Europa-League-Finalturnier:Ab nach Almelo

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Da segelt sie dahin, die letzte Chance von Kai Havertz (Mitte), Leverkusen im Finalturnier der Europa League zu halten. (Foto: Martin Meissner/AFP)

Leverkusen bestätigt das Klischee: Wenn es richtig wichtig wird, fehlt die Schlagkraft. Nach dem Viertelfinal-Aus gegen Inter Mailand muss sich Bayer 04 endgültig auf eine Zukunft ohne Kai Havertz einstellen.

Von Ulrich Hartmann, Düsseldorf

Dieses abgedroschene "Vizekusen" kann in Leverkusen niemand mehr hören. Die Demütigung ist fast 20 Jahre alt, und jeder Gag ist irgendwann einmal totgeritten. Tatsächlich aber ist die Unterstellung, Leverkusen verliere Nerven und Spiele, sobald es mal richtig wichtig wird, schmerzlich aktuell. Bayer fehlt für die Erfüllung größerer Ziele weiterhin die erforderliche Schlagkraft, oder wie man in der Fußballsprache in Anlehnung an den Boxerjargon gerne so sagt: der Punch.

Dem Niederländer Peter Bosz war der latente Spott bekannt, als er im Januar 2019 nach Leverkusen kam. Schon damals war der Schimpfname angestaubt, auf andere Art allerdings, denn in der Bundesliga war Bayer zuletzt Vizemeister vor elf Jahren, im Europapokal zuletzt Finalist in der Champions League 2002. Seither war weit und breit kein Vize mehr - bis zum jüngst verlorenen DFB-Pokalfinale gegen den FC Bayern München. Da ploppte der Spottname auch prompt wieder auf.

In der Europa League nun, die momentan coronabedingt in Nordrhein-Westfalen zu Ende gespielt wird, wären die Leverkusener gewiss gern ins Endspiel eingezogen, sie sind nun aber deutlich früher gescheitert: im Viertelfinale in Düsseldorf, nach einer 1:2-Niederlage gegen Inter Mailand. Seit dem DFB-Pokal 1993 hat Bayer keinen Titel mehr gewonnen.

Er habe die Geschichten über Vizekusen gekannt, sagte Bosz neulich über Bayers chronischen Makel, "aber ich spreche lieber mit dem Herzen". In solchen Momenten klingt der Trainer wie Saint-Exupérys kleiner Prinz. Vielleicht, weil er selbst Erfahrungen mit knappem Scheitern gemacht hat. 2017 wurde Bosz mit Ajax Amsterdam Zweiter in der niederländischen Eredivisie und verlor das Europa-League-Finale gegen Manchester United. Bosz war bereits ein Vizekusener, als er zu Bayer kam, deshalb kann er die Leiden des Klubs nachfühlen. Gemeinsam versucht man die kleinen Traumata, die der Fußball so bereit hält, zu therapieren.

Herz zu zeigen, ist im Fußball eine erfreuliche und mitunter auch erfolgversprechende Angelegenheit, aber gegen eine so robuste, aggressive, tempoharte und auch theatralische Truppe wie Inter Mailand war die eher filigran veranlagte Elf aus dem Rheinland chancenlos. Gegen massive Haudegen vom Schlage eines Romelu Lukaku, der im neunten Europa-League-Spiel nacheinander traf und damit einen Rekord aufstellte, rutschte den Leverkusenern das Herz in die Hose, von Überzeugung war nichts zu sehen. Als es nach 23 Minuten schon 0:4 hätte heißen können, verkürzte Kai Havertz zwar unverhofft auf 1:2, doch danach hielt Inter die Leverkusener routiniert in Schach. Das 1:3 wirkte immer näher als das 2:2. Nicht einmal Havertz konnte mehr etwas retten. Es könnte sein letztes Spiel für Leverkusen gewesen sein.

Dass der ja gerade einmal 21-jährige Angreifer in relevanten Topspielen nur überschaubare Akzente setzen kann, könnte die Debatte um seinen Marktwert erklären. Vom interessierten FC Chelsea aus London liegt dem Vernehmen nach kein offizielles Angebot vor. Bayer verlangt eine dreistellige Millionensumme. Dass am Tag nach Leverkusens Ausscheiden aus der Europa League der kleine niederländische Erstligist Heracles Almelo auf seiner Homepage scherzhaft die Verpflichtung von Havertz bekannt gab, daran trägt der lustige Peter Bosz die Schuld.

Nach dem Spiel war er gefragt worden, ob dies Havertz' letztes Spiel für Bayer gewesen sei, und weil ihn diese wiederkehrenden Fragen nerven, sagte der Trainer sarkastisch, aber mit ernstem Gesicht: "Ich kann euch mitteilen, dass Kai Havertz nächste Saison bei Heracles Almelo spielt."

Mit dem kurzfristig verletzten Innenverteidiger Sven Bender und dem gelbgesperrten Sechser Charles Aránguiz vermissten die Leverkusener gegen Inter zwei ihrer wichtigsten Spieler für die richtige Balance. Auch deshalb fehlten am Ende die Mittel, um eine Saison zu retten, die mit dem fünften Platz in der Bundesliga, dem verlorenen DFB-Pokalfinale und dem Viertelfinal-Aus in der Europa League den ganz großen Glücksmoment vermissen ließ.

"Das Herz ist da, die Entwicklung der Mannschaft stimmt auch, aber wir haben versäumt uns zu belohnen und müssen versuchen, diese letzten und entscheidenden Schritte in der nächsten Saison zu schaffen", sagte Lars Bender. Dass Havertz dann vermutlich nicht mehr mitspielt, könnte durchaus auch mit den verpassten Saisonzielen zusammenhängen; denn nun spielt Bayer in der kommenden Saison wieder nur in der Europa League mit.

Ausgerechnet jetzt, da die drei finalen Runden ab dem Viertelfinale komplett in Nordrhein-Westfalen gespielt werden, ist keine deutsche Mannschaft mehr dabei. Die Bundesligisten haben sich ja nie recht mit der Europa League anfreunden können. Seit sie vor elf Jahren eingeführt wurde, haben es der Hamburger SV 2010 und Eintracht Frankfurt 2019 mal ins Halbfinale sowie acht deutsche Klubs ins Viertelfinale geschafft. Als Werder Bremen 2009 und Borussia Dortmund 2002 im Finale standen, hieß der Wettbewerb noch Uefa-Pokal. Letztmals gewinnen konnte diesen als deutscher Klub 1997 der FC Schalke 04.

© SZ vom 12.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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