Am Donnerstag wird Rafael Benitez, der Trainer des SSC Neapel, 55 Jahre alt. Und wie die Dinge stehen, dürfte Benitez ganz froh darüber sein, seinen Geburtstag fernab von Neapel in Wolfsburg zu begehen, wo seine Mannschaft im Viertelfinale der Europa League gegen den VfL antritt. Zu Hause ist die Stimmung nämlich denkbar schlecht. Seit Napoli in der vorigen Woche von Lazio Rom im italienischen Pokal-Halbfinale besiegt wurde, hat Präsident Aurelio De Laurentiis der Mannschaft samt Benitez Hausarrest bis zum Saisonende auferlegt.
Noch nicht einmal das glänzende 3:0 gegen den AC Florenz am Sonntag stimmte den Patron milde. Gleich nach dem Schlusspfiff wurden alle wieder ins Hotel neben dem Trainingszentrum von Castel Volturno kommandiert, wo die Familien der Spieler ebenso Besuchsverbot haben wie die Journalisten. De Laurentiis hat seinen Angestellten nämlich zusätzlich ein Sprechverbot erteilt, das auch in Wolfsburg aufrechterhalten werden soll. Dafür dürfte ihm die Uefa 25 000 Euro Buße auferlegen - Peanuts für den steinreichen Filmproduzenten.
Ein Feudalherr als Präsident
Seit 2004 ist der Neffe des italo-amerikanischen Kino-Giganten Dino De Laurentiis Besitzer des melodramatischsten Klubs Italiens. Seitdem herrscht Aurelio De Laurentiis in Neapel wie ein bourbonischer Feudalherr, mit einem Temperament, das ähnlich explosiv erscheint wie das des angestammten Hausfeuerwerkers Vesuv. Mal präsentierte der Präsident Zugänge auf einem weißen Kreuzfahrtschiff in den pittoresken Gewässern des alten Hafens vor Santa Lucia.
Mal drohte er dem Krankenhaus der Insel Capri mit einer Millionenklage, weil die dort operierenden Ärzte seiner Ansicht nach die Nase des Argentiniers Gonzalo Higuain verschandelt hatten. Bei Spielern und Trainern seines Klubs ist De Laurentiis, der auf dem römischen Quirinalshügel gleich neben dem Palast des Staatspräsidenten residiert und in Neapel stets in einem Luxushotel Hof hält, wegen seiner Launenhaftigkeit gefürchtet.
Schuld an der Krise? Das Nachtleben in Neapel
Zwei, die in Neapel in der Kritik stehen: Trainer Rafael Benítez (rechts) und der argentinische Angreifer Gonzalo Higuain.
(Foto: Ciro de Luca/Reuters)"Erfolg kommt von Disziplin", wetterte er nach dem Pokal-Aus und vermutete "jene Ablenkungen, die die wunderschöne Stadt Neapel jungen Männern leider bietet" als Ursache für die Schlappe: Das aufregende Nachtleben habe seine Fußballer müde gemacht. Hinter den Kulissen wurde der Padrone noch ein wenig deutlicher. Er fluchte wie ein neapolitanischer Hafenarbeiter, was den Verband dazu bewog, ihm wegen "wiederholter blasphemischer Äußerungen" eine Sperre bis zum 20. April aufzuerlegen.
Bis dahin darf der Napoli-Boss nicht als Klubpräsident in Erscheinung treten - was ihn nicht davon abhalten wird, mit seinem Privatjet nach Wolfsburg zu reisen. Schließlich soll das Match dort eine Saison retten, die bislang nicht nach den Vorstellungen des Eigners verlaufen ist. In der Qualifikation für die Champions League scheiterte die Mannschaft bereits in der Vorrunde kläglich am Außenseiter Atletico Bilbao.
Der Patron dachte an einen Teilzeit-Trainer
In der Meisterschaft liegt sie nach einem starken Start 20 Punkte hinter Tabellenführer Juventus Turin auf Platz 4. Von der gewinnträchtigen Teilnahme in der Königsklasse trennen die Neapolitaner sieben Punkte. In Wolfsburg muss deshalb jetzt ein Wunder geschehen. Alle Zeichen stehen auf Angriff - mit José Callejon, Marek Hamsik und vor allem Higuain. "El pepita" hatte den Deutschen bereits im WM-Finale mächtig zugesetzt und dem Achtelfinal-Gegner Dynamo Moskau allein drei Tore verpasst.
Doch gleichgültig, wie weit Neapel in Europa kommt - für Rafael Benitez wird es der letzte Geburtstag am Hofe von De Laurentiis sein. Der Hausarrest in dem drittklassigen Hotel (Doppelzimmer ab 67 Euro) am Trainingszentrum besiegelt den unvermeidlichen Abschied am Saisonende. Und es dürfte nicht einfach für den Patron sein, einen neuen, motivierten Übungsleiter für Castel Volturno zu finden. Das Zentrum liegt direkt am Meer, aber neben einem der schmutzigsten und traurigsten Strände Italiens.
Viertelfinale, Hinspiele
VfL Wolfsburg - SSC Neapel (Kabel eins / Do. 21.05)
FC Sevilla - Zenit St. Petersburg Do. 21.05
FC Brügge - Dnjepr Dnjepropetrowsk Do. 21.05
Dynamo Kiew - AC Florenz Do. 21.05
Rückspiele: Donnerstag, 23. April.
Der Nationaltrainer als Teilzeitkraft
Bevor der SSC Neapel dort sein Lager aufschlug, war der 45 Kilometer entfernte Ort vor allem wegen der Aktivitäten des Camorra-Clans der Casalesi berüchtigt. Deren Bosse sind inzwischen entmachtet, doch sie hinterlassen ein zerschundenes, zerschlagenes Gebiet, das vom Wiederaufbau Lichtjahre entfernt ist. De Laurentiis ignoriert diese Zustände. Das offizielle, entschiedene Engagement gegen die Camorra überlässt man den Amateuren in den unteren Ligen.
Weil es sich unweigerlich dennoch herumspricht, wie es in Neapel zugeht, lässt sich so mancher Profi auch nicht mit einer Millionengage unter den Vesuv locken. Regelmäßig macht De Laurentiis die bösen Medien dafür verantwortlich, dass sie ihm die besten Spieler verschrecken. Benitez' Rücktrittsangebot hat er einstweilen abgelehnt, doch bereits angefangen, sich nach Ersatz umzusehen. Die bizarre Idee, den aktuellen Nationaltrainer Antonio Conte sozusagen in Teilzeit auch für Napoli anzuheuern, wurde von dem beratungsresistenten Padrone immerhin schnell wieder verworfen. Conte wäre als eingefleischter Juventus-Mann undenkbar in Neapel.
Neapel hat Geld. Das Stadion ist trotzdem baufällig
Genau 100 Einsätze hat Benitez bis dato als Trainer des aufregendsten Klubs der Serie A bestritten. Mit 54 Siegen und 25 Unentschieden kann sich seine Bilanz durchaus sehen lassen. Doch Hoffnung auf Titel und Trophäen konnte auch der international erfahrene Spanier nicht erfüllen. Neapel hat hervorragende Spieler und in dieser Saison auch eine Menge Geld, schließlich schloss der Klub 2014 mit Rekord-Einnahmen von 237 Millionen Euro ab. Doch für De Laurentiis ist Nachhaltigkeit ein Fremdwort. Ganz in der Tradition der italienischen Fußball-Barone setzt er auf Spielerverkäufe und Fernseh-Einnahmen, ohne in den Nachwuchs oder auch in ein eigenes Stadion zu investieren.
Im baufälligen Stadio San Paolo ist der SSC Neapel weiter nur Mieter. Immerhin hat der Präsident jetzt massive Investitionen für die dringend notwendige Renovierung angekündigt. "Ich werde mich zwei Jahre lang aus dem Kino-Geschäft zurückziehen und nur um das Stadion kümmern", versprach De Laurentiis einem neapolitanischen Lokalsender mit dem sprechenden Namen Radio Kiss Kiss. Man wird sehen, was daraus wird. Auf jeden Fall bleibt der Patron Regisseur und Hauptdarsteller in seinem eigenen Film.