Süddeutsche Zeitung

Europa League:Mourinho erleichtert Manchester

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Von Sven Haist, Stockholm

Aus dem Pulk heraus hielt Wayne Rooney die Trophäe der Europa League nach oben. Seine Mitspieler tanzten auf dem Podest um ihn herum, und Josè Mourinho, der Vordenker des Teams, tanzte aus der Reihe. Auf den ersten Blick waren das gewöhnlichen Feierlichkeiten, die der englische Rekordmeister dem 2:0 (1:0) im Finale gegen Ajax Amsterdam folgen ließ. Wer allerdings die Siegerehrung über das Muster vergangener Jubelarien legte, dem konnte nicht entgehen, dass der europäische Fußballverband diesmal auf jeglichen Klamauk verzichtete: keine Konfetti-und Nebelkanonen, keine künstlichen Lichteffekte, keine Einspielfilme auf den Videowänden. Nicht mal der Gassenhauer "We are the champions" dröhnte aus den Stadionlautsprechern.

Zwei Tage nach dem terroristischen Anschlag auf ein Popkonzert in Manchester, bei dem 22 Menschen ihr Leben verloren, steckte in diesem Sportevent am Mittwochabend im Stockholmer Vorort Solna mehr als einfach nur ein Fußballspiel. Schon vor der Partie sagten die Veranstalter die geplante Eröffnungszeremonie ab. Stattdessen gab es eine Schweigeminute, die in rührenden Applaus überging, begleitet von den "Manchester, Manchester"-Rufen der Zuschauer.

In der Kabine hielten ManUniteds Spieler ein Spruchband hoch, auf dem in Großbuchstaben geschrieben stand: "A City United". Diesen Slogan hatte kurz zuvor auch Uniteds Stadtrivale City über die eigenen Medienkanäle verbreitet, die beiden Kürzel "City" und "United" jeweils unterlegt in den Vereinsfarben. Bei aller sportlichen Rivalität, bei all dem Streben nach Internationalisierung und noch mehr Geld zeigte diese Botschaft, dass die größten Markenträger der Stadt im Kern zusammen halten.

Mourinho wird umgerissen

Der Triumph in der Europa League sichert ManUnited nach Platz sechs (und 24 Punkten Rückstand auf Meister Chelsea) in der Premier League einen Startplatz in der Champions League und vervollständigt die eigene Trophäensammlung. Nach dem Sieg in der Königsklasse vor acht Jahren unter Trainer Alex Ferguson ist ManU nun wieder im Besitz eines Europapokals.

Doch persönliche Interessen gerieten an diesem Mittwochabend zur Nebensache. Als Rooney gegen 23 Uhr Ortszeit den Pokal überreicht bekam, nahm er ihn stellvertretend für alle Mancunians entgegen. "Wenn wir die Trophäe für Menschenleben eintauschen könnten, würden wir nicht lange überlegen", sagte Mourinho.

An der Erleichterung nach Abpfiff ließ sich erahnen, welche Last die Beteiligten mit sich herumschleppten. Auf einmal legte der am Kreuzband verletzte Zlatan Ibrahimović seine Krücken ab und ging über den Rasen, als hätte er eben vor den Augen seiner schwedischen Landsleute selbst mitgespielt. Am Seitenrand lag sich Uniteds Trainerteam in den Armen. Die Assistenten warfen Mourinho mehrmals in die Luft, bevor sein Sohn ihn in einem Freudentanz zu Boden riss. Immer wieder streckte der Portugiese den Kameras vier Finger entgegen - so viele europäische Titel hat er nun eingesammelt. Überhaupt hat Mourinho in seiner Karriere nie ein internationales Finale verloren, nicht einmal geriet seine Elf dabei in den vier Partien in Rückstand.

Den englischen Supercup und Ligapokal mit einberechnet, hat Mourinho in seiner ersten Saison bei Manchester United nun drei Trophäen gewonnen. Mit ausgebreiteten Armen ließ er sich vor den Fans feiern, die ihm mit Sprechgesängen huldigten. Von den Siegerfotos konnte Mourinho gar nicht genug bekommen, was verdeutlichte, wie groß die innere Anspannung bei ihm gewesen sein muss. Seit Wochen betrieb er das riskante Pokerspiel, die Aufmerksamkeit vollständig auf die Europa League zu richten. Bei einer Niederlage hätte der ruhmreiche Klub eine weitere Saison in einem Wettbewerb verbringen müssen, der für das eigene Selbstverständnis viel zu klein ist.

Die Odyssee in dieser Spielzeit führte ManUnited über 15 Spiele und etwa 25 000 Flugkilometer quer durch Europa von Istanbul bis nach Stockholm. Im Duell mit Amsterdam konnten die Spieler mal wieder auf die Anweisungen ihres Coaches vertrauen. Keiner in der Branche weiß besser, welche Taktik angewendet werden muss, um die Stärken des Kontrahenten zu neutralisieren. Der Plan war, mit defensiv gewieften Profis das Spiel zu kontrollieren, ohne den Ball zu haben. Das junge, technisch hoch veranlagte Ajax-Team sollte sich im Tatendrang, nach 22 Jahren mal wieder einen internationalen Titel zu gewinnen, selbst ausspielen - und so kam es auch.

Die beiden Innenverteidiger Davinson Sanchez, 20, und der 17-jährige Matthijs de Ligt, waren überfordert bei der Gestaltung des Spiels. Den ersten Ballkontakt hatte Stürmer Kasper Dolberg beim Anstoß für Ajax nach dem Treffer durch Paul Pogba (18.). Dem 1:0 ging ein Ballverlust des Vizemeisters der niederländischen Eredivisie bei einem Einwurf am eigenen Strafraum voraus. Das 2:0 gelang Henrikh Mkhitaryan nach einem Eckball (48.).

Das komfortable Resultat erlaubte Mourinho in der Schlussminute die Möglichkeit, seinen in die Jahre gekommenen Kapitän Rooney einzuwechseln. Seinen einzigen Ballkontakt hatte der nach einer Grätsche an der Seitenlinie. Ein typischer Wayne Rooney war das - und vermutlich auch seine letzte Aktion im Trikot von Manchester United. Nach 559 Spielen für die Red Devils sieht es danach aus, dass seine Zeit im Sommer abläuft.

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