Europa League: Finale:Lehrling von der Rückbank

Der 33-jährige André Villas-Boas, Trainer des Europa-League-Finalisten FC Porto, erlebt einen sagenhaften Aufstieg und gilt als Wunderkind unter den Trainern. Wie einst sein Chef José Mourinho.

Javier Cáceres

Der sagenhafte Aufstieg des André Villas-Boas begann im Lift eines Mehrfamilienhauses, die Reise ging hinab. Es war Weihnachten, und Villas-Boas, ein noch pickliger Teenager, war ein paar Stockwerke hinaufgelaufen und hatte an der Wohnungstür von Bobby Robson geklingelt, um dem damaligen Trainer des FC Porto zu Weihnachten eine Flasche Wein zu überreichen - aber vor allem, um mit dem Briten über Fußball zu reden.

Andre Villas-Boas

André Villas-Boas, 33-jähriger Trainer des FC Porto.

(Foto: dpa)

Im Fahrstuhl nahm Villas-Boas die Aufstellung Robsons auseinander - und erklärte dem Briten vor allem die Gründe, aus denen Domingos Paciência im Angriff spielen müsse anstatt auf der Bank zu versauern.

Robson muss beeindruckt gewesen sein: Er lud Villas-Boas ein, dem Training des FC Porto beizuwohnen und sich um die Jugendmannschaften zu kümmern und fuhr den jungen Mann so manches Mal in seinem Honda Civic wieder nach Hause. Villas-Boas musste auf der Rückbank Platz nehmen. Denn der Sitz als Co-Pilot war für den Mann reserviert, den er nun durch eine unwahrscheinlich erfolgreiche Saison in den Schatten zu stellen scheint: José Mourinho, seinerzeit Assistent und Übersetzer Robsons und nun Coach bei Real Madrid.

Villas-Boas ist nun selbst Trainer beim FC Porto - und unabhängig vom Europa-League-Finale in Dublin gegen Sporting Braga drauf und dran, die jüngste Trainerlegende der Geschichte zu werden. Obwohl er selbst nie Profi war.

Nur selten hat es wohl ein Mann vom Schulhof in Europas Trainer-Elite geschafft. Noch immer ist er in einem Alter, in dem man nicht gerade Fußballprofi-Mannschaften in Europa trainiert. Villas-Boas, 33, hat alle handelsüblichen Karrierewege auf den Kopf gestellt: Dass er mit Anfang zwanzig Scout und später auch Assistent von Mourinho beim FC Porto, dem FC Chelsea und Inter Mailand wurde - geschenkt. Ebenso, dass er als englischsprachiger Enkel einer Britin seinen Trainerschein in Schottland machte.

Schon nicht mehr ganz so gängig ist hingegen, dass Villas-Boas mit 23 Jahren bereits Nationaltrainer wurde - zwar nur beim Verband der britischen Jungferninseln, wo er sein Alter erst nach seiner Entlassung verriet. Aber immerhin. Den Durchbruch schaffte Villas-Boas, nachdem er wenige Tage vor seinem 32.Geburtstag den sieg- und hoffnungslosen portugiesischen Erstligisten Académica de Coimbra auf dem letzten Tabellenplatz übernahm - und dann souverän vor dem Abstieg rettete.

Wissen aus dem Managerspiel

In dieser Saison wurde er mit dem FC Porto nicht bloß Meister, sondern blieb dabei ungeschlagen. 27 Ligasiegen standen drei Unentschieden gegenüber, eine ähnliche Bilanz hatte zuletzt Benfica Lissabon vorzuweisen: 1973. Selbst ein so fußballfremdes Blatt wie das Wall Street Journal hat Villas-Boas bereits als "neues kleines Genie" gefeiert. Nicht so schlecht für einen Mann, der einen Großteil seines Fußballwissens nicht aus der Zusammenarbeit mit Koryphäen wie Robson und Mourinho, sondern aus einem Computerspiel namens Championship Manager bezogen haben will.

Mit Mourinho teilt er die beeindruckende Gabe, das Spiel von Fußballmannschaften mit manischer Hingabe und einschüchternder Präzision zu sezieren; die akribischen Gegner-Analysen, die das Siegel Villas-Boas' trugen, kamen nach viertägigen Studien zustande, an deren Ende individualisierte DVDs und griffige Anweisungen für die eigenen Spieler standen.

Mourinho soll alles andere als erbaut gewesen sein, als Villas-Boas ihm ankündigte, es auf eigene Faust im Profi-Fußball versuchen zu wollen, ihr Verhältnis ist so abgekühlt, dass sie nicht mehr miteinander reden. Umgekehrt ist Villas-Boas die Vergleiche mit Mourinho leid: Er sei dessen Luke Skywalker oder "Mini-Me", hieß es in portugiesischen Medien.

"Nur wer André nicht kennt, zieht diese Analogien", sagt José Eduardo Simoes, der Ende 2009 als Präsident von Académica die Verpflichtung von Villas-Boas verantwortete: "Seine Persönlichkeit und sein Charakter haben nichts mit Mourinho zu tun."

In der Tat ist Villas-Boas so etwas wie ein Mourinho mit menschlichem Antlitz. Zwar scheut auch der Mann mit adligen Vorfahren - sein Urgroßvater war der Vicomte von Guilhomil - keine Kontroversen. Aber der Enkel eines portugiesischen Vizegrafen ist nicht mal ansatzweise so konfrontativ wie Mourinho. Anders als der Real-Trainer verzettelt er sich nicht in Kriegen und Verschwörungstheorien - er lässt auch einen anderen, offensiveren Fußball spielen.

Fußballerische Probleme versucht Villas-Boas im Zweifelsfall über den Ballbesitz der eigenen Mannschaft zu lösen, Mourinho legt den Akzent eher auf die Zerstörung der gegnerischen Idee. "Ich bin ein bedingungsloser Fan des Fußballs, den Josep Guardiola beim FC Barcelona spielen lässt. Er ist das Spiegelbild des Fußballs, den alle Mannschaften spielen sollten. Er ist magisch", sagt Villas-Boas, der am Mittwoch ironischerweise dem Mann gegenübersitzen wird, dessen Aufstellung er bei Robson einforderte: Domingos Paciência, heuer Trainer beim Finalgegner Sporting Braga.

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