Frankfurt in der Europa League:Wenn alle Dämme brechen

Lesezeit: 4 Min.

Nach dem Finaleinzug stürmen die Frankfurt-Fans den Rasen. Zwei von ihnen haben sich besonders lieb. (Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Nach dem Einzug ins Europa-League-Finale gibt es bei Eintracht Frankfurt kein Halten mehr: Anhänger stürmen den Rasen, Spieler feiern wie Fans. Doch es kommt auch zu Szenen, die die Uefa noch beschäftigen dürften.

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Es war kurz vor Mitternacht, als plötzlich Bedienstete des Catering Service im Laufschritt durch die Katakomben der Frankfurter Arena hasteten. Sie trugen Kisten mit Flaschenbier in Richtung jener Kabine, aus der wummernde Bässe dröhnten. Wenn schon der eigene Anhang an einem erneut herausragenden Europacup-Abend bei Eintracht Frankfurt völlig aus dem Häuschen geriet, dann war das auch den Spielern gestattet.

Der 1:0-Rückspielsieg gegen West Ham United (Torschütze Rafael Borré, 26. Minute) hat nach dem 2:1 im Hinspiel dafür gesorgt, dass der hessische Bundesligist nun wirklich den Ort seiner Sehnsüchte erreicht: das Finale der Europa League am 18. Mai gegen die Glasgow Rangers in Sevilla. Eine flirrende Konstellation, die auch Trainer Oliver Glasner um Fassung ringen ließ: "Geiler Gegner mit geilen Fans. Super Stadion, tolle Stadt."

Glasgow Rangers gegen Leipzig
:Überwältigt von der emotionalen Wucht

Die Glasgow Rangers werden selbst von der Ehrentribüne angepeitscht, Leipzig verzweifelt und verpasst das Endspiel. Die Schotten widmen ihren Finaleinzug auch dem verstorbenen Zeugwart.

Von Javier Cáceres

Der Österreicher, 47, war "riesig stolz" auf seine Mannschaft und darauf, "dass wir ungeschlagen ins Endspiel einziehen. Jeder der an diesem wunderbaren Abend dabei war, wird es sein Leben nicht vergessen." In der brodelnden Arena im Frankfurter Stadtwald mit der mehrheitlich wieder ganz in Weiß gekleideten Kulisse hatte es nach Schlusspfiff kein Halten mehr gegeben: Die Fans stürmten sofort den Innenraum; kurzzeitig sah es auf dem Rasen chaotisch aus, als einige Frankfurter Ultras sich unnötigerweise vor dem Gästeblock der "Hammers" aufbauten. Doch dann ließen sie sich hinter eine Sperre aus Sicherheitskräften direkt vor die Nordwestkurve bringen.

Mit mindestens 15 000 Frankfurt-Fans wird beim Finale im Estadio Ramón Sánchez Pizjuán gerechnet

Die kurzzeitig irritierende Szenerie beobachteten auch der unter den vielen Ehrengästen weilende Uefa-Präsident Aleksander Čeferin sowie Generalsekretär Theodore Theodoridis, die ranghöchsten Repräsentanten der Europäischen Fußball-Union. Es gilt als sicher, dass die Uefa mindestens eine Untersuchung der Vorkommnisse auf den Weg bringt, zumal auch Appelle während des Spiels, keine Pyrotechnik anzuwenden, einige Fans mitnichten interessierten.

Doch die Uefa wird dem Frankfurter Anhang kaum den Stadionbesuch in Sevilla verbieten - das würde im Vorlauf des Endspiels riesigen Unfrieden stiften. Mit mindestens 15 000 Eintracht-Fans wird im Estadio Ramón Sánchez Pizjuán gerechnet. Schon jetzt sind aus Frankfurt fast alle Flugreisen rund um den 18. Mai nach Andalusien und die weitere Umgebung ausgebucht.

Schütze des einzigen Tores im Rückspiel: Frankfurts Rafael Borré. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Eintracht-Präsident Peter Fischer wollte auf Fanseite kein Fehlverhalten erkennen: "Das ist Frankfurt, das ist die pure Freude. Das haben diese Stadt und das Umfeld so verdient." Für das emotionale, aber nicht immer hochseriöse Sprachrohr des 100 000-Mitglieder-Vereins kann es beim finalen Showdown für die Vermarkter der Uefa nicht besser kommen: "Eintracht Frankfurt gegen Glasgow Rangers: Da spielt Tradition gegen Tradition - Weltklasse. Uns erwartet eine sehr athletische Mannschaft, aber jetzt wollen wir das Ding auch holen", rief Fischer, 66, mit gewohnt heiserer Stimme. Um den fast zwei Meter großen Hünen herum scharten sich Menschen, die ihn vor Freude fast erdrückten.

Das Finale besitzt auch deshalb so einen hohen Stellenwert, weil der Europa-League-Sieger direkt in die Champions League einzieht. "In der Konsequenz wäre das ein Meilenstein", räumte Sportvorstand Markus Krösche ein, der festhielt: "Unser Ziel ist es ganz klar, die Europa League zu gewinnen." Der Manager äußerte sich zwar respektvoll vor den robusten Schotten, die mit Borussia Dortmund und RB Leipzig nun zwei deutsche Spitzenvereine eliminiert haben, aber die Frankfurter Ausrichtung ist klar: Sevilla soll die Krönung werden - und dazu gehört der Cup.

West Hams Trainer trifft beim Ballwegschlagen einen Balljungen - und sieht Rot

Krösche, 41, findet es ein bisschen ungerecht, dass die Europa League immer als "der kleine Bruder" der Champions League angesehen wird - bei der Eintracht habe diese Perspektive nie gegolten. Bei drei Teilnahmen innerhalb weniger Jahre konnten sich Verein, Stadt und Fans selbst für Qualifikationsspiele gegen Flora Tallinn aus Estland begeistern. Nun also das Finale, und die Eintracht-Historie weist bislang nur zwei vergleichbare Spiele aus: 1960 unterlag Frankfurt im Europapokal der Landesmeister gegen Real Madrid (3:7), 1980 aber gewann man den Uefa-Cup gegen Borussia Mönchengladbach (2:3, 1:0). Der zweite Anlauf auf die vor 42 Jahren gewonnene Trophäe versetzt den Klub nun in einen Ausnahmezustand.

Mitten im Getümmel: Frankfurts Sebastian Rode kämpft sich nach dem Schlusspfiff durch die eigene Anhängerschaft. (Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Auch Glasner ("Sie wollten halt ihre Lieblinge mal drücken") bat um Verständnis, dass nach Spielende auf Frankfurter Seite einiges unbeherrscht aussah. Wie übrigens auch bei seinem Londoner Trainerkollegen David Moyes, der beim Ballwegschlagen einen Balljungen traf, sich später entschuldigte, aber trotzdem mit roter Karte in die Katakomben geschickt wurde (78.). Zuvor hatte der gute spanische Referee Jesús Gil Manzano nach VAR-Intervention bereits West Hams Abwehrspieler Aaron Cresswell wegen Notbremse vom Feld verwiesen (17.).

Mit der frühen Überzahl war der Eintracht sehr geholfen, Glasner versuchte später zu erklären, was die Stärke seines Teams auf internationalem Parkett ausmacht: "Es ist eine Atmosphäre im Klub, in der Stadt, die dich mitreißt. Da müssen wir abliefern; und da schaffen wir es, dass wir emotional drüber sind. Leider sind wir in der Liga dann emotional drunter." Der Trainer weiß, dass er für die letzten beiden Bundesligaspiele gegen Mönchengladbach (Sonntag) und bei Mainz 05 (14. Mai) keine Spannung mehr aufbauen kann. Trotzdem setzte er für Freitag, 12 Uhr, einen lockeren Waldlauf an: "Die Jungs haben ein bisschen was rauszuschwitzen."

Der neben ihm sitzende Torwart Kevin Trapp, 31, verdrehte auf dem Pressepodium die Augen. Er trug bereits ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift "Sevilljaaaaa! - in diesem Jahr". Ein Vorgeschmack auf die Dienstreise gen Andalusien. Der Torhüter mit der besonders engen Bande zum Verein hatte feuchte Augen, als er zu später Stunde verriet: "Das ist der schönste Moment meiner Karriere."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Eintracht Frankfurt in der Europa League
:Hypnotisch wie eine riesige Voodoo-Party

Die Eintracht-Fans bereiten die Bühne, die Frankfurter Fußballer bespielen sie: Durch ein 1:0 gegen West Ham erreicht der Klub das Europa-League-Finale - und setzt seine spezielle Feier fort.

Von Philipp Selldorf

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: