Europa League:Leipzig ging es um viel, Glasgow um alles

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Elektrisierender Abend: Glasgow jubelt. (Foto: Stuart Wallace/Shutterstock/Imago)

Im Spiel ums Finale ist der Mentalitätsunterschied zwischen beiden Teams eklatant. Leipzig versammelt zwar die besseren Fußballer in den eigenen Reihen - doch die Rangers treten mit 13 Mann an.

Von Javier Cáceres, Glasgow

Es trugen sich am Donnerstagabend sehr viele kleine Anekdoten zu, die illustrierten, warum RB Leipzig bei den Glasgow Rangers Schiffbruch erlitt. Und damit den Einzug ins Europa-League-Finale von Sevilla verspielte. Zum Beispiel jene Szene, die sich zutrug, als der 3:1-Sieg der Rangers ins prall gefüllte Geschichtsbuch längst aufgenommen worden war. Und im Ibrox Park der Umstand gefeiert wurde, dass die Rangers, ein 55-maliger schottischer Meister, ihrer schönsten Stunde seit dem Gewinn des Europapokals der Pokalsieger von 1972 entgegenfiebern können, sprich: von einem Sieg im Endspiel von Sevilla gegen Eintracht Frankfurt - im Jahr des 150. Geburtstag des Klubs.

Leipzigs Klubchef Oliver Mintzlaff sprach am Spielfeldrand von der "großen Leere", die er verspürte; die Rangers-Profi hatten sich auf eine Ehrenrunde begeben; durch die Boxen dröhnten allerhand Hits der 1980er Jahre, die von den Rangers-Fans adaptiert wurden, da wurde einer Handvoll doppelt enttäuschter RB-Profis noch mal Dienst nach Vorschrift angeordnet. Regisseur Emil Forsberg, Verteidiger Mohamed Simakan, Nachwuchsspieler Hugo Novoa und noch ein paar weitere Spieler mussten sich zum Auslaufen begeben. Unter den Buhrufen der komplett entsicherten Rangers-Fans, die nicht mal von ihrem Gegner ablassen wollten, als er längst regungslos am Boden lag und der Ball nicht mehr rollte.

Die Rangers-Fans gedenken Zeugwart Jimmy Bell auf einem Banner. (Foto: Kirk O Rourke/Rangers FC/Shutterstock/Imago)

Was nur zu den 90 vorangegangenen Minuten passte, die eine einzige Einladung war, neue Superlative zu entwickeln, um die Atmosphäre in einem Fußballstadion zu beschreiben. "Es gibt bessere Stimmungen", hatte Leipzigs Trainer Domenico Tedesco in der Vorwoche mit Blick auf das Ambiente in der Leipziger Arena gesagt, und fürwahr, er durfte sich bestätigt sehen. "Diese Kulisse war elektrisierend. Das war wahnsinnig. Das war das Beste, was ich je erlebt habe", sagte Tedesco, nachdem seine Mannschaft den 1:0-Vorsprung aus dem Hinspiel aus der Hand gegeben und sich nach dem Anschlusstreffer zum 1:2 durch Christopher Nkunku (70.) auch nicht in die Verlängerung retten konnte. John Lundstram schoss in der 80. Minute ein 3:1, das nach Ruhm roch. Zuvor hatten James Tavernier (18.) und Glen Kamara (24.) für die Rangers getroffen.

Der Mentalitätsunterschied zwischen beiden Mannschaften war jedenfalls eklatant

Niemand, der im Stadion dabei war, wird leugnen können, dass die Rangers zu zwölft oder dreizehnt gegen elf überforderte Leipziger angetreten waren. Der zwölfte Mann war Jimmy Bell, der am Dienstag im Alter von 69 Jahren verstorbene Zeugwart der Rangers. Ihm, der Klublegende, wurde vor dem Spiel in einer Ergriffenheit gedacht, als wäre er Maradona gewesen. Der 13. Mann waren die 50 000 im Ibrox Park, die keinen Zweifel daran ließen, dass sie alles dafür tun würden, um die Reise nach Sevilla anzutreten. Alles heißt in diesem Fall: alles.

Und es ist keine sonderlich große Übertreibung, wenn man sagt, dass es ein Stadion auf legalen und illegalen Drogen war. In den Urinalen wurden die Flachmänner mit Schnaps abgelegt; und Besucher aus Deutschland, die in Gespräche verwickelt wurden, bekamen mit einer großen Selbstverständlichkeit das Angebot, an der Runde Koks teilzuhaben. Im Grunde hatte Leipzig nur eine Chance: Als nach dem 1:0 eine Rauchbombe auf dem Rasen landete - und die Stadionregie ein Laufband auf der Anzeigentafel platzierte: Sollte ein weiteres Geschoss auf dem Spielfeld landen, würde das Spiel abgebrochen, lautete die Warnung. Doch so weit kam es nicht, erstaunlicherweise.

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In Anbetracht dieses Ambientes wirkte die am Vorabend von Leipzigs Trainer Tedesco geäußerte Genügsamkeit noch frappierender. Selbst wenn man jedes Spiel, das bis zum Saisonende aussteht, verlieren sollte, müsste man immer noch von einer Super-Saison sprechen, hatte Tedesco argumentiert. Was insofern stimmt, als Leipzig in einer größeren Krise steckte, als Tedesco Ende vergangenen Jahres kam. Aber eben die falsche Botschaft war.

Leipzig droht nun die Saison zu entgleiten

Der Mentalitätsunterschied zwischen beiden Mannschaften war jedenfalls eklatant. Hier die zu allem entschlossenen Rangers, die sich daran orientierten, dass am Horizont das Estadio Ramón Sánchez Pizjuán (18. Mai) aufscheint. Dort eine von Messdienern durchsetzte Gruppe. "Für ein Halbfinale reicht das nicht", sagte Klubchef Mintzlaff. Den Leipzigern ging es, schon klar, um sehr viel. Den Schotten um nicht weniger als alles. Und das war der Unterschied, der wettmachte, dass Leipzig von eins bis elf die besseren Fußballer hatte.

Den Leipzigern droht nun die Saison zu entgleiten. In der Bundesliga ist der Klub nach zuletzt zwei Niederlagen, in denen Tedesco wie auch in Glasgow die Körperlichkeit und Aggressivität vermisste, auf den fünften Tabellenplatz abgerutscht, es stehen noch Partien gegen Augsburg und in Bielefeld aus. Sollte Leipzig die Champions League verpassen, dürfte es schwieriger werden, Spieler von europäischem Format im Klub zu halten. Selbst wenn Leipzig am 21. Mai das Pokalfinale gegen den SC Freiburg gewinnen sollte.

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