Leverkusen in der Europa League:Das nächste Kunststück von Florian Wirtz

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Der 19 Jahre alte Florian Wirtz hat gegen Saint-Gilloise längst nicht alles richtig gemacht - aber nie aufgehört, es besser machen zu wollen. (Foto: Revierfoto/Imago)

Gegen den vermeintlichen Außenseiter Union Saint-Gilloise muss ein Präzisionsschuss des Teenagers ein prekäres Remis retten. Erst in der Schlussphase sieht die Bayer-Elf wie der Favorit für den Einzug ins Halbfinale aus.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Der Mann, den Robert Andrich soeben im Gespräch mit den Reportern als "schönen Tanker" bezeichnet hatte, stand bloß ein paar Meter von dem Urheber des skurrilen Kompliments entfernt und war seinerseits damit beschäftigt, eine weitere Gruppe von Berichterstattern über das Treffen zwischen Bayer Leverkusen und Union Saint-Gilloise zu informieren. Die Partie endete 1:1, und Victor Boniface, die Nummer 7 in der Startelf des belgischen Tabellenzweiten, hatte zu den Hauptfiguren der Europa-League-Begegnung gezählt. Er hatte das Führungstor für die Gäste erzielt und dank seines zugleich leichtfüßigen wie baumstarken Auftretens beeindruckte Gegner hinterlassen.

"Der Kraftraum wird bestimmt sein Freund sein", hatte der Bayer-Anführer und heimliche Kapitän Andrich aus ehrlicher Überzeugung gemutmaßt, damit aber eine Falschmeldung in die Welt gesetzt, wie Boniface gleich darauf betonte: Er gehe - "ehrlich gesagt" - grundsätzlich nicht ins Gym, "ich mag das nicht". Und tatsächlich: Von der Tribüne aus mochte man den 22 Jahre alten Nigerianer für den jüngeren Bruder von Romelu Lukaku halten, aus der Nähe besehen erfüllt er bloß die Standardmaße eines athletischen Stürmers. Sein Geschick lässt ihn so außergewöhnlich wirken. Demnächst wird man ihn vermutlich in größeren Arenen erleben als im heimischen Stade Joseph Marien mit seinen 9400 Plätzen.

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Wie man sich in dieser plötzlich bis in internationale Höhe emporgeschossenen Mannschaft eines jahrzehntelang bedeutungslosen Brüsseler Stadtteilklubs täuschen kann, das hatten die Leverkusener im ersten Akt des Viertelfinales immer wieder erfahren müssen.

Bayer hatte sich nach der Auslosung auf die Belgier gefreut - zu früh, wie man sehen konnte

Das sowohl robuste wie spielerisch bewanderte und taktisch bestens organisierte Union-Team stellte eine noch anspruchsvollere Aufgabe dar, als die Leverkusener offenbar gedacht hatten. Wobei Bayer keineswegs den Eindruck erweckte, den Gegner zu unterschätzen oder mangelhaft über ihn informiert zu sein. Xabi Alonsos Elf nahm die Sache jederzeit ernst, ebendies lässt das letztlich leistungsgerechte Unentschieden so prekär erscheinen.

Denn zur Wahrheit gehört auch, dass sich die Leverkusener gefreut hatten, als ihnen der vermeintliche Außenseiter zugelost wurde, zumal in einem Zweig, in dem ihnen Manchester United und Juventus Turin bis zum Endspiel erspart bleiben würden. Nun aber stand Victor Boniface in der BayArena und sagte: "Oh ja, ich glaube daran, dass wir das Finale erreichen können."

Köpfchen im Fuß: Florian Wirtz trifft geschickt gegen drei Verteidiger der hartnäckigen Spieler von Union Saint-Gilloise (Foto: Maik Hölter/Imago/Team 2)

Florian Wirtz und seinem Präzisionsschuss in der 82. Minute verdankten es die Hausherren, dass sie nicht mit einem Rückstand zur zweiten Partie reisen müssen - wieder mal Florian Wirtz, wie gesagt werden muss. Der 19-jährige Spielmacher hatte längst nicht alles richtig gemacht an diesem Abend, aber er hat nie aufgehört, es besser machen zu wollen.

"Von der Qualität her ein Riesentor", lobt Leverkusens Robert Andrich die Entstehung des späten Ausgleichs

Hätte ihn Xabi Alonso ausgewechselt, hätte er dafür gute Gründe nennen können, der Trainer war jedoch so klug, über Fehler und Fehlentscheidungen in Wirtz' Spiel hinwegzusehen. Unter anderem deshalb, weil er dem eingewechselten Stürmer Sardar Azmoun den Auftrag mitgegeben hatte, im Strafraum Bälle zu gewinnen, um sie für die nachrückenden Offensivspieler Wirtz oder Moussa Diaby zum Einschuss bereitzulegen. Und was geschah in der 82. Minute? Eben dies. "Von der Qualität her ein Riesentor", wie Andrich später mit Recht bemerkte: Torschütze und Vorlagengeber hatten gegen eine Überzahl von Gegnern mit winzigen Freiräumen zurechtkommen müssen.

Dieser Moment von besonderer Klasse und das stürmische Finale bis in die letzten Sekunden der Nachspielzeit ließ Bayer zum Schluss doch noch wie den Favoriten des Viertelfinales aussehen. Xabi Alonso fand sich anschließend in aufgeräumter Stimmung zur Lagebesprechung ein, das dünne 1:1 schien ihn nicht enttäuscht zu haben. "Ein typisches Viertelfinale", stellte er im Stil des weitgereisten Europacupexperten fest. Dieses Vorspiel dürften seine Fußballer gern als Mahnung auffassen, gab er zu verstehen: "Die Tickets für das Halbfinale sind nicht for free - wir müssen sie verdienen." Nach sechs Monaten bei Bayer 04 weiß er, dass dieses Leverkusener Team zu allem fähig sein mag - dass es aber die volle Spannung benötigt, um zur besten Leistung zu finden.

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