Fußball-WM im E-Sport:"MoAuba" und "MegaBit" für Deutschland
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Von Johannes Aumüller, Frankfurt
In gewissem Sinne war auch Manuel Neuer anwesend bei diesem ungewöhnlichen Trainingslager, das in den vergangenen Tagen unter dem Dach des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ablief. Ebenso wie Toni Kroos, Leroy Sané und die anderen Kicker, die üblicherweise zur Nationalmannschaft gehören. Nur waren sie halt nicht leibhaftig dabei, es flimmerten lediglich ihre digitalen Abbilder über die Bildschirme. Die physisch anwesenden Nationalmannschafts-Mitglieder hießen Michael Bittner, 20, Mohammed Harkous, 22, und Benedikt Saltzer, 26, und dieses Trio bereitete sich auf einen besonderen Einsatz vor: An diesem Wochenende soll es den DFB in London beim ersten "eNations Cup", also der ersten virtuellen Team-WM in der Fußball-Simulation Fifa19, vertreten. Bittner und Harkous sind dabei die Spieler an der Xbox beziehungsweise der Playstation, Saltzer ist ihr Trainer.
Eine offizielle WM des Weltverbandes Fifa, bei der die Spieler nicht auf dem Rasen agieren, sondern auf Sesseln sitzen und über ihre Controller Fußballer auf dem Monitor bewegen, das mag zunächst schräg klingen. Aber es passt bestens zur Kickerbranche: Denn es geht bei diesem Thema nicht zuletzt um viel Geld - und einen großen Markt. Der sogenannte E-Sport boomt gewaltig, für das Jahr 2019 wird ein weltweiter Umsatz von knapp einer Milliarde Euro erwartet, rund ein Zehntel davon in Deutschland. Längst gibt es rund um den Globus Hunderte Profisportler, denen in der Mehrzahl mit dem Etikett vom Nerd nicht beizukommen ist, denn sie trainieren wie analoge Spitzensportler.
E-Sport bedeutet aber bisher nur zu einem überschaubaren Teil die Transformation herkömmlicher Sportarten ins Digitale wie etwa beim Fußball-Konsolenspiel Fifa. Das Spiel ist zwar als Produkt für die Masse immens populär und für den Spiele-Hersteller EA Sports sehr ertragreich; 24 Millionen Mal verkaufte sich die jüngste Fifa-Reihe weltweit. Aber die größten E-Sport-Turniere der Welt, das höchste Preisgeld und die meisten Zuschauer gibt es bei den Strategie- oder Shooter-Spielen wie League of Legends, Fortnite oder Counter Strike. Doch der Fußball bemüht sich sehr stark, seine Stellung in diesem Markt zu verbessern.
"Ein weiterer wichtiger und aufregender Schritt"
Zwar gibt es schon länger Profiklubs mit eigenen E-Sport-Abteilungen, professionelle Fifa-Spieler und eine Vielzahl an Turnieren, nach denen sich der Sieger deutscher Meister, Europa- oder beim eWorld Cup sogar Weltmeister nennen kann. Zudem ist es bezeichnend, dass das Konsolenspiel den gleichen Titel trägt wie der Weltverband. Aber es fällt auf, wie die Verbände derzeit versuchen, ihre analogen großen Wettbewerbe ins Digitale zu transferieren.
Zu Jahresbeginn fand erstmals eine virtuelle Bundesliga im Klub-Format statt, an der sich 22 Vereine aus der analogen ersten und zweiten Liga beteiligten (Werder Bremen gewann). Im DFB, der dem Thema lange skeptisch gegenüberstand, laufen Überlegungen zu einem virtuellen DFB-Pokal. Auf europäischer Ebene startet eine digitale Champions League, wenngleich die Teilnehmer da nicht unter dem Klublabel antreten, sondern als Einzelspieler. Und am Wochenende gibt es nun also den ersten Fifa eNations Cup mit 20 Teams - das erste Turnier, in dem Einzelspieler wie Bittner und Harkous vom Weltverband als "Nationalmannschaft" vermarktet werden.
"Ein weiterer wichtiger und aufregender Schritt" sei das, sagt die Fifa. Es geht den Verbänden um die Aufmerksamkeit der jungen Generation, um den riesigen Markt, um mögliche Synergien zwischen analogem und virtuellem Fußball.
Den Vertretern der klassischen E-Sport-Szene hingegen missfällt dieser Trend. "Das wirkt für mich wie ein Versuch, sich einen nicht vorhandenen Markt zu erkaufen. Das ist irgendwie typisch für das Verhalten und die Denkweise von Verbänden, die für sie bekannte Modelle und Muster auf den für sie neuen Markt applizieren möchten", sagt Niklas Timmermann. Er ist E-Sport-Unternehmer und schon viele Jahre in diesem Bereich tätig, etwa als Vize-Präsident im deutschen E-Sport-Bund.
So weit will Tim Reichert, Chief Gaming Officer bei Schalke 04, nicht gehen. Sein Verein nimmt in der E-Sport-Szene eine besondere Position ein. Schalke gilt als der Bundesligist, der sich am intensivsten mit dem Thema befasst - und anders als viele Liga-Konkurrenten beschränkt er sich nicht auf Fifa, sondern ist auch bei E-Sport-Titeln wie League of Legends dabei.
"Das Fifa-Ökosystem in seiner jetzigen Form bedarf einer grundlegenden Überarbeitung. Es gibt zu viele Wettbewerbe, so dass für die Fans nicht immer nachzuvollziehen ist, wie die Leistung eines Spielers einzuordnen ist. Ein Titel verliert seinen Reiz, wenn er durch zu viele Events verwässert", sagt Reichert.
Grundsätzlich sei der Ansatz ja richtig, erfolgreiche Modelle aus dem traditionellen Sport mitzunehmen. "Allerdings lässt sich nicht alles einfach eins zu eins übersetzen", sagt Reichert, "teilweise sind die Unterschiede dann doch zu groß."
Erst zwei Eins-gegen-eins-Duelle, dann ein Doppel
In London führt dieser Spagat zu einer zunächst seltsam erscheinenden Konstellation. Obwohl es als Nationalmannschaftsturnier vermarktet wird, spielen Bittner (Gamer-Name: "MegaBit") und Harkous ("MoAuba") nicht etwa mit dem virtuellen Abbild der aktuellen DFB-Auswahl. Sondern es gilt der bei Fifa19-Turnieren in der Regel gewählte Ultimate-Modus, in dem die Teilnehmer nach Herzenslust Spieler aus aller Welt in ihr virtuelles Team nehmen können, von Ronaldo bis Messi.
Hintergrund ist, dass sich die Stärke jedes Spielers im Konsolenspiel an der Stärke des realen Spielers orientiert. Der Gamer, der etwa für Saudi-Arabien bei der WM in London antritt, hätte also mit dem virtuellen saudischen Kader gegen den virtuellen deutschen sehr reduzierte Chancen. Von daher gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder ein Modus, in dem alle Spieler aller Mannschaften dasselbe Level haben und dafür ihrer spielerischen Besonderheiten beraubt werden; das heißt im Fachjargon "85er-Modus" und wurde etwa im Klub-Wettbewerb der virtuellen Bundesliga so gehandhabt.
Oder es bleibt der Ultimate-Modus. Trainer Saltzer macht keinen Hehl daraus, dass Ultimate für die Spieler die angenehmere, gewohntere Variante ist. Die Fifa sagt auf Anfrage nichts dazu. Der DFB teilt mit: "Natürlich wäre es eine schöne Verbindung, wenn sich die Kader im virtuellen Fußball analog zum realen Fußball widerspiegeln würden. Aus Verbandssicht wäre es wünschenswert, wenn dies in Zukunft machbar wäre. Allerdings ginge das aus verschiedenen Perspektiven an der aktuellen Realität des tatsächlich stattfindenden eFootball vorbei." Der Ultimate-Modus ermögliche ein attraktiveres, kompetitiveres Spiel.
Die große Frage ist, ob das Bemühen der großen Verbände beim Zuschauer und im E-Sport-Markt verfängt. E-Sport-Kenner sehen große Unterschiede zwischen Fifa und Spielen wie League of Legends. Letztere sind für sie viel anspruchsvoller, versuchen jegliche Zufallskomponenten zu eliminieren und bieten mehr Abwechslung. Und interessanterweise enthalten diese Spiele auch mehr Team- und Taktikelemente als der Fußball-Simulator, der in der Regel ein Einzel-Wettbewerb ist. In London etwa gibt es jeweils ein Eins-gegen-eins-Duell an der Xbox und an der Playstation, dann ein Doppel an einer Konsole.
"Ein bedeutender Unterschied zwischen Fifa und League of Legends ist, dass eine Begegnung in Fifa zu schauen nicht dieselbe Faszination mit sich bringt wie ein League of Legends-Spiel", sagt Tim Reichert: "Fifa ist ein Spieler-Sport, aber nicht unbedingt ein Zuschauer-Sport."