Europa League:Träumen von Baku

Eintracht Frankfurt feiert in Mailand eine magische Nacht und ist nun der einzige Bundesligist im Europapokal-Viertelfinale. Doch fürs Duell mit Benfica Lissabon trübt ein drohender Zuschauer-Ausschluss die Stimmung.

Von Tobias Schächter, Mailand

Bruno Hübner stand in den Katakomben des monumentalen Giuseppe-Meazza-Stadions und bemühte sich sichtlich um staatsmännische Contenance. Mit einem 1:0 (1:0) bei Inter Mailand war Eintracht Frankfurt gerade ins Viertelfinale der Europa League eingezogen, als eine magische Nacht empfand das der Tross der Hessen, und dann sagte Sportdirektor Hübner in betonter Sachlichkeit Sätze wie: "Es macht einfach Spaß und ist beeindruckend, mit welcher Freude diese Mannschaft Fußball spielt." Aber zwischendurch ging doch die Glückseligkeit des Augenblickes mit ihm durch. Das klang dann so: "Des is de Wahnsinn." Oder so: "Es fühlt sich an wie Champions League."

Es ist natürlich eine riesige Europa- Euphorie, in der sich die Frankfurter befinden nach diesem überraschenden Erfolg in Mailand durch ein Tor von Luka Jovic (6. Minute). Die Eintracht ist in dieser Saison der letzte verbliebene Bundesligist auf internationaler Bühne. Erstmals seit 1995 steht sie im Viertelfinale eines europäischen Wettbewerbs. Und nun kann sie gegen Benfica Lissabon ihre wundersame Europa-Reise sogar fortsetzen. Ein "grandioses Los" sei das, fand Vorstand Axel Hellmann, "Lissabon ist ein starkes Team, ein großer Klub und eine tolle Stadt" - und noch dazu der ehemalige Verein des Dauer-Torschützen Jovic, was dem Ganzen besonderen Charme verleiht. Nur drei Stunden nach der Auslosung waren alle Karten für das Heimspiel am 18. April vergriffen. Aber einen Punkt gibt es, der im Frankfurter Lager für viel Trübsal sorgt: Wegen des Verhaltens mancher Anhänger in Mailand droht beim Auswärtsspiel in Lissabon am 11.

Europa League: Jubel in San Siro: Eintracht Frankfurts Fußballer freuen sich mit ihrem Torschützen Luka Jovic (3. von links) über dessen Treffer gegen Inter Mailand.

Jubel in San Siro: Eintracht Frankfurts Fußballer freuen sich mit ihrem Torschützen Luka Jovic (3. von links) über dessen Treffer gegen Inter Mailand.

(Foto: Miguel Medina/AFP)

April ein Fan-Ausschluss. Eintracht Frankfurt und seine Zuschauer, das ist in dieser Saison ein schwieriges Thema geworden. Einerseits ist es so, dass sich die Anhänger der Hessen einen Ruf als unglaublich stimmungsvolle Masse erarbeitet und ersungen haben. Andererseits kommt es immer wieder zu wenig ruhmreichen Vorgängen. Am Donnerstagabend war wieder beides zu registrieren. Fast 15 000 Frankfurter Anhänger waren im Stadion, was laut einer Statistik gleichbedeutend war mit einem Auswärtsfan-Rekord für diesen Wettbewerb; sie schufen im San Siro eine Atmosphäre, die nicht nur Abwehrmann Makoto Hasebe als "Heimspiel" empfand. Aber dann gab es auch jene Momente, in denen Feuerwerksraketen auf den Rasen oder in den gegnerischen Block flogen - und die nun heftige Konsequenzen haben könnten.

Faktisch sieht die juristische Lage so aus: Nach Ausschreitungen im Gruppenspiel bei Lazio Rom hatte Europas Fußball-Verband Uefa im Februar zwei Sanktionen gegen Frankfurt verhängt - 80 000 Euro Geldstrafe und einen Fan-Bann fürs nächste Auswärtsspiel, Letzteres war aber zur Bewährung ausgesetzt. Und nun ist die Furcht groß, dass das zuständige Uefa- Organ - vermutlich am 28. März - die Vorfälle in Mailand als Verstoß gegen diese Auflage bewertet. Mit einer Unterstützung wie in Mailand dürfen die Frankfurter jedenfalls nicht rechnen.

39 Jahre...

... ist es her, dass die Eintracht zum bisher einzigen Mal die Europa League (damals noch Uefa Cup) gewann. Im Mai 1980 setzte sie sich gegen Borussia Mönchengladbach durch. Das Hinspiel gewann Gladbach 3:2, Frankfurt das Rückspiel nach einem Tor in der 81. Minute 1:0.

Entsprechend verärgert waren nachher Teile des Frankfurter Trosses. "Es ist ein No-go. Wir wissen, dass wir vorbestraft sind. Wenn 15 000 hierher mitreisen und sich auf ein Spiel freuen und Einzelne es kaputt machen, dann ist das einfach Schwachsinn. Dafür habe ich kein Verständnis", sagte etwa Torwart Kevin Trapp. Und auch das Gros der Frankfurter Zuschauer stellte sich dagegen, indem es den Zündlern seinen Unmut entgegen schrie, etwa in Form solcher Einlagen: "Ihr wollt Eintracht Frankfurt sein?"

Aber trotz dieses wahrscheinlichen Malus scheint der Weg für diese außergewöhnliche Mannschaft noch nicht zu Ende zu sein. Die Eintracht hat sich in den vergangenen Wochen zusammen mit ihren stimmgewaltigen Fans in eine Alles-ist- möglich-Stimmung gepusht. Die Perspektiven sind im März 2019 für den Klub so positiv wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr. In der Liga liegt er auf Schlagdistanz zu den Champions-League-Plätzen, und in der Europa League lebt nach dem verdienten Sieg in Mailand der Traum vom Endspiel im Mai in Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan. Im Kalenderjahr 2019 ist die Eintracht ebenso noch ungeschlagen wie in der gesamten Europa-League-Kampagne. In Schachtjor Donezk und Inter Mailand bezwang sie in der K.-o.-Phase gleich zwei Absteiger aus der Königsklasse. "Wir haben heute den nächsten Top-Gegner auf Champions-League-Niveau rausgeworfen. Der Traum lebt", sagte Mittelfeldspieler Sebastian Rode.

Rode war neben dem Torschützen Jovic in Mailand eine entscheidende Figur für den Triumph. Im Januar war der 28-Jährige nach schweren Jahren beim FC Bayern und Borussia Dortmund auf Leihbasis zur Eintracht zurückgekehrt. Nun blüht er in Frankfurt wieder auf, und in Mailand krönte er das fürs Erste mit einer überragenden Vorstellung.

Das Risiko, das Sportvorstand Fredi Bobic und Sportchef Bruno Hübner mit Rodes Heimholung eingegangen sind, zahlt sich also aus - und steht stellvertretend für die gelungene Transferpolitik dieses Jahres. Es wäre keine Überraschung, würde die Leihe vom BVB im Sommer in eine feste Verpflichtung münden. Aber vorher will Sebastian Rode noch die eine oder andere magische Europa-Nacht erleben.

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