Europa League:Das Zwei-Monats-Finale

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Nur weg damit: José Mourinho zieht seine Silbermedaille aus und wirft sie anschließend zu einem Jungen ins Publikum. (Foto: Naomi Baker/Getty Images)

Anpfiff im Mai, Entscheidung im Juni: Das Europa-League-Endspiel zwischen Rom und Sevilla endet nach Mitternacht - mit dem alten und neuen Rekordsieger und einem sehr wütenden José Mourinho.

Von Javier Cáceres

José Mourinho wusste, wo dem Schiri sein Auto stand, wie man im Pott sagen würde. Und er sah die Chance gekommen, die Protagonisten-Rolle endgültig an sich zu reißen.

Seine Mannschaft, die AS Roma, hatte das Europa-League-Finale gegen den FC Sevilla im Elfmeterschießen verloren (1:4), und er selbst hatte seine Pressekonferenz beendet, als er im Parkhaus der Puskas-Arena zu Budapest das Schiedsrichter-Team rund um Referee Anthony Taylor aus England entdeckte. Auf einem Video, das rasch kursierte, war unschwer herauszuhören, dass Mourinho, 60, Mister Taylor einige Derivate sogenannter "Fourletterwords" an den Kopf warf - Ausdrücke, die aus vier Buchstaben bestanden. Nein, nicht "Love". Sondern "F**k" und "put*", zu Deutsch, in milder Form: Verdammt und Dirne. Und so hatte Mourinho es also wieder einmal geschafft: Kaum noch jemand sprach davon, dass der FC Sevilla zum siebten Mal in seiner Geschichte eine Trophäe geholt hatte, die man in der andalusischen Hauptstadt wegen seiner Form "den Regenschirmständer" nennt. Sondern fast nur noch über Mou, den gerne mal diabolischen Trainer aus dem portugiesischen Setúbal.

Das Spiel dauert ohne Elfmeterschießen unglaubliche 148 Minuten

Schon unmittelbar nach dem Spiel hatte er gezeigt, was für ein Sportsmann er doch ist. Kaum, dass er die Silbermedaille erhalten hatte, riss er sie sich wieder vom Hals. Nicht nur das: Er übergab sie einem - darob zugegebenermaßen glücklich strahlenden - Kind auf der Haupttribüne. Dann verließ Mourinho die Szene, ließ also seine Mannschaft zurück und versagte dem Sieger seine Anerkennung. "Ich mache das immer so", sollte Mourinho später sagen. "Die aus Gold behalte ich, die aus Silber gebe ich weg."

Das pünktlich um 20.45 Uhr angepfiffene Spiel an sich hatte ebenfalls den Stempel Mourinhos getragen. Es dauerte, exklusive Elfmeterschießen, 148 Minuten und war deshalb erst zu Ende, als der Mittwoch, der Mai und der Frühling vorüber und der Donnerstag, der Juni und der Sommer längst angebrochen waren. Bei jedem Pfiff von Mister Taylor lösten die Römer, dem Skript ihres Trainers folgend, Rudelbildungen aus, um das Spiel in die Länge zu ziehen: die Nachspielzeit allein der regeltechnisch auf 15 Minuten beschränkten zweiten Halbzeit der Verlängerung, die nach der römischen Führung durch Paulo Dybala (35.) und dem Ausgleich von Gianluca Mancini (Eigentor/55.) 1:1 endete, betrug satte zwölf Minuten. Und Taylor war bei der Bemessung der Zeit alles in allem noch gnädig. Was Mourinho also monierte? Eine Reihe von Kleinigkeiten, darunter einen möglichen Handelfmeter und einen Platzverweis, die nicht zwingend waren. Und wohl auch die Entscheidung Taylors, die der Partie einen dramatischen Höhepunkt verlieh.

Eine andalusische Volksweisheit sagt: "Keiner liebt sie wie wir" - die Europa League

Denn nachdem der brillante marokkanische WM-Torwart Bono zwei Elfmeter der Römer gehalten hatte, ließ der Engländer den vierten Elfmeter der Andalusier wiederholen, weil sich Roms Torwart Rui Patrício zu früh bewegt hatte. Sevillas Schütze, der Argentinier Gonzalo Montiel, verwandelte im zweiten Anlauf sicher zum 4:1. Bemerkenswert war es allemal: Schon beim WM-Finale 2022 hatte er im Elfmeterschießen des Finales seinen Strafstoß als Letzter verwandelt - und für den 4:2-Sieg der Argentinier gegen Frankreich gesorgt. Und so wie Lionel Scaloni von den argentinischen Weltmeistern in die Luft geschleudert wurde, wurde am Mittwoch - pardon: am Donnerstag - auch Sevillas Trainer José Luis Mendilibar, 62, in den Budapester Nachthimmel geworfen. Was für eine Geschichte.

Zum siebten Mal gewinnt der FC Sevilla die Europa League - und ist damit mit weitem Abstand Rekordsieger. (Foto: Adam Davy/PA Images/Imago)

Mendilibar amtiert erst seit März beim FC Sevilla, als dritter Trainer der Saison folgte er auf Julen Lopetegui (heute Wolverhampton/England) und Jorge Sampaoli (CR Flamengo Rio de Janeiro/Brasilien), mit denen Sevilla Richtung zweite Liga taumelte. Mendilibar rettete den tendenziell überalterten Kader Sevillas nicht nur vor dem Abstieg (die Mannschaft steht vor dem letzten Spieltag in Spanien auf dem elften Tabellenplatz), sondern hievte sie durch Siege gegen Manchester United und Juventus Turin ins Europa-League-Finale von Budapest. Und dort bewahrheitete sich in einem wirklich zähen Spiel, in dem ein Pfostenschuss von Ivan Rakitic aus der ersten Halbzeit herausragte, eine andalusische Volksweisheit ist: "Keiner liebt sie wie wir." Sie? Die Europa League!

Schon am Montag könnte Mendilibar einen neuen Vertrag in Sevilla unterzeichnen

Mendilibar hatte im März einen Tagelöhnervertrag bis Saisonende unterschrieben, was ihn nicht weiter störte, wie er vor dem Finale sagte: "Werde ich halt wieder arbeitslos, das kenne ich schon." Er ist ein Anti-Mourinho, der in Ballonseide an der Außenlinie steht und in seiner 1994 begonnenen Trainerkarriere eigentlich nur Zweitliga- und Fahrstuhlmannschaften überantwortet bekam. Er pflegt einen geerdeten Stil, was im erfolgsverwöhnten Sevilla nicht jedem behagt, nun aber führt kein Weg an seiner Vertragsverlängerung vorbei: Schon am Montag soll sie ihm angetragen werden, ist in Sevilla zu hören.

"Es wäre der Hammer, wenn sie es mir nicht anbieten", sagte Mendilibar, der erstmals einen Titel gewann. Ein wenig Dankbarkeit ist mehr als angebracht. Sevilla hat durch den Finalsieg ja nicht nur einen weiteren Regenschirmständer gewonnen - die Mannschaft ist auch für die Champions League qualifiziert.

Ob Mourinho weitermacht, ist derweil offen. Sein Kader sei nicht gut genug, schlechter als der von Sevilla, "meine Spieler haben mehr verdient - und ich auch", sagte der Portugiese, der bekanntermaßen nie einen Stich setzt, ohne Faden in der Nadel zu haben. Er wird seit Monaten mit dem Champions-League-Teilnehmer Paris Saint-Germain in Verbindung gebracht. Allein: Wie amüsiert die europäische Fußballunion Uefa über Mourinho ist, wird sich zeigen: Dessen Auftritt am Auto von Taylor dürfte eine exemplarische Sperre nach sich ziehen.

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