Süddeutsche Zeitung

DFB-Elf:Schock beim Fußballschauen

Auch im deutschen Lager reagieren sie mit Bestürzung und Solidaritätsbekundungen auf den Fall Eriksen. Der Infobedarf der Spieler sei groß gewesen, berichtet Teamarzt Tim Meyer.

Von Christof Kneer

Solche Bilder hatten sie natürlich nicht gemeint. Wenn die DFB-Verantwortlichen ein Teamquartier auswählen, ist ihnen das immer sehr wichtig: dass sich alles auf ein Zentrum zuspitzt, dass man sich automatisch über den Weg läuft. Zentrale Begegnungsstätte ist meist ein Swimmingpool, in dessen Nähe mehrere Bildschirme hängen. Gemeinsames Fußballschauen gehört zu den bevorzugten Turnierbeschäftigungen der Spieler, und in den vorpandemischen Zeiten, als man die Spieler noch treffen konnte, haben sie manchmal vergnügt von ihren Debatten beim TV-Erlebnis berichtet; wer für wen war oder wer was getippt hat.

Am Sonntag saßen Lukas Klostermann und Antonio Rüdiger im DFB-Quartier in Herzogenaurach und berichteten von einem "Schock für uns alle" (Rüdiger) und von "Bildern, die man erst verarbeiten muss" (Klostermann). Bei Welt- und Europameisterschaften geht es für die Spieler immer auch darum, möglichst früh in einen sogenannten Tunnel hineinzufinden, in dem ausschließlich die Regeln und Gesetze des Turniers gelten, und den Tunnel möglichst spät wieder zu verlassen - im Idealfall nach dem Finale. Nun sind die deutschen Spieler schon vor ihrem ersten Gruppenspiel auf beängstigende Weise aus dem Tunnel vertrieben worden: Im Lounge-Bereich rund um den Pool verfolgten sie vor einem riesigen Bildschirm, wie Ärzte im 850 Kilometer entfernten Kopenhagen um das Leben des Dänen Christian Eriksen kämpften. Sie haben dann spontan ein Mannschaftsfoto mit Genesungswünschen veröffentlicht, es sei allen "ein Bedürfnis gewesen, positive Energie" nach Kopenhagen zu schicken, sagte Klostermann.

DFB-Teamarzt Meyer hält die Hilfskette in solchen Notfällen für "gut definiert"

Dieses Wochenende hat nebenbei auch einen Einblick in die Funktionsweise einer Sportlerseele gewährt. Auf den Schock folgten Solidaritätsbezeugungen in den sozialen Medien, und nach der Erleichterung folgte der Versuch, zurück in den Tunnel und in den ganz normalen Ausnahmezustand eines Turniers zu finden. Die guten Nachrichten aus Kopenhagen hätten es "ein bisschen einfacher gemacht, die Situation zu verarbeiten und den Trainingsbetrieb wiederaufzunehmen", meinte Klostermann, "und wenn man auf dem Fußballplatz steht, kann man vieles ausblenden". DFB-Arzt Tim Meyer berichtete dennoch von einem "hohen Infobedarf" der Spieler, es habe Gespräche mit ihm und auch dem Teampsychologen Hans-Dieter Hermann gegeben.

Womöglich sollte der Auftritt des Teamarztes auch dazu beitragen, die Turniertunnelruhe wiederzufinden, Meyer erklärte, die Branche sei für diese seltenen Notfälle gut aufgestellt. Das habe "vor Ort sehr gut funktioniert", sagte Meyer, der auch Vorsitzender der Uefa-Medizinkommission ist, "man hat das Leben durch schnelle und adäquate Reaktion retten können. Diese Kette scheint mir gut definiert." Ein Urteil über die Fortsetzung des Spiels haben sie sich im DFB-Camp nicht erlauben wollen, Verteidiger Antonio Rüdiger meinte allerdings: "Ob richtig oder falsch, weiß ich nicht, aber ich persönlich hätte nicht spielen können, glaube ich."

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SZ/sjo/schm
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