Europa League: Hamburger SV:Charakterfragen

Die Chance auf ein Europa-League-Finale im eigenen Stadion und der Druck, international vertreten zu sein: Gegen Lüttich bestreitet der HSV eines von mehreren Endspielen.

Jörg Marwedel

Die fünf mal vier Meter große Tafel vor der Ostkurve der Hamburger Arena lässt keine Fragen offen: "Eine Stadt. Ein Finale. Ein Ziel", steht dort. Man sieht ein paar jubelnde Spieler des HSV und den Pokal der Europa League. Das Endspiel am 12. Mai im eigenen Stadion soll dem Hamburger SV endlich jenen Erfolg bringen, "auf den diese Stadt sehnsüchtig wartet". So hat es Klubchef Bernd Hoffmann ausgedrückt mit dem Hinweis auf den bislang letzten Titel, den DFB-Pokal 1987. Auf dem Weg dorthin tritt der HSV im Viertelfinale gegen Standard Lüttich an, am Donnerstag zunächst im Hinspiel daheim. Im Halbfinale würden der VfL Wolfsburg oder der FC Fulham warten. Im Prinzip Aufgaben, die zu lösen sind.

Doch die rückwärts tickende Uhr (41 Tage, soundsoviele Stunden, Minuten, Sekunden bis zum Finale) auf der Tafel an der Arena beschreibt nicht nur den Wunsch der HSV-Anhänger nach dieser Trophäe. Sie ist quasi auch das Messgerät für die Geduld des Vorstands mit dem Trainer Bruno Labbadia, 44.

Und falls sich Lüttich als zu schwierige Aufgabe für den aus dem Takt geratenen "exzellenten Kader" (Hoffmann) erweist, kann man diesen Zeitanzeiger wohl schon vorher auf den Müllhaufen der Geschichte werfen. Dann dürften die Tage des Fußball-Lehrers Labbadia beim HSV bereits gezählt sein, obwohl er ja eine Ära einleiten sollte wie Thomas Schaaf bei Werder Bremen (elf Jahre Cheftrainer) oder gar Alex Ferguson bei Manchester United (24 Jahre Manager).

Selbstverständlich habe Labbadia "unser Vertrauen", sagte Hoffmann dem Hamburger Abendblatt, ohne aber den Zusatz zu vergessen, es gebe "in diesem Geschäft keinen Persilschein". Denn die Zielvorgabe des bisher teuersten HSV-Teams ist ein Platz in einem europäischen Wettbewerb. Nicht nur mancher Hamburger Profi (Piotr Trochowski oder Zé Roberto) sieht den Trainer inzwischen sehr kritisch. Auch die Hamburger Medien sind umgeschwenkt.

Es werden Fieberkurven gedruckt, die nachweisen, dass alle Mannschaften unter dem Trainer Labbadia grandios in die Saison starteten und dann abfielen bis ins Mittelmaß. Wie Greuther Fürth, Bayer Leverkusen und vermeintlich auch der HSV. Das Wort "Endspiel" wird derzeit weniger im eigentlichen Sinne benutzt. Statt dessen sei das Match gegen Lüttich eines von mehreren Endspielen für Labbadia.

Auch bei der Meinung der Fans nähert sich Labbadia wieder jener Skepsis, von der er schon bei seiner Einstellung im vergangenen Sommer begleitet wurde. Nur 35,3 Prozent der Morgenpost-Leser machen die Spieler für den Rückschritt verantwortlich, aber 57,6 Prozent den Trainer. Der Vorstand kam mit 7,1 Prozent gut weg. Dabei hat der es nicht geschafft, einen Coach zu engagieren, der vorher schon einmal dauerhaft etwas aufgebaut hat. Labbadia ist der siebte Trainer in sieben Jahren des HSV-Lenkers Hoffmann.

Womöglich gibt es unter dem neuen Sportlichen Leiter Urs Siegenthaler den nächsten Umbau. Profis wie Boateng, Elia, Trochowski oder Guerrero schauen nach neuen Arbeitgebern. Bei künftigen Zugängen wolle man "mehr auf den Charakter" achten, versprach Hoffmann, was indirekt heißt: Im jetzigen Team sind zu viele schwierige Charaktere versammelt, für manche soll der HSV nur das Sprungbrett zu einer größeren Karriere sein. Den größten Ehrgeiz vor dem Spiel gegen Lüttich aber scheint Ruud van Nistelrooy zu haben. Er habe noch keinen internationalen Titel, verriet er. Dabei hat der Torjäger nun wirklich für die größten Klubs gespielt, für Manchester United und Real Madrid.

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