Erster Termin vor Bayern - Barça:Matthias Sammer erblickt Amerika

Eintracht Frankfurt - FC Bayern München

Fokussiert auf das Halbfinale der Champions League: Bayerns Sportvorstand Matthias Sammer.

(Foto: dpa)

Mit einem "Open Media Day" eröffnet Bayern München das Ballyhoo vor dem Champions-League-Duell mit dem FC Barcelona. Der Übersetzer verdient eine Tapferkeitsmedaille, doch die Kernbotschaft an alle Welt lautet: Der deutsche Meister weiß um seine Stärke.

Von Gerald Kleffmann

Die Tür geht auf, Hektik bricht aus, Reporter schreiten hastig zu ihren Plätzen, spanisches Gemurmel vermischt sich mit deutschem, aber gleich wird es still. Denn er ist gekommen, der erste Talkgast dieses Open Media Day, zu dem der alte, neue Fußballpartybetrieb FC Bayern geladen hat.

Es ist kurz nach halb eins am Mittwochmittag. Von nun an wird in diesem vielleicht sieben mal sieben Meter kleinen Raum die Zeit still stehen, zumindest wird sich in den folgenden dreieinhalb Stunden niemand hier drinnen für sonstige Belange der Welt da draußen interessieren. FC Bayern gegen FC Barcelona, Champions League, Halbfinale 1 am nächsten Dienstag, Anstoß 20.45 Uhr. Das ist jetzt das Thema. Nichts anderes.

Matthias Sammer, die erste von vier Fachkräften, die Rede und Antwort stehen werden, lächelt, setzt sich. Dann blickt er mit zugekniffenen Augen in die Ferne, als wäre er Kolumbus und würde Amerika erblicken. Diese Pose beherrscht der Sportvorstand in Perfektion, was sie meist bedeutet, weiß man inzwischen auch: Sammer ist fokussiert, es brütet in ihm.

Aber er genießt auch solche Momente, wenn Bedeutungsschweres bevorsteht. "Barcelona war in vielen Sequenzen des Fußballs ein Vorbild", sagt Sammer gleich, "aber ich hoffe eben: war." Er hört dem Sound des Satzes nach. So wie er schaut, scheint er sich gut anzuhören für ihn. Bayern löst das Barça der Messis, Xavis und Iniestas als Primus ab? Ja, das hätte Nachrichtenwert.

Übermut, Respektlosigkeit freilich darf niemand Sammer unterstellen, es ist genau andersrum: Sammer redet in den höchsten Tönen von jenem Gegner, dessen Motto "Més que un club" lautet: mehr als ein Verein. "Die Art der Entwicklung und all die Erfolge lassen sich nicht in zwei Spielen wegwischen", sagt Sammer, nur eben: "Wir wollen uns einfach durchsetzen." Was höllisch schwer wird. Barça hat ja den Argentinier Messi, diesen "Genius", wie Sammer schwärmt, überhaupt hat Barça bewiesen, dass sie "die Idee Fußball und Leistung organisieren" können.

Besonders ein Thema ist dem 45-Jährigen wichtig, der seine Rolle als motivationsfördernder Kritiker, für die er geholt wurde, prima umsetzt. "Auch wir als Klub nehmen - trotz der Konkurrenz in den beiden Spielen - sehr erfreut zur Kenntnis, dass Eric Abidal wieder zum Kader gehört und Tito Vilanova dem Klub als Trainer auch wieder zur Verfügung steht."

Abidal musste eine Leber transplantiert werden, Vilanova litt an Ohrspeicheldrüsenkrebs. Dass dieses Champions-League-Duell eine höhere Bedeutung besitzt, ahnt Sammer: "Ich finde, das Spiel bietet auch eine Chance, zu Respekt zurückzukehren."

Pep verdient Respekt

Schluss also mit Spitzen gegen FCB-Trainer Jupp Heynckes, dem ja aus mancher Ecke unterstellt wurde, er würde sich beim früheren Barcelona-Trainer und dem eigenen Nachfolger Pep Guardiola Tipps einholen. "Jupp ist ein großer Trainer", sagt Sammer, der auch findet, dass "Pep Respekt gehört". Niemand braucht zu glauben, der wisse nicht, was sich gehört, hieß das, ergo: Pep wird nicht plaudern über seinen Klub, "den er im Herzen trägt" (Sammer). Und Bayern fragt nicht nach Tipps, auch, weil das "eine moralische Zwangslage" für Pep Guardiola wäre. "Und das wollen wir nicht."

Als Sammer abtritt, wird es turbulent, aber nicht wegen Javier Martínez, der gleich kommt. Die 20, 25 spanischen Reporter beklagen, dass es keine Einzelgespräche gebe, aber Bayerns Mediendirektor Markus Hörwick macht überzeugend deutlich, dass der FCB hier etwas anbiete, was Barça, was Real nicht anböten: die Chance, überhaupt mit Protagonisten zu reden vor diesen Halbfinals.

Die Lage beruhigt sich, doch turbulent bleibt es. Was an der Konstellation liegt, dass ein Dolmetscher alles Deutsche ins Spanische übersetzt und umgekehrt. Es geht hin und her, und später wird es noch verschachtelter, als nämlich Franck Ribéry als dritter Gast auftaucht, auf Französisch antwortet und der Dolmetscher das wiederum ins Deutsche und Spanische übersetzt.

Und als Jupp Heynckes schließlich ausgequetscht und gebeten wird, auch auf Spanisch zu antworten, tut er das, wobei er plötzlich den Dolmetscher bittet, seine spanischen Sätze ins Deutsche zu übersetzen. Diese informative Veranstaltung bot, obwohl noch längst nichts angepfiffen ist, vorzügliche Spannung wie Unterhaltung. Und ja, es menschelte sehr, bei den reichen Kickern, beim Trainer, bei den Reportern. Da sage noch einer, diese Champions League sei ausschließlich eine Kommerzmaschine.

Allein der Auftritt des Spaniers Martínez, der im Bayern-Mittelfeld den Sozialarbeiterpart auf beeindruckende Weise leistet, offenbart diesen erfrischenden Geist, mit dem die Münchner gerade selbst bei Anti-Bayern-Fans punkten (dies hat auch ein spanischer Journalist festgestellt). Wie ein Fan schwärmt der Athlet mit den Rehaugen von seinen Kollegen, Bastian Schweinsteiger sei "ein Stier, eine Naturgewalt", Philipp Lahm eine "starke Führungspersönlichkeit" und Heynckes jener, dem er Dank entgegenbringen muss für das Vertrauen, dass er spielen darf.

Und während Martínez munter weiterschwärmt, schreibt er einem Reporter ein Autogramm, den er offensichtlich noch aus spanischen Zeiten kennt, als er noch für Bilbao spielte. Richtig nett ist dieser Martínez, nichts wirkt aufgesetzt, er spricht freundlich, lauscht geduldig den nie enden wollenden Übersetzungen des Dolmetschers Stéphane Gödde (der sich eine Tapferkeitsmedaille verdiente in dem fremdsprachlichen Tohuwabohu), lobt Kollegen und Gegner.

Auch Heynckes macht mal wieder einen äußerst aufgeräumten Eindruck, als er das Schlussplädoyer hält, und wer dachte, mehr als Martínez Schweinsteiger ehrte ("Es ist ein Hochgenuss, an seiner Seite auflaufen zu dürfen"), gehe nicht - der hat noch nicht diesen Heynckes kennengelernt.

Jüngst hat der 67-Jährige für eine Zeitung eine Rangliste der besten Mittelfeldspieler aus 50 Jahren Bundesliga erstellt - "Bastian war meine Nummer eins", sagt er und strahlt regelrecht.

Die Botschaft, die auch in dieser kleinen Begebenheit mitschwingt, dürfte auch bis Barcelona dringen: Dieser Bayern-Jahrgang 2012/2013 ist euphorisiert, er weiß um seine Stärke. "Wir haben in der Champions League bewiesen, dass wir zu Hause eine Macht sind", sagt Heynckes noch. Als er aufsteht, lächelt er, wie es Sammer als Erster tat.

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