Eintracht Frankfurt in der Europa League:Hypnotisch wie eine riesige Voodoo-Party

Eintracht Frankfurt in der Europa League: Nach dem Schlusspfiff stürmen Frankfurter Fans den Rasen, um den Finaleinzug mit der Mannschaft um Torhüter Kevin Trapp zu feiern.

Nach dem Schlusspfiff stürmen Frankfurter Fans den Rasen, um den Finaleinzug mit der Mannschaft um Torhüter Kevin Trapp zu feiern.

(Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Die Eintracht-Fans bereiten die Bühne, die Frankfurter Fußballer bespielen sie: Durch ein 1:0 gegen West Ham erreicht der Klub das Europa-League-Finale - und setzt seine spezielle Feier fort.

Von Philipp Selldorf, Frankfurt

Den ersten Trupp von Eindringlingen in seinem Strafraum ließ Kevin Trapp noch gewähren - es war das mobile Konfetti-Beseitigungskommando, das vor dem Anpfiff noch eilig mit Laubbläsern die Spuren des Festtagsschmucks beseitigte. Andernfalls hätte das Spiel auf Papierschnipseln statt auf Rasen ausgetragen werden müssen.

Eintracht Frankfurts Fankurve hatte mächtig aufgefahren, um den Abend zu würdigen. Es rauchte und blitzte im schwarz-weißen Fahnenmeer wie an Silvester, und die Gesänge waren hypnotisch wie auf einer riesigen Voodoo-Party - bloß mit der Lautstärke von Motörhead. Wer immer schon mal ein wüstes Vorspieltheater wie bei den Boca Juniors aus Buenos Aires erleben wollte, der war am Donnerstagabend im Waldstadion richtig und konnte sich die Flugreise sparen.

Die rasende Vorfreude auf den Auftritt der Euro-Eintracht sollte nicht enttäuscht werden. Das Wort "historisch" war sicherlich das am meisten bemühte Wort in der Vorberichterstattung der lokalen Medien, aber es war das richtige Wort zum richtigen Anlass. Die Frankfurter ließen sich auch vom potenten Premier-League-Klub West Ham United nicht aufhalten bei ihrem Sturmlauf ins Europa-League-Finale. Der 1:0-Sieg gegen einen Gegner in Unterzahl brachte nicht das ganz große Europacup-Drama, tat der großen Feier aber keinen Abbruch.

Die Partie hatte für die Hausherren mit einem Schock begonnen. Abwehrchef Martin Hinteregger, zur allgemeinen Erleichterung gerade rechtzeitig von einem Infekt gesundet, verletzte sich nach gerade mal drei Spielminuten am Oberschenkel und musste den Platz verlassen. Hinteregger ist nicht bloß ein patenter Verteidiger, er ist auch einer der führenden Vertreter des Frankfurter Europacup-Spirits, sein Ausscheiden wirkte durchaus einschüchternd auf seine Mannschaft. Bis sie sich aus der Erstarrung löste, verging eine lange und zähe Weile. Dass die Londoner die Unsicherheit des Gegners nicht forciert zu nutzen versuchten, war ihr Versäumnis - und der Ausdruck ihrer Defizite. West Ham hatte zuletzt eine Niederlage nach der anderen eingefahren.

Nach Video-Einsatz gibt's Rot für West Ham

Der erste konstruktive Frankfurter Angriff war das typische Verlegenheitsprodukt eines Teams, das sich nicht aus der Deckung traut. Ein auf gut Glück geschlagener langer Pass von Daichi Kamada auf die einsam diensttuende Sturmspitze Jens Petter Hauge, eigentlich kein aussichtsreiches Manöver - und doch die Szene, die das Spiel entscheiden sollte. Hammers-Verteidiger Aaron Cresswell verrechnete sich gewaltig und bekam Hauge nicht anders in den Griff, als ihn zu Boden zu ziehen und zu zerren. Dass Schiedsrichter Jesús Gil Manzano dafür lediglich die gelbe Karte zog, löste landesweite Proteste aus, denen sich auch das Videogericht anschloss. Manzano bekam das nötige Signal, schaute nach und revidierte korrekterweise sein Urteil. Notbremser Cresswell musste gehen (19. Minute), und die Eintracht hatte nicht nur den psychologischen und numerischen Vorteil, sondern sehr bald auch die Führung auf ihrer Seite: Rechtsaußen Ansgar Knauff lief nach einem Pass des eingewechselten Almamy Touré allen davon und fand mit seinem Zuspiel in der Strafraummitte den gänzlich allein gelassenen Rafael Borré. Der Rest war Angreifer-Routine (26.).

Diesem 1:0 lag, genau besehen, der erste konstruktive Offensivspielzug der Hausherren zugrunde, denn alles in allem war dieses Spiel nicht gerade von gehobener Klasse. Beide Seiten bekämpften sich ergiebig in den strafraumfernen Zonen, Torszenen entfielen weitgehend. Aber wen interessierte das auf den Rängen des Frankfurter Stadions? Es war genau die beherrschbare Dramatik, die sich ein vom Finale träumender Eintracht-Fan wünschte. Die Mannschaft verteidigte mit Hingabe die Führung gegen einen dezimierten und entmutigten Gegner, der seinen Schrecken verloren hatte. Dass Evan N'Dicka kurz vor der Pause auf der Linie klären musste - ein vereinzelter bedrohlicher Moment.

Die zweite Hälfte ging dahin wie die erste. Die Frankfurter achteten vor allem darauf, dass sie nicht in Gefahr gerieten, indem sie West Ham von Trapps Tor fernhielten. Die Minuten verstrichen ereignislos, und als sich West Hams Trainer David Moyes durch einen Wutanfall die rote Karte (78.) einhandelte, ging die Moral der Engländer zur Neige. Und das Publikum feierte, nicht wenige vermutlich bis zum Morgengrauen.

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