Erfolglose Österreicher bei Ski-WM:Opfer der eigenen Gier

Hannes Reichelt beim Super-G in Schladming

Hannes Reichelt: Im Super-G war er mit einem vierten Platz der beste der enttäuschten Österreicher.

(Foto: dpa)

Zwei Rennen ohne Podestplatz haben die Gastgeber der alpinen Ski-WM in Schladming nervös gemacht. Die Schuldigen scheinen schon festzustehen. Viele Österreicher glauben, dass der einheimische Verband seinen Star Marcel Hirscher um eine Medaille gebracht hat - und damit das ganze Land.

Von Michael Neudecker, Schladming

Marcel Hirscher startet nicht bei der Super-Kombination, aha aha, er wolle sich auf den Riesenslalom und den Slalom konzentrieren, soso. Den österreichischen Zeitungen war das am Donnerstag ein paar Zeilen wert, mehr aber nicht; Österreich interessiert sich zwar immer sehr für Marcel Hirscher, besonders während der Ski-WM, aber die Super-Kombination, sagen sie hier, die interessiert nicht mal den ORF. Es hat also nichts mit der Super-Kombination zu tun, dass Marcel Hirscher jetzt trotzdem das Thema des Tages ist, sondern: mit Marcel Hirscher.

Er ist 23 Jahre alt, Menschen seines Alters nennt man gern "Generation Facebook", man darf davon ausgehen, dass Marcel Hirscher sich auskennt mit sozialen Medien. Er twittert regelmäßig, hat über 3000 Follower, er postet bei Facebook, auch während der WM, und das ist nun das Thema in Schladming: Hirschers Eintrag auf seiner Facebook-Seite von Mittwoch, 13:10 Uhr. "Gratuliere Ted!!! Diesen Lauf wäre ich auch gerne gefahren . . .", dazu ein Foto, aufgenommen nach dem Training auf der Reiteralm. Auf dem Foto hält Hirscher den linken Daumen hoch, und sein Blick: Ist er nicht ironisch? Enttäuscht? Gar: genervt?

Bis Donnerstagnachmittag hatte der Eintrag rund 14 000 "Gefällt-mir"-Klicks und knapp 300 Kommentare. Österreich diskutiert über Marcel Hirscher und den Skiverband, der Super-G am Mittwoch, auf den Hirscher sich bezog, hatte 37 Richtungsänderungen, er war ja mehr ein Riesenslalom als ein Speed-Rennen, wegen des Geländes auf der Planai war das zu erwarten. Der Riesenslalom-Spezialist Ted Ligety gewann Gold, der Riesenslalom-Spezialist Gauthier de Thessières gewann Silber, und jetzt fragt sich Österreich, wieso der Verband den Riesenslalom-Spezialisten Marcel Hirscher nicht starten ließ.

"Hier liegen unsere Medaillen" titelte die Krone, dazu ein sehr großes Foto des Super-G-Rennens; "Ligety nutzt Chance, die Hirscher nicht bekam", titelten die Salzburger Nachrichten; "ein Fehlstart mit Folgen", titelte der Kurier. Hannes Reichelt wurde ja nur Vierter, Matthias Mayer Fünfter, die WM ist vier Tage alt und Österreich noch immer ohne Gold, ohne Silber, ohne Bronze, stattdessen "Blech und Leder", schrieb die Kleine Zeitung. Nach zwei Rennen ohne Medaille, "so eine unbefriedigende WM-Startphase", befand der Kurier, habe es seit 17 Jahren nicht mehr gegeben.

"Ärgern bringt uns nichts", sagte Hirschers Trainer Mike Pircher, "ärgern muss sich der Verband."

Anspruchsvoll und kritisch

Wenn es um Skifahren geht, ist Österreich anspruchsvoll und kritisch, und deshalb ist Österreich nun sauer: Der ÖSV hat das Land und Hirscher um eine Medaille betrogen, so sieht Österreich das. Hirscher war 2012 beim Weltcupfinale in Schladming Dritter im Super-G, und hatte er nicht vor ein paar Tagen ein großartiges Super-G-Training in Innerkrems?

Mathias Berthold, der Cheftrainer der österreichischen Männer, muss sich beherrschen, als er auf all das angesprochen wird. Er sagt: Er finde es "unseriös, solche Sachen zu schreiben, wer fahren hätte müssen und wie dumm wir vom ÖSV sind", er könne das "nicht nachvollziehen". Hirscher, betont Berthold, habe kaum Super-G trainiert, außerdem verweist er auf die Nominierungskriterien für alle ÖSV-Athleten, die besagen: Nur wer die ganze Saison in der jeweiligen Disziplin fährt, kommt auch für die WM in Frage.

Marcel Hirscher ist Slalom- und Riesenslalomfahrer, er hat vergangene Saison und auch zu Beginn dieser Saison zwar sehr gelegentlich mal Super-G-Rennen bestritten, sich aber danach ausschließlich auf die technischen Wettbewerbe konzentriert.

Am Donnerstagmorgen meldete sich Marcel Hirscher dann selbst zu Wort. In einer sogenannten Presseaussendung ließ er verlauten: "Ich bin Racer und würde am liebsten jedes Rennen fahren, vor allem wenn der Kurs so anspruchsvoll ist wie dieser", und er habe "nicht damit gerechnet, dass in mein Posting so viel hinein interpretiert wird". Auf Anfrage sagt sein Pressesprecher, Hirscher sei falsch verstanden worden; dass er selbst hätte fahren sollen, das habe er "nie gesagt und nie gedacht". Er habe alle seine Teamkollegen angerufen und ihnen das erklärt, alles sei gut, "eitel Wonne", sagt der Pressesprecher.

Am Donnerstag trainierte Hirscher in Hinterreit, eineinhalb Stunden von Schladming entfernt, man solle bitte unbedingt davon absehen, ihn dort anzusprechen, Marcel Hirscher braucht Ruhe, er muss vorbereitet sein für das, was bald auf ihn zukommen könnte: Sollte Österreich nach dem Abfahrtswochenende immer noch ohne Medaille sein, würde der Druck der erbarmungslosen Medaillengier alleinig auf den zierlichen Schultern von Marcel Hirscher liegen, und die Gier ist groß. So groß, dass sie bisweilen ins Skurrile umschlägt.

In Schladming fanden am Donnerstag die Abfahrtstrainings statt, Frauen und Männer. Im ersten und in Wahrheit aussagelosen Abfahrtstraining der Frauen am Mittwoch fuhr die Österreicherin Regina Sterz die schnellste Zeit, am Donnerstag schrieb dann die Krone, die auflagenstärkste Zeitung des Landes: "Regina holt den ersten Sieg für Österreich!", in großen, fetten Buchstaben, auf zwei Seiten.

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