Süddeutsche Zeitung

Europacup-Bilanz: Die Bundesliga - von einem schweren Morbus ergriffen?

Die Bundesligisten versagen im Europacup flächendeckend. Doch alles auf den aggressiven Kapitalismus im Fußball zu schieben, ist zu einfach.

Kommentar von Philipp Selldorf

Ist die Bundesliga der kranke Mann von Europa? Die akuten Symptome sehen erschreckend eindeutig aus: Eine Liga, die ein halbes Dutzend Vertreter in den Wettbewerb schickt und dann in einem Dutzend Europapokal-Spielen zehn Niederlagen erleidet und lediglich einen einzigen Sieg zustande bringt, die muss wohl von einem schweren Morbus ergriffen worden sein.

Schnell ist jetzt der Verdacht zu hören, die nach Kaufmannsart geführte deutsche Liga sei ein Opfer des aggressiven Kapitalismus in Europas Fußball und werde von den wuchernden Budgets der ausländischen Konkurrenz beiseitegedrängt. Diese Schlussfolgerung ist jedoch nicht mehr als ein Reflex, sie enthält so viel Geist wie das Knie, das auf das Hämmerchen des Doktors reagiert. Das Geld spielt eine Rolle - aber eine Nebenrolle.

Nimmt man etwa den Fall des gedemütigten Rekordmeisters, dann gilt die Beweisführung des kicker: Auch der FC Bayern bezahle seine Profis "nicht mit Kieselsteinen", argumentiert das Fachmagazin, und tatsächlich standen sich im Pariser Prinzenpark die Teams eines neureichen und eines altreichen Klubs gegenüber, wobei die Neureichen mit mehr PS protzten. Aber die Münchner Probleme auf die Anwesenheit von Mbappé und Neymar zu verkürzen, wäre Selbstbetrug.

Das flächendeckende Europacup-Versagen hat die Bundesliga in der Uefa-Fünfjahreswertung vom zweiten auf den vierten Rang zurückgeworfen. Als die ab 2018 geltende Champions-League-Reform beschlossen wurde, hatte man hierzulande nicht ohne Hochmut auf die Italiener gezeigt, die als unverdiente Gewinner der neuen Ordnung galten. Diese garantiert auch dem Viertplatzierten der Uefa-Rangliste künftig vier Startplätze (statt zwei plus Qualifikant). Statt der angeblich rückständigen italienischen Liga sind aber auf einmal die Deutschen die Profiteure - falls sie nicht sogar von den (neureichen) Franzosen überholt werden.

Vom Himmel in die Hölle gefallen

Erklärungen finden sich wie immer in den Details. Würde man in Berlin Erkundigungen einziehen, ob Hertha BSC soeben bei Östers Växjö oder in Östersund verloren hat, und würde man die Fangfrage anfügen, ob dieser Gegner aus Österreich oder von den Österinseln stammt, dann täte sich wahrscheinlich eine erschreckende Bildungslücke auf.

Acht Jahre hat Hertha nicht mehr am Europacup teilgenommen, doch als sich jüngst der Vorhang wieder öffnete, war das Olympiastadion nicht mal halb voll, obwohl ein renommierter Gegner, Bilbao, vorstellig wurde. Auch die TSG 1899 Hoffenheim sah sich bei der Heimpremiere vom eigenen Publikum verschmäht, so finden womöglich auch die Spieler den Wettbewerb eher lästig als motivierend. Der 1. FC Köln wiederum ist ein spezieller Fall: Er wird derzeit nach biblischer Art auf Charakter und Glaube geprüft, vom Himmel ist er geradewegs in die Hölle gefallen.

Mit Hoffenheim, Leipzig, Köln und Hertha ist in dieser Saison ein Quartett von internationalen Anfängern auf Reisen gegangen, während Leverkusen und Schalke, jahrelang solide Punktelieferanten fürs Uefa-Ranking, zu Hause sitzen müssen. Am Lehrgeld-Aspekt führt wohl kein Weg vorbei, doch das Verlieren der Deutschen könnte auch mit dem vorherrschenden sportlichen Trend der Liga zu tun haben: Der bald überall betriebene Pressing- und Umschaltfußball, der seiner Natur nach weniger auf schöpferischen als auf destruktiven Prozessen beruht, führt zur Verarmung der Spielkultur. Den Gegner locken, Fehler erzwingen, blitzartig zuschlagen, das ist ein Rezept, aber eine mäßig kreative und keine autonome Spielweise. Im Liga-Alltag drückt sich die Nivellierung der Systeme in den Ergebnissen aus.

Am vorigen Spieltag gab es wirklich beunruhigende Symptome: drei Mal 0:0 - und zwei 1:0-Siege.

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Quelle:
SZ vom 30.09.2017
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