt drei Mal, 2007, 2008 und 2011. Sein Foto mit Nacorde beim Absprung vom berüchtigten Großen Wall schmückt bis heute das Derbyplakat.

In den vergangenen Wintern verbrachte Thieme häufig mehrere Wochen in den USA, etwa bei den Turnieren in Florida - ein gutes Pflaster zum Geldverdienen, durch hohe Preisgelder und den parallel laufenden Pferdehandel. 2011 gewann er den Millionen-Grand-Prix von Saugerties in New York, auf dem belgischen Pferd Aragon Rouet, da kamen auf einen Schlag 260 000 Euro in die Kasse. Diese Woche geht es noch mal mit anderen Pferden zum Turnier nach Hagen, Chakaria hat schon Pause. Auch Thieme will dann ein bisschen verschnaufen, er lässt den CHIO Aachen in der übernächsten Woche aus.

Am Sonntagabend hat André Thieme sich erst selbst darum gekümmert, dass sein Prachtpferd in Riesenbeck heil auf den LKW kletterte, mit Decke und Bandagen für die Reise ausgerüstet, bevor sich die Pflegerin auf den Weg zur Autobahn machte. Thieme selbst brauste im PKW vor, denn zuhause warteten Freunde, Nachbarn und die Kumpels der Altherrenfußballmannschaft aus Lübz schon auf den Europameister. Um 23 Uhr ging die Party los. Und am Montagmorgen mussten die Pferde ein bisschen länger warten, ehe der Chef im Stall erschien.

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