Nicht, dass Ciro Immobile Frankfurt besonders gut kennen würde. Aber es ist noch gar nicht lange her, da spielte der Lazio-Angreifer in der Bundesliga. Borussia Dortmund hatte den Neapolitaner 2014 angeheuert, damals war Immobile ein Talent und beim FC Turin gerade Torschützenkönig der Serie A geworden. Bei Borussia entpuppte er sich als Enttäuschung. Ein Scheinriese, der aus der Nähe betrachtet von Spiel zu Spiel kleiner wurde. In 14 Einsätzen lieferte Immobile fünf Treffer, und als er nach nur einem Jahr ging, weinte ihm nicht nur deshalb niemand nach. In Interviews mit Italiens Presse fand der Angreifer nur abwertende Worte für Land und Leute in Westfalen: die Menschen, inklusive Kollegen, seien wenig gastfreundlich, und ihre Küche sei ungenießbar.
Die Nachbarn in Unna, wo Immobile damals wohnte, klagten im Gegenzug darüber, dass der Profi allzu laut im potenten Auto durch die Straßen der Kleinstadt dröhnte. Man wurde einfach nicht warm miteinander. Jüngst mäkelte Immobiles Frau gegenüber der Gazzetta dello Sport, in Deutschland werde man ja gar nicht wahrgenommen, wenn man nicht Deutsch spreche. In Spanien, beim FC Sevilla, war es nicht viel besser. Ciro absolvierte acht Einsätze mit zwei Toren. Und dann reichte es mit dem Ausland, die Heimat rief.
Immobile trifft für Lazio wie er will, in Italien und Europa
Seit 2016 spielt Ciro Immobile für die Società Sportiva Lazio in Rom. Und siehe da, es läuft, und wie. Mit 28 Jahren hat Immobile den Zenit seines Erfolgs erreicht. Wenn er an diesem Donnerstag wieder in Deutschland spielt, beim Europa-League-Duell gegen die Eintracht in Frankfurt, so tut er das als starker Mann im Team. Alles dreht sich um ihn, den Unverzichtbaren. Mit 29 Treffern war er im Vorjahr Torschützenkönig in der Liga (gleichauf: Mauro Icardi von Inter), mit acht Toren der Beste in der Europa League (gleichauf: Aritz Aduriz von Athletic Bilbao). Immobiles Treffer sorgten dafür, dass Lazio als Vorjahresfünfter wieder international spielen darf - wenn auch die letzte Champions-League-Teilnahme zehn Jahre her ist.
Man hat sich eingerichtet in der Mittelklasse, nach weiter oben zu streben, käme viel zu teuer. Klubpräsident Claudio Lotito, der den Traditionsverein vor 14 Jahren für weniger als 20 Millionen Euro übernahm, ist für seine Sparsamkeit berüchtigt. Anstatt sein gutes Geld für hohe Löhne zu verprassen, investiert es der Reinigungsunternehmer lieber in eine Sammlung von Fußballklubs - inzwischen besitzt Lotito auch den Zweitligisten Salerno Calcio. Bei den letzten Parlamentswahlen kandidierte er vergebens für Silvio Berlusconis Forza Italia.
Für seinen Angestellten Immobile greift Lotito nun überraschend tief in die Kasse. Anfang der Woche erneuerte er dessen Vertrag bis 2023. Darin werden Immobile drei Millionen Euro netto im Jahr garantiert, mit Bonuszahlungen könnte er auf 3,8 Millionen kommen. Nie hat ein Spieler solche Summen verdient, seit Lotito Präsient ist.
Ganz zu schweigen vom Trainer. Der heißt bei Lazio seit zwei Jahren Simone Inzaghi, 42, er ist der jüngere Bruder des ehemaligen Milan-Stürmers Filippo. "Superpippo" trainiert heute den FC Bologna, Simone hat sich bei Lazio, wo er einst Angreifer war, vom Jugendteam nach oben gearbeitet. Mit 1,2 Millionen Euro verdient er heute deutlich weniger als der Star seiner Mannschaft und übrigens auch sehr viel weniger als der große Bruder. Lazio steht auf Platz sechs, Bologna auf Platz 15, aber das ist es nicht. Simone Inzaghi war als Spieler schon genauso wie jetzt als Trainer, solide, fleißig, diszipliniert. Ohne einen Hauch von Exzentrik oder auch nur Phantasie. Seine Mannschaft ist genauso, Immobile verleiht ihr einen Touch ins Rustikale.
Den Lazio-Abwehrreihen fehlt die Standfestigkeit
Es wird ordentlich nach vorn gerackert, wo Ciro auf die Bälle lauert, um sie einzutunken. Unbefreit von ideologischen Zwängen und ästhetischem Klimbim verkörpert Immobiles Lazio jenen robusten Provinzfußball, mit dem man sich in Italien derzeit gemütlich über Wasser halten kann, in Klubs, die sich mehr nicht leisten können.
Im Sommer wurde ein heimlich aufgenommenes Telefonat von Lotito mit seinem Trainer veröffentlicht, in dem der Boss den Mitarbeiter zusammenfaltet. "Dauernd beklagst du dich!", raunzt Lotito Inzaghi an; es ging wohl darum, dass die Wünsche des Trainers nach Verstärkung nicht erfüllt werden konnten. "Hier entscheide ich, nicht du!", bellte Lotito ins Handy. Inzaghi versicherte später, solche Diskussionen zwischen Präsident und Coach seien im Fußball vollkommen normal. Er habe alles, was er brauche.
Beim Derby gegen die Roma am Samstag erwies sich indes, dass das nicht reicht. Nach Immobiles Führungstor bereitete eine wacklige Lazio-Abwehr den Lokalrivalen den 3:1-Sieg. Wie so oft, mäkelten die Experten, fehle es der Hintermannschaft an Substanz und Stehvermögen. Auch das ein weit verbreitetes Problem - vom Primat der Defensive ist in Italien nur noch das Klischee geblieben.