Europa League:Hertha spürt die Europa-League-Muffel

Europa League: Pal Dardai: "Viele Familien haben sich das genau eingeteilt"

Pal Dardai: "Viele Familien haben sich das genau eingeteilt"

(Foto: AFP)
  • 28 832 Menschen besuchen das erste Europa-League-Spiel von Hertha BSC seit acht Jahren, das Stadion hat ein Fassungsvermögen von 74 000 Zuschauern.
  • Trainer Pal Dardai kann die verhaltene Euphorie nachvollziehen, ein Stadionbesuch sei "auch eine Frage des Geldes", sagt er dem Tagesspiegel.
  • Die TSG 1899 Hoffenheim musste im ersten Europa-League-Spiel ihrer Klubgeschichte ebenfalls eine karge Kulisse verdauen: Gegen Sporting Braga kamen nur rund 15 000 Zuschauer.

Von Javier Cáceres, Berlin

Zu den bohrenden Fragen der Europa-League-Touristen, die am Donnerstag aus der baskischen Metropole Bilbao nach Berlin gereist waren, gehörte jene, wann Hertha BSC zum bisher letzten Mal in einem europäischen Wettbewerb vertreten gewesen war. Die Antwort darauf - vor acht Jahren - sorgte für hochgezogene Augenbrauen. Denn dass sich trotz einer so langen Absenz in der Europa-League-Partie gegen Athletic Bilbao nur 28 832 Menschen im Olympiastadion blicken ließen, das bekanntlich Platz für 74 000 Menschen bietet, das verblüffte.

Rund ums Stadion sei "kein Fußball-Ambiente zu spüren", meldete der erstaunte Reporter der baskischen Zeitung El Correo nach dem 0:0 und konstatierte: "Berlins Anhang wandte dem Spiel den Rücken zu." Andererseits: Vorab hatte Hertha-Trainer Pal Dardai, ein besserer Berlin-Kenner als der Reporter aus dem Baskenland, gesagt, er wäre mit 20 000 Besuchern zufrieden. Zum Vergleich: Das wären kaum mehr Menschen gewesen als jene, die der 1. FC Köln für seine Reise nach London zum FC Arsenal mobilisieren konnte. Bei einer Heimpartie aus Herthas bis dato letzter Europa-League-Saison kamen im September 2009 gegen den FK Ventspils aus Estland auch bloß 13 500 Zuschauer.

An diese Partie erinnert wurde Dardai vom Berliner Tagesspiegel - unter anderem, weil er seinerzeit selbst auf dem Platz stand. Im selben Blatt erteilte Dardai 3 491 199 Europa-League-Muffeln unter den 3 520 031 Einwohnern Berlins die Absolution: Er "mache niemandem einen Vorwurf, der nicht kommt" - wegen der Anstoßzeit (21.05 Uhr) und weil ein Stadionbesuch "auch eine Frage des Geldes" sei: "Viele Familien haben sich das genau eingeteilt. Und so ein Stadionbesuch ist nicht ohne. Da kauft man die Tickets, Bier, eine Brezel und vielleicht noch eine Wurst und dann ist man schon eine Menge los."

"Ich habe mich wohl gefühlt", sagte Dardai

Umso mehr freute sich Dardai über den Kreis der Fans, die zuvorderst in die Ostkurve gekommen waren und die Atmosphäre, die in ihrer Düsternis an Mystery-Thriller erinnerte, etwas aufhellten: "Ich habe mich wohl gefühlt", sagte Dardai.

Andererseits: Wer weiß, ob Hertha sportlich zu einem besseren Resultat gekommen wäre, wenn die Stadtbewohner nicht so viele kalte Schultern gezeigt hätte. Zu Beginn der Partie lag zwar ein qualitativer Unterschied zwischen dem Siebten der Vorsaison in der Primera División und dem Sechsten der vergangenen Bundesliga, doch der verflüchtigte sich mit zunehmender Dauer. Am Ende war Bilbaos Torwart Iago Herrerín der beste Mann auf dem Platz. Hertha vergab Chancen - und tritt nun am Sonntag dort an, wo am Donnerstagabend ebenfalls Europa-League-Tristesse herrschte: in Hoffenheim.

Karge Kulisse auch in Hoffenheim

Die TSG 1899 musste im ersten Europa-League-Spiel ihrer Klubgeschichte ebenfalls eine karge Kulisse verdauen: Für Sporting Braga aus Portugal interessierten sich nur rund 15 000 Zuschauer. "Es ist schade. Aber vielleicht haben die Leute gedacht, dass ich nicht spiele", sagte der deutsche Nationalstürmer Sandro Wagner, der den zwischenzeitlichen Führungstreffer der Hoffenheimer erzielt hatte (24. Minute). João Carlos (45.+1) und Dyego Sousa (50.) drehten allerdings das Resultat in ein unerwartetes 2:1 für Braga - sehr zum Verdruss von Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann ("das ist sehr ärgerlich, weil wir besser sein müssen als Braga") und Abwehrspieler Ermin Bikakcic ("die hätten wir aus dem Stadion schießen müssen"), sowie jener deutschen Fußballfans, die die so genannte "Fünfjahreswertung" des Europa-Verbandes Uefa im Blick haben.

Weil Köln in London ja ebenfalls verlor (1:3), war der Ertrag der Bundesligisten am ersten europäischen Spieltag so karg wie die Kulissen in Sinsheim und Berlin. Neben den Ergebnissen Herthas und Hoffenheims kam es am Mittwoch in der Champions League zur Niederlage von Borussia Dortmund bei Tottenham Hotspur (1:3), der AS Monaco holte bei den Königsklassen-Debütanten von RB Leipzig einen Punkt (1:1). Der einzige deutsche Sieg glückte dem FC Bayern, allerdings gegen einen harmlosen Gast aus Anderlecht, gegen den wohl höchstens das Münchner "Legenden"-Team mit Senioren wie Lothar Matthäus, Andreas Brehme oder Paul Breitner hätte verlieren können.

Die Bundesliga rangiert nun hinter den Engländern

Die Folge der mauen Woche: Deutschland rutschte in der Fünfjahreswertung auf den dritten Platz ab, die Bundesliga rangiert nun hinter den Engländern, die Rang zwei übernommen haben. Die Führung haben die konkurrenzlosen Spanier inne. Sie haben im Bewertungszeitraum, seit 2013/14, sieben von acht möglichen europäischen Titeln geholt: vier Champions-League-Pokale (drei Mal Real Madrid, einmal FC Barcelona) und drei Europa-League-Trophäen (alle FC Sevilla).

Und dennoch: Um den vierten Startplatz in der Champions-League muss die Bundesliga vorerst nicht fürchten. Der Grund: Die europäischen Großklubs haben eine Reform vereinbart, wonach die besten vier Nationen der Fünfjahreswertung ab nächster Saison vier Plätze in der Königsklasse erhalten. Und der Vorsprung der Bundesliga auf die französische Ligue 1 ist groß. Noch.

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