Süddeutsche Zeitung

Es war einmal WM - 1986:Suppenkasper und Idioten

Bei der Fußball-WM 1986 geht Franz Beckenbauer erstmals als Trainer der DFB-Mannschaft in das Weltturnier. Doch Beckenbauer ist in Mexiko als Führungskraft überfordert. Darunter leidet vor allem Torwart Uli Stein.

Es war einmal WM: In einer Serie blicken wir auf komische, merkwürdige, besondere Momente in der Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaften zurück. Teil dreizehn beschäftigt sich mit dem deutschen Trainer der WM 1986: Franz Beckenbauer.

"Und wennst a Glück hast", sagte Franz Beckenbauer, "werst du mit dene aa no Weltmoasta." Beckenbauer zählte fast die halbe Mannschaft auf, schlug sich bei jedem Namen mit der flachen Hand an die Stirn und lachte. Zwei Tage, bevor seine Truppe am 29.Juni 1986 in Mexiko-City das WM-Finale gegen Argentinien bestritt, demonstrierte der Teamchef im kleinen Kreis noch einmal, was er von ihrer fußballerischen Qualität hielt: nichts.

Den Spielern hatte er das schon am Anfang des Trainingslagers im 2600 Meter hoch gelegenen Morelia klargemacht. Fußballspielen könnten sie sowieso nicht, so Beckenbauer zu den verdutzten Profis. Die verheerende Wirkung seiner Worte kümmerte ihn nicht. Er hatte ja vor dem Abflug prophezeit: Wochenlang werde es Krach und Ärger geben, weil "so eine Weltmeisterschaft ein echter Scheiß" sei.

Kaum in Mexiko angekommen, fiel er vor einer staunenden Weltöffentlichkeit über die Bundesliga her. Sie liefere ihm zu wenig talentierte Fußballer, sei ein "Schrotthaufen", verschleudere ihr Kapital "aus purer Dummheit". Deshalb werde Deutschland auch nicht Weltmeister und er, Beckenbauer, werde in spätestens zwei Jahren zurücktreten. Erneut hatte der Teamchef die Konsequenz seines Rundumschlages nicht bedacht.

Vor allem die Spieler störten die Aussagen. "So etwas kann man acht Tage vor Beginn der WM nicht sagen", erklärte Kapitän Karl-Heinz Rummenigge und verlangte eine Unterredung mit Beckenbauer. Er habe niemand beleidigen wollen, teilte der Teamchef mit, und natürlich könne Deutschland Weltmeister werden.

So widersprüchlich ging es weiter bis zum Heimflug nach dem verlorenen Finale. Der 40-Jährige Beckenbauer, Chef der Nationalelf seit 1984, war in Mexiko als Führungskraft völlig überfordert. Er kannte seine Rolle nicht, war immer noch auf der Ebene des Spielers Franz, der sagen konnte, was ihm gerade einfiel.

Dabei war Beckenbauer lernbegierig, bereitete sich akribisch auf jedes Spiel vor. Nächtelang saß er vor dem Videorekorder und suchte nach den Schwächen der Gegner.

Doch Beckenbauer hatte keine Strategie für Konfliktlösungen. Auch vier Jahre später, als die deutsche Mannschaft in Italien mit ihm überzeugend Weltmeister wurde, handelte er seinem Naturell entsprechend oftmals intuitiv. Aber da war seine Haltung viel eindeutiger, er wirkte sicher und ernsthafter.

"Diese Weltmeisterschaft war das reinste Chaos", erinnerte sich Dieter Hoeneß. Besonders Uli Stein hatte darunter zu leiden. In Mexiko fühlte sich Stein ausgebootet, nachdem Beckenbauer ihm eröffnet hatte: "Du bist derzeit der beste Torwart der Welt, aber hier kannst du nicht spielen."

Stein war tief gekränkt, vermutete Interessen des DFB-Partners Adidas. Er betrieb Frustbewältigung, indem er in der Lobby demonstrativ Bier trank oder den einstigen Knorr-Werber Beckenbauer als "Suppenkasper" verspottete. Wie Augenthaler, Jakobs und Dieter Hoeneß überzog er nach einem Besuch der nahegelegenen Millionenstadt Querétaro um drei Stunden den Zapfenstreich. Am nächsten Vormittag mussten alle beim Teamchef antreten.

"Dann gib mir gleich mein Ticket"

Beckenbauer begann seine Standpauke mit: "Ihr Idioten", viel weiter kam er nicht. "Pass gut auf, was du sagst, Franz", parierte Hoeneß, "hier ist kein Idiot." Augenthaler, Jakobs und Hoeneß sollten jeweils 5000 Mark Strafe zahlen, Stein 10.000. "Das rettet dich vor dem Heimflug", beschied ihm der Teamchef. Darauf Stein: "Dann gib mir gleich mein Ticket", wie im Duett stimmten Augenthaler und Hoeneß ein: "Mir auch". Beckenbauer stutzte einen Moment, lachte und meinte, dann fliege natürlich keiner.

Am Tag darauf erwischte es Stein doch. "Tut mir leid, Uli, die Order kommt von ganz oben", sagte Beckenbauer beim Abschied. Der DFB-Präsident Hermann Neuberger hatte den Daumen gesenkt.

Mit den Erfolgen der Mannschaft wurde Franz Beckenbauer etwas gelassener. Gleichwohl blieb er, wegen seines Charmes oft verkannt, ein unbestechlicher Verfechter des Leistungsprinzips, dem der Sieg über alles geht.

Dieser Text ist dem Buch "Süddeutsche Zeitung - WM-Bibliothek Spanien 1982" entnommen.

Teil eins der Serie: Schwarzes Wunder - die Geschichte von José Leandro Andrade, dem ersten Glamour-Star des Fußballs und Weltmeister von 1930.

Teil zwei: Deutschland ehrenvoll ausgeschieden - die erste WM-Teilnahme der Deutschen 1934 zwischen Nazipropaganda und Szepans tollem Spiel.

Teil drei: Torhüter mit gebrochenen Knochen - wie schwer es die besten Torhüter ihrer Zeit in den dreißiger Jahren hatten.

Teil vier: No World Cups, please! - die erste WM-Teilnahme Englands im Jahr1950 gerät zur Blamage.

Teil fünf: 4:1 für Deutschland - ich bin sprachlos - wie Gefängnis-Insassen der DDR den WM-Titel 1954 im Radio erleben.

Teil sechs: "Trainer, stellen Sie mich bitte nicht mehr auf" - wie der Torhüter Heinrich Kwiatkowski 14 Gegentore in zwei WM-Einsätzen kassiert.

Teil sieben: "Ein Tritt, ein Flug" - die Geschichte des brasilianischen Dribblers Garrincha, der 1962 kaum mit fairen Mitteln zu fassen war.

Teil acht: "Hund Pickels findet WM-Pokal" - über die Suche nach dem verlorenen gegangenen Pott in England 1966.

Teil neun: "Vier Tage Arrest für Bobby Moore" - wie die englische Fußballlegende in eine Diebesgeschichte verwickelt wurde.

Teil zehn: "Herrgott i bitt' di, lass gwinna Haiti" - wie die Insel-Kicker aus HaitiWerbung für den Tourismus machten.

Teil elf: Allys lustige Army - das Chaos in der schottischen Nationalmannschaft in Argentinien.

Teil zwölf: "Ein schmutziges Stück Fußball-Porno" - Ein Schandfleck der österreichischen und deutschen WM-Geschichte.

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