DFB-Ermittlungen:WM-Affäre: Der letzte Zeuge

Fußball-WM 2006 - Organisationskomitee

Es war einmal große Vorfreude auf die WM 2006: Die Chefs des DFB-Organisationskomitees, Horst R. Schmidt, Theo Zwanziger, Franz Beckenbauer und Wolfgang Niersbach (von links).

(Foto: Kunz/dpa)
  • In zwei Wochen muss die Anwaltskanzlei Freshfields ihren Abschlussbericht zur Affäre um die Weltmeisterschaft 2006 vorlegen.
  • Ein Zeuge könnte noch entscheidend zur Aufklärung der Umstände beitragen: der frühere Schatzmeister Horst R. Schmidt.
  • Er galt als "gute Seele" des DFB, jetzt wird er bedrängt, noch einmal auszusagen.

Von Hans Leyendecker, Georg Mascolo und Klaus Ott, Frankfurt

Nur noch zwei Wochen, dann muss Freshfields liefern. Am 4. März legt die Anwaltskanzlei, die im Auftrag des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) die Affäre um die Weltmeisterschaft 2006 aufklären soll, ihren Abschlussbericht vor. Möglicherweise, so will es der DFB, sogar mit Original-Dokumenten.

Die Materie, mit der sich die Anwälte seit Mitte Oktober beschäftigen, ist ein wüster Stoff. Ursprünglich sollte vor allem der Weg und Verbleib der 6,7 Millionen Euro nachvollzogen werden, die das von Franz Beckenbauer geleitete Organisationskomitee (OK) der WM 2006 verschoben hatte. War das Sommermärchen gekauft? Viele Fragen sind noch offen, auch weil neue, merkwürdige Vorgänge hinzu gekommen sind.

Wie war das zum Beispiel mit den dubiosen Millionen-Forderungen des Fußball-Weltverbands Fifa für irgendeine "Solidarität mit Afrika"? Und wie ist das mit den unheimlichen Helfern aus Katar wirklich?

Beim Endspurt spielt auch ein Vermerk eine Rolle, den der inzwischen gefeuerte Vize-Generalsekretär des DFB, Stefan Hans, im Oktober 2015 gefertigt hatte. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt, die ebenfalls in der WM-Affäre ermittelt, hat diesen Vermerk sichergestellt, Freshfields hat ihn auch (siehe Text rechts).

Die "treue Seele" wird bedrängt

Die Neuen in der DFB-Spitze mühen sich intensiv um Aufklärung. Der designierte Präsident Reinhard Grindel hat sogar wiederholt einen der Getreuesten der Getreuen, den früheren DFB-Generalsekretär und Schatzmeister Horst R. Schmidt, bedrängt, alles zu erzählen, was er weiß. Schmidt, der schon länger in Pension ist, galt im DFB immer als Verkörperung des Begriffs "treue Seele".

Er hat den Laden zusammengehalten, auch als Vizepräsident des WM-OK. Jetzt gilt Schmidt als letzter Zeuge, der noch entscheidend zur Aufklärung beitragen könnte. Grindel rief Schmidt mehrmals an. Schmidt, der im Oktober erstmals bei Freshfields ausgesagt hatte, solle noch mal Auskunft geben. Er habe ja noch einige Ehren-Ämter beim DFB inne, soll Grindel gesagt haben. Das konnte man auch als Mahnung verstehen. Schmidt mochte trotzdem nicht mehr und antwortete stattdessen auf einen ihm vorgelegten Fragenkatalog schriftlich. Jetzt aber will er sich nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR doch noch mal mit Freshfields treffen.

Das Protokoll eines Treffens mit der Fifa soll falsch datiert sein

Was die Kanzlei umtreibt, ist unter anderem die merkwürdige Sache mit Afrika. Drei Jahre vor der WM hatte die Fifa vom deutschen OK plötzlich 40 Millionen Euro gefordert. Als eine Art Ablöse. Es ging um Hotels und Tickets, um die Informations-Technologie für die WM und eine "Solidaritätsabgabe" für Afrika. Am Ende zahlten die Deutschen den Unterlagen zufolge, die Freshfields fand, 20 Millionen Euro.

Wofür eigentlich? Als Freshfields im November den DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach kurz vor dessen Rücktritt befragte, sagte der, die 20 Millionen könnten "von der Fifa nach Afrika geleitet worden sein". Das sei aber "pure Spekulation". Freshfields hatte Niersbach dazu das Protokoll eines Treffens der Fifa mit dem deutschen OK vorgelegt. Und jetzt stellt sich die heikle Frage: Warum wurde dieses Protokoll offenkundig falsch datiert? Schlamperei? Vorsatz?

Denn die Niederschrift datiert vom 24. Juni 2006. Nach Ansicht von Freshfields muss das Dokument aber aus den Jahren 2002 oder 2003 stammen. Das ergebe sich aus "unterschiedlichen Stellen im Text". Sehr merkwürdig. Freshfields hat schon viele Fragen zu diesem Vorgang gestellt. Zum Beispiel, ob der Vorgang in Zusammenhang mit der Wiederwahl von Sepp Blatter zum Fifa-Präsidenten im Jahr 2002 stehen könne. Blatter war damals sehr in Not. Er musste um sein Amt fürchten, wurde dann aber doch mit großer Mehrheit als Präsident bestätigt. War dabei Geld behilflich? Blatter weist solche Verdächtigungen vehement zurück.

Das Geld könnte für Blatters Wiederwahl bestimmt gewesen sein

Freshfields liegen jedoch Hinweise vor, die vom deutschen WM-OK über den früheren Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus verschobenen 6,7 Millionen Euro könnten dazu genutzt worden sein, Blatter zu unterstützen. Die Ermittler wollen nun von Zeugen wissen, ob "finanzielle Zuwendungen" des 2009 verstorbenen Dreyfus damals "für die Wiederwahl von Joseph Blatter verwendet wurden".

Weiter im Zentrum der Ermittlungen steht jener Vertrag mit Jack Warner aus der Karibik, der unmittelbar vor der WM-Vergabe 2000 geschlossen, aber nach Stand der Dinge nicht verwirklicht wurde. Warner war einer der Strippenzieher bei der Fifa. Der Vertrag lässt den bösen Verdacht zu, dass da jemand beeinflusst oder gekauft werden sollte. Die nette Erklärung lautet, dass ein Gegner der Deutschen neutralisiert werden sollte. Ob der Vertrag je Thema im DFB-Präsidium war, will Freshfields wissen. Und ob es weitere Korrespondenz mit Warner gebe.

Der Warner-Vertrag gilt immer noch als stärkstes Indiz dafür, dass möglicherweise die WM-Vergabe gekauft werden sollte. Freshfields geht aber auch intensiv der Spur Katar nach. Mit dem dortigen Fußballverband hatte der DFB in einem "Letter of Intent" eine Art Entwicklungshilfeabkommen geschlossen, das unter anderem eine Trainerausbildung beinhaltete. Umgekehrt unterstützte Katar die Deutschen bei deren Bewerbung für die WM 2006.

Wurden weitere Unterstützungsabkommen vereinbart?

Entwicklungshilfe gab und gibt es oft. Solche Bündnisse sind üblich bei einer WM-Bewerbung. Korruption ist das keine, solange kein Geld in die Taschen einzelner Funktionäre fließt. Freshfields will gleichwohl wissen, ob der DFB vor dem Zuschlag für die WM 2006 noch weitere Unterstützungsabkommen mit anderen Verbänden aus Asien vereinbart hat. Auf die vier asiatischen Vertreter unter den 24 Wahlmännern in der Fifa-Exekutive hatten der DFB und Beckenbauer von Anfang an gesetzt, ebenso auf die acht Europäer. Den Zuschlag erhielten die Deutschen bekanntlich nur mit 12:11-Stimmen, der Neuseeländer Charles Dempsey hatte vor dem letzten Wahlgang den Saal verlassen.

Freshfields nimmt nach diversen Zeugen-Vernehmungen und der Sichtung von Unterlagen offenbar an, dass der DFB drei Stimmen aus Asien sicher hatte, aber um die vierte Stimme von dort kämpfen musste. Das soll jene von Chung Mong-Joon aus Südkorea gewesen sein. Dieser ist wegen fragwürdiger Vorgänge im Zusammenhang mit der gescheiterten Bewerbung von Südkorea für die WM 2022 von der Fifa-Ethikkommission für sechs Jahre gesperrt worden.

Welche Vorsorge das Bewerberkomitee für den Fall getroffen hatte, dass der Südkoreaner möglicherweise nicht für Deutschland stimmen wolle, will Freshfields von Zeugen erfahren. Auch spielt bei alledem eine Rolle, ob ein einst einflussreicher Funktionär aus Asien beim Erwerb von TV-Rechten für die EM 2004 in Portugal von den Deutschen unterstützt worden sei. Mit solchen Rechten lässt sich gutes Geld verdienen.

Noch zwei Wochen also bis zum Versuch der Aufklärung. Die Handlung bleibt spannend und schmuddelig bis zum Ende.

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