Leverkusens Aus in der Europa League:Riesiger Zorn über Mourinhos Sabotagetruppe

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Florian Wirtz (Mitte) bringt die Stimmungslage Leverkusens gegen die AS Roma perfekt zum Ausdruck. (Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

"Ekelhaft" und "bitter": Nach dem Halbfinal-Aus gegen Rom ist Leverkusen empört über das Zeitschinden und die Schauspielerei der Italiener - nur Trainer Xabi Alonso bleibt Gentleman.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

José Mourinho, 60, hatte gerade damit begonnen, in die Mikrofone italienischer Fernsehreporter zu sprechen, als ihn von hinten ein Mann packte. Nicht wenige Augenzeugen hätten durchaus Verständnis gehabt, wenn der Mann hart zugegriffen und Mourinho gewürgt hätte, eventuell bis zur Bewusstlosigkeit, doch Xabi Alonso war nicht als Attentäter in die Szene getreten. Mit seiner Geste drückte er das Gegenteil von Gewalt und Rache aus. Er hätte einfach still im Rücken seines Widersachers vorbeigehen können, doch er hat es ausdrücklich nicht unterlassen wollen, anhand einer kurzen Umarmung respektvoll auf Wiedersehen zu sagen zu seinem ehemaligen Trainer.

Bei Real Madrid hatten sich einst ihre Wege gekreuzt, und nun hat Alonso wieder eine Lektion erhalten von seinem ehemaligen Ausbilder: Dessen umstrittene, aber wieder mal erfolgreiche Lehre bekam er schmerzlich zu spüren. Ins Finale der Europa League zieht der alte Meister Mourinho mit seiner AS Roma ein, Alonso und Bayer Leverkusen blieben torlos und hauchdünn geschlagen zurück.

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Dabei war der spanische Trainer von Anfang an in Stellung gegangen, um Mourinhos Methoden beim slowenischen Schiedsrichter Slavko Vincic und dessen Team zur Anzeige zu bringen. Schon nach fünf Minuten deutete Alonso erstmals auf die imaginäre Uhr an seinem Handgelenk, um die Referees auf das Zeitspiel des Gegners hinzuweisen. Es half nichts: Zwar hat Vincic Bayer insgesamt elf Minuten zusätzlicher Spielzeit zur Verfügung gestellt, aber das ersehnte Tor gegen Mourinhos Sabotagetruppe ist daraus nicht hervorgegangen, und nach dem 0:1 aus dem Hinspiel war das 0:0 in der Leverkusener Arena zu wenig, um ins Endspiel der Europa League einzuziehen.

Mit dem Schlusspfiff ließen sich die meisten Bayer-Spieler zu Boden fallen. Vor Enttäuschung und Erschöpfung, vor Wut über die Römer und ihre Machenschaften, womöglich aber auch vor Ärger über sich selbst. Bayer-Manager Simon Rolfes sagte später zwar, eingedenk der beispielhaft langen Nachspielzeiten bei der WM seien an diesem Abend auch "zwanzig oder mehr" zusätzliche Minuten gerechtfertigt gewesen - "ansonsten lässt sich der Schiedsrichter verarschen, wenn er das mit sich machen lässt". Doch ob Bayer damit etwas hätte anfangen können? Vermutlich nicht. Längst hatten die Rheinländer das endlose Stadium des vergeblichen Anrennens erreicht, in dem ein Torerfolg weiter entfernt war als Jupiter und Venus.

Der Verlauf der Partie ist mit der Torschuss-Statistik hinreichend beschrieben: 23:1 lagen die Hausherren darin vorn, und jener einzelne römische Torschuss durch Lorenzo Pellegrini stammte aus der zweiten Spielminute. Im Nachhinein darf man ihn als Irrtum ansehen, denn einen weiteren Versuch, ein Tor zu erzielen, haben die Römer nicht mehr unternommen, und zwar mit voller Absicht. Sie waren nicht dazu angetreten, um Tore zu schießen, sondern um Tore zu verhindern. Dass sie damit nicht nur fußballerisch Wirkung erzielten, bezeugte Bayers Einwechselspieler Nadiem Amiri mit seiner zornigen Aussage: "Was die heute gespielt haben - und auch in Rom -, das war wirklich eine Frechheit."

Leverkusen ist zu brav für diese abgezockte Roma

Einen defensiv orientierten Gegner hatte Bayer erwartet, schon beim Hinspiel hatte sich die Roma offensiv aufs Kontern beschränkt. In der ersten Halbzeit bearbeiteten die Leverkusener mit geduldigem Passspiel die gegnerischen Stellungen, angeordnet in einer eisernen Fünfer-Abwehrkette plus vorgelagerter Dreier-Reihe. Sie schufen damit einige passable Gelegenheiten für Schüsse von der Strafraumgrenze, vor allem Kerem Demirbay versuchte es immer wieder. Kontersituationen, Leverkusens Spezialität, ließen die Römer nicht zu, im nahezu einzigen Ausnahmefall traf Moussa Diaby die Latte (12. Minute). "Wir haben mit Konzentration gespielt, waren gut vorbereitet und kompetitiv", lobte Alonso später.

Und doch hatte Bayer zu wenig geboten. Man habe "das letzte bisschen vermissen lassen", sagte Rolfes, jene Durchsetzungskraft, die Mourinhos eiserne Festung hätte sprengen können. Mit Sardar Azmoun hatte Alonso notgedrungen einen fachfremden Angreifer im Strafraumzentrum platziert, nie wurde der seit Monaten verletzte Torjäger Patrik Schick so vermisst wie diesmal. Dass die Bayer-Elf ein Stück zu brav sein könnte für diese abgezockte Roma, diese Annahme hat sich in den beiden Spielen bestätigt. Zumal da den Schlüsselspielern Florian Wirtz, Diaby und Jeremie Frimpong die geistige Frische fehlte, um Überraschendes zu zaubern.

Mourinho blieb dennoch auf der Hut. In der Sorge, dass Bayer womöglich eine Lücke für die Schüsse aus der Halbdistanz finden könnte, knüpfte der Coach zur zweiten Hälfte die Abwehrreihen noch etwas dichter, brachte den Mittelfeldspieler Wijnaldum für Angreifer Belotti und erteilte schließlich, so muss man es vermuten, die Order zum offenen Nervenkrieg. Den gegnerischen Rhythmus brechen, negative Emotionen wecken, mit Schauspieleinlagen die Zeit zerrinnen lassen - all dies stand mutmaßlich auf der Taktiktafel.

Leverkusen-Trainer Xabi Alonso versucht, seine Spieler anzutreiben, Kontrahent José Mourinho beobachtet alles mit der Ruhe eines Mannes, der auf dem Weg in sein sechstes Europacup-Finale ist. (Foto: Ina Fassbender/AFP)

Wie die Römer in der zweiten Halbzeit eine zersetzende Aktion an die nächste reihten, das grenzte an Komödie. Besonders anschaulich in den Kleinigkeiten: Hier boxte ein Ersatzspieler beim Warmlaufen den Spielball ins Nichts; dort rollte sich Zalewski nach einem geringfügigen Foul aus dem Aus ins Feld zurück, um liegen bleibend den Betrieb aufzuhalten; da schoss Abraham vorsätzlich einen zweiten Ball ins laufende Spiel. Gelbe Karten? Bekamen vor allem die Leverkusener, wenn sie sich über die in ihrer Offensichtlichkeit mitunter lachhaften Obstruktionen beschwerten. Ein "grande arbitro", ein großartiger Schiedsrichter habe das Spiel geleitet, sagte Mourinho später mehrmals. Wie immer wusste man nicht, ob er sich damit über alle lustig machen wollte.

Der Portugiese lobte die taktische Organisation seiner "ragazzi", die Mentalität, den "spirito", für ihn sei "es kein Vergnügen, sondern eine Ehre, mit diesen Jungs zu arbeiten", aber mit jedem lobenden Wort brachte er zugleich zum Ausdruck, dass dies alles zuallererst sein Werk ist. Mourinho zieht jetzt in sein sechstes Europacup-Endspiel ein, sämtliche fünf zuvor hat er gewonnen. Ein Champion, zweifellos.

Insofern erübrigt sich die Moraldebatte, die mit diesem Abend unvermeidlich einherging. "Ekelhaft" sei das Betragen der Römer gewesen, klagte Demirbay, "mit Fußball hat diese Mannschaft nichts zu tun", meinte Amiri, und Rolfes fand es "schon bitter, wenn diese Art und Weise zum Erfolg führt". Welcher Besserwisser wollte ihnen ihre enttäuschten Beschwerden verdenken?

Xabi Alonso allerdings, der Gentleman und Profi, äußerte zur römischen Nichtspielweise kein Wort. Auch zum Schiedsrichter kein Kommentar. "Ich will nicht weinen", sagte er, "wir beglückwünschen die AS Roma zu ihrem Finaleinzug."

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