Eric Cantona und das Präsidentenamt:Mit Knalleffekt für Obdachlose

Vom Provokateur zu Monsieur le Président? Einen Tag lang ließ der frühere Fußballer Eric Cantona die Franzosen in dem Glauben, er kandidiere im kommenden Jahr für das Präsidentenamt. Der Coup war nur ein PR-Gag zugunsten einer Hilfsorganisation - doch der verfestigt die Legende des streitbaren Idealisten.

Thomas Hummel

Alex Ferguson sagte einmal über seinen Spieler Eric Cantona: "Wenn er meint, dass ihm auf dem Platz Unrecht geschieht, kann er für Sekunden jegliche Kontrolle verlieren. Dann nimmt er das Gesetz in die eigene Hand und wir sind machtlos." Ein anderes Mal erklärte der Trainer von Manchester United: "Er ist der beste Fußballspieler, mit dem ich jemals zusammengearbeitet habe."

Eric Cantona begins French presidency bid

Provokateur, Klassestürmer, Aktivist: Eric Daniel Pierre Cantona als französischer Präsident?

(Foto: dpa)

Zwischen diesen Extremen lebte der Fußballer Eric Cantona. Zwischen diesen Extremen lebt auch der Mensch Eric Cantona. Am Montag gab der 45-Jährige seine Kandidatur für das französische Präsidentenamt bekannt. Am Dienstag erfuhr die Öffentlichkeit, dass alles nur ein PR-Gag war.

Es ist einer dieser Knalleffekte, die den Mann aus Marseille begleiten wie einmal im Jahr die Silvester-Raketen die Menschheit. Cantona hat sich seit einiger Zeit der Sache der Obdachlosen im Land verschrieben, er unterstützt die Fondation Abbé-Pierre (FAP). Und wenn er etwas tut, dann kämpft er mit allen Mitteln und scheut nicht davor zurück, sich mit den Mächtigen, mit den seiner Ansicht nach Ungerechten anzulegen.

"Das Ganze war ein Trick, um große Außenwirkung zu erzielen", sagte Patrick Doutreligne, Direktor der FAP. Man habe einen "Extra-Kick" gebraucht mit dem Ziel, eine Petition durchzusetzen, mit der man Präsidentschaftskandidaten dazu drängen wolle, eine Wohnungskampagne zu starten. Deshalb, so erklärte Doutreligne weiter, habe man Cantona gefragt, ob er sich nicht als Kandidat ausgeben wolle. "Er wird aber kein Kandidat sein", stellte er schließlich klar.

Cantona hat zugunsten der Hilfsorganisation bereits ein Fußballturnier veranstaltet, er gab einen Bildband heraus und ließ die Einnahmen der FAP zukommen, auch einen Fernseh-Clip nahm er auf. Und nun diese Präsidentschaftskandidatur. Cantona hat französische Bürgermeister angeschrieben und darin um ihre Unterstützung seiner Kandidatur gebeten. In Frankreich benötigt man 500 Wahlpaten, um bei der Präsidentschaftswahl teilnehmen zu können.

In dem Brief beklagt er das Schicksal von "Millionen Familien, deren tägliches Leid vergessen wird und die aus dem öffentlichen Leben vertrieben worden sind". Der Zeitung Libération sagte er: "Man kann sich für viele Sachen engagieren." Er habe sich für die Wohnungsfrage entschieden, "denn sie erscheint mir grundlegend und betrifft zehn Millionen Menschen".

Ist Cantona von etwas überzeugt, lotet er die Grenzen aus, um an sein Recht zu kommen. Um mit Ferguson zu sprechen: Dann nimmt er das Gesetz in die eigene Hand und alle anderen müssen machtlos zusehen. Das war schon beim Fußballprofi Eric Cantona so.

Bis zu seinem 26. Lebensjahr hatte er bereits zehn Mal den Klub gewechselt, zumeist provoziert durch einen Eklat mit Trainern, Funktionären, Mitspielern, Gegnern, Zuschauern. Einmal boxte er seinen eigenen Torwart, einmal warf er demonstrativ sein Trikot vor die Trainerbank, weil er ausgewechselt wurde. Er kritisierte den Nationaltrainer Henri Michel mit den Worten: "Er ist der inkompetenteste Coach auf der ganzen Welt". Daraufhin erhielt er eine seiner vielen Sperren. Ein anderes Mal warf er einem Referee den Ball an den Kopf und beschimpfte dann die Sportrichter (auch hier folgte eine Sperre).

Kung-Fu-Tritt ins Abseits

Und der Höhepunkt: 1995 trottete Cantona nach einem Platzverweis wütend vom Spielfeld, als er von einem Zuschauer vermutlich mit rechtsradikalen, rassistischen Schimpfwörtern bedacht wurde. Der Zuschauer stand in der ersten Zuschauerreihe und Cantona setzte ihn mit einem Kung-Fu-Tritt außer Gefecht. Cantona wurde ein halbes Jahr gesperrt und musste 100 Stunden Sozialarbeit verrichten.

Auf der anderen Seite galt er stets als liebender Familienvater, als Anhänger von Kunst und Literatur, er malte abstrakte Bilder und schrieb Gedichte. Bei einer Pressekonferenz nach dem Kung-Fu-Tritt sagte er nur einen Satz: "Die Möwen folgen dem Boot, weil die glauben, dass die Sardinen wieder ins Wasser geworfen werden." Warum er diesen Satz sagte und was er damit sagen wollte, verriet Cantona nicht.

Mit seiner Art Fußball zu spielen begeisterte er vor allem in England die Massen. Seine extravagante Art, sein Selbstbewusstsein, seine Kreativität, sein Können machten ihn zu einem der erfolgreichsten und verehrtesten Spieler auf der Insel. Von Fans wurde er 2001 zum besten Spieler aller Zeiten bei Manchester United und 2005 zum besten Spieler aller Zeiten in der Premier League gewählt.

Sein Abschied aus dem Profi-Fußball mit 31 Jahren kam prompt, danach widmete er sich dem Beachsoccer, inzwischen ist er Sportdirektor bei New York Cosmos. Doch der Sport war ihm nie genug, immer öfter taucht Cantona auch in politischen Debatten auf. Ende 2010 rief er die Bürger auf, als Protest gegen die Macht der Finanzbranche zu den Banken zu gehen und ihr Geld abzuheben. Er stellte ein Video ins Internet und verwies darauf, dass Demonstrationen "Selbstbetrug" seien und nur konzertierte Aktionen die Banken dazu brächten, "uns zuzuhören". Der Appell zum "Bankrun" verhallte aber weitgehend ungehört.

In Frankreich gab es sicher nicht wenige, die diesem Eric Cantona eine ernsthafte Kandidatur zugetraut hätten, und für die Zukunft würden das die meisten vermutlich nicht ausschließen. Allein die Dreistigkeit, die Vorstellung davon für einen Tag ins Land zu tragen, wird die Legende des streitbaren Idealisten nur verfestigen.

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