Süddeutsche Zeitung

Entwicklung von RasenBallsport Leipzig:Masterplan für den Weg in die Bundesliga

Sportdirektor Ralf Rangnick soll es richten: Fast vier Jahre nach der Gründung von RB Leipzig könnte der Getränkehersteller Red Bull mit dem Fußballklub endlich der Bundesliga näher kommen. Doch noch immer herrscht Skepsis gegenüber dem Viertliga-Verein, der als subventioniert und neureich gilt.

Von Saskia Aleythe, Leipzig

Es ist kalt an diesem Nachmittag im Februar in Leipzig. Saukalt. Wer sich nicht bewegt, dem kann es durchaus passieren, dass die Füße am Boden festfrieren. "Einfach wippen", empfiehlt David Grabow. Jetzt auch noch Hagel. Pünktlich zum Anpfiff der Partie zieht sich der Himmel noch weiter zu, es wird richtig düster. 90 Minuten Testspiel zwischen RB Leipzig und dem TSV Buchbach - zwei Regionalligisten bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, 500 Zuschauer sind gekommen.

Fanklub-Gründer Grabow und die anderen wollen sehen, wie sich ihre Mannschaft im letzten Test vor dem Rückrundenstart am Sonntag präsentiert. Was 2009 mit dem albernen Namen "RasenBallsport Leipzig" begann, verfolgt mit viel Skepsis in der Stadt und Spott in der Fußballszene, nimmt allmählich Form an. Vor fast vier Jahren hatte sich Red Bull auf die Fahnen geschrieben, den Leipzigern den Profifußball zurückzubringen. Nun spielt die Mannschaft in der vierten Liga. Regionalliga Nordost, das dritte Jahr in Folge.

Es ist eines von fünf Fußballprojekten des Getränkeherstellers - und man tritt Red Bull nicht zu nahe, wenn man behauptet, dass das Unternehmen bislang in anderen Sportarten erfolgreicher war. Die Mannschaften in Ghana und Brasilien spielen mit mäßigem Erfolg, die Salzburger feiern nur in Österreich Erfolge, das Team in New York konnte trotz Thierry Henry noch keine Meisterschaft gewinnen. Und Leipzig spielt in der Regionalliga.

"Für mich persönlich ist das ganz bitter", sagt Perry Bräutigam, "aber wenn wir aus dieser Liga erstmal draußen sind, kann es ganz schnell gehen." Bräutigam ist das, was sie hier Urgestein nennen. Urgestein mit nicht einmal vier Jahren Amtszeit. Er ist Torwarttrainer, lief früher für Hansa Rostock oder Carl Zeiss Jena auf, drei Mal auch für die Nationalmannschaft der DDR. Von den Verantwortlichen ist er am längsten im Verein. Von Anfang an Teil des Projekts, das er lieber gar nicht "das Projekt" nennen möchte.

Bräutigam sitzt in einer Umkleidekabine im Trainingszentrums. In der Ecke steht ein Tisch mit Red-Bull-Dosen drauf. Von außen ist der Containerbau wie einer der Regionalzüge gestaltet, die vom Hauptbahnhof stündlich nach Dresden fahren oder nach Halle oder Magdeburg. Mit bunten Graffitis drauf und jubelnden Fans. Jeder Wagen Erste Klasse.

Die vergangene Hinrunde spielte RB Leipzig so gut wie keine andere zuvor, in diesem Jahr könnte endlich der ersehnte Aufstieg klappen. RB Leipzig führt die Tabelle mit sechs Punkten Vorsprung bei einem Spiel weniger an. Eine Niederlage gab es in den 14 Partien noch nicht. "Es reicht aber nicht mehr, Meister zu werden, wir haben dann noch das Nadelöhr Relegation vor uns", sagt Sportdirektor Ralf Rangnick. Aus den fünf Regionalligen schaffen es drei Mannschaften nach oben.

Seit Juni 2012 ist Rangnick zuständig für die Salzburger Fußballer und die Entwicklung des Leipziger Vereins. Er kennt sich aus mit diesen Fußballprojekten, von 2006 bis 2011 war er verantwortlich für den Aufstieg der TSG Hoffenheim aus der Regionalliga in die Bundesliga. Dieser Aufbau wurde vom Unternehmer Dietmar Hopp finanziert, nun ist es Dietrich Mateschitz und seine Getränkebrause.

Die Leute erzählen sich, dass die Verpflichtung Rangnicks für einen zusätzlichen Schub gesorgt habe. Er holte Alexander Zorniger für Peter Pacult als neuen Trainer, Ex-Stabhochspringer Tim Lobinger als Athletiktrainer und letztens zwei Nachwuchsexperten aus Stuttgart, die einst Sami Khedira und Mario Gomez betreuten. Bräutigam war der einzige, der bleiben durfte.

"Fakt ist, dass ein richtig guter Teamspirit herrscht und die Handschrift des Trainers klar erkennbar ist", sagt Rangnick. Was das genau bedeutet? Gutes Umschaltspiel, Pressing und schnelles Spiel in die Spitze. Mit Trainer Zorniger ist das Spiel der Mannschaft strukturierter geworden, findet Fan Grabow, der auch mal unter der Woche bei den Trainingseinheiten vorbeischaut. "Der schreibt sich auch mal was auf und macht viel Videostudium", so der 28-Jährige, "das gab es bei Pacult gar nicht."

Gegen Buchbach, das Team aus der bayerischen Regionalliga. dominieren die Leipziger von der ersten Minute an. Kurz vor der Pause trifft Leipzigs Timo Röttger zum 2:0. "Timo ist jemand, der hier auch sehr beliebt ist", sagt Grabow bei dem Versuch, die Identifikationsfiguren der Mannschaft aufzuzählen, "gerade auch weil er von Dynamo Dresden gekommen ist und sich aktiv für Leipzig entschieden hat."

Etwa die Hälfte der Spieler hat einen Bezug zum Osten Deutschlands, was Rangnicks Credo entspricht, Leipzig zur Anlaufstelle für regionale Talente zu machen. "Wir haben uns im Nachwuchsbereich qualitativ hochwertig aufgestellt, um unsere Anziehungskraft zu stärken und langfristig Spieler zu entwickeln, die den Sprung in die erste Mannschaft schaffen", sagt Rangnick. Für das Ansehen des Vereins in der Region ist das gut. Meistens jedenfalls.

Natürlich gilt RB Leipzig immer noch als subventionierter und neureicher Klub. Im Kader sind viele Spieler, die bereits Bundes- oder Zweitligaerfahrung gesammelt haben. Der Marktwert der Mannschaft liegt bei über sechs Millionen Euro - selbst in der dritten Liga erreichen das nur fünf andere Teams. Wie viel Geld Red Bull jährlich in den Verein steckt, verrät das Unternehmen auch auf Nachfrage nicht.

Als sicher gilt: Allein die Umbaumaßnahmen am Cottaweg kosten den Getränkehersteller insgesamt 35 Millionen Euro - vier Fußballplätze sind schon gebaut, zwei weitere sollen folgen. Was bei dem Testspiel jetzt als gepflegter Rasen daherkommt, war vor zwei Jahren noch eine blanke, asphaltierte Fläche. Ab und an als Parkplatz genutzt oder für Märkte und Kleinmessen. Nun ist da saftiger Rasen. Dazu soll es bald ein Internat für den Nachwuchs geben. "Bessere Bedingungen findet man nur in der Bundesliga", meint Bräutigam, "bei Bayern München."

Die Professionalität imponiere den Leuten, sagt Fan Grabow. Sechs offizielle Fanclubs zählt der Verein mittlerweile, der größte hat fast 350 Mitglieder. Aus den durchschnittlich 2000 Zuschauern, die zur Vereinsgründung noch in den Nachbarort Markranstädt pilgerten, sind mittlerweile fast 8000 pro Spiel geworden. Beim Stadtderby gegen Lok Leipzig im September waren es fast 25.000.

"Die Leute hier lechzen nach höherklassigem Fußball", erzählt Bräutigam und erinnert sich an alte Zeiten. "Ich kenne Leipzig noch als Kind", sagt der Torwarttrainer, der im benachbarten Altenburg geboren wurde, "damals war das Zentralstadion mit 100.000 Zuschauern voll, wenn da Europapokalspiele oder Länderspiele gewesen sind." Das zeige das Potential der Stadt, und wenn es Leipzig erst mal in die Bundesliga schaffe, würde es schwer werden, überhaupt noch an Karten zu kommen.

Aus den Mündern der Leipziger Verantwortlichen hört sich das alles ganz prima an, doch selbst in Leipzig hat die Euphorie Grenzen - vor allem bei Anhängern vom FC Sachsen Leipzig oder dem Ligarivalen Lok Leipzig. Mit beiden spielte RB Leipzig anfangs noch in der fünften Liga, den FC Sachsen gibt es nach dem zweiten Insolvenzverfahren der Vereinsgeschichte mittlerweile nicht mehr. Dazu beigetragen hat auch ein Fanprotest der FC-Sachsen-Fans: Sie boykottierten eine beschlossene Nachwuchskooperation mit RB Leipzig und kamen nicht mehr zu den Spielen. "In dem Sog, in dem wir nach oben gehen, hätten diese Vereine auch nach oben gehen können", sagt Bräutigam, "nicht jeder Spieler aus der Nachwuchsakademie wird es in die erste Mannschaft schaffen. Sie werden dann aber immer noch gut ausgebildete Spieler sein, die den anderen Vereinen hätten helfen können."

Ein Mal schütteten Unbekannte Rasenvernichtungsmittel auf den Platz, auch der Mannschaftsbus wurde bei manchen Auswärtsspielen attackiert. Erst im Januar sagte 1860 München ein Testspiel ab, weil die Löwen-Fans gegen den Red-Bull-Klub protestierten. Im Sommer fielen schon Freundschaftsspiele gegen Aue, Ofenbach und Chemnitz nach Fan-Protesten aus. Jedes weitere Jahr Regionalliga sorgt für Spott bei all jenen, die nicht Fans des Vereins sind.

Ist nun dieser RB Leipzig ein Fußballverein, der eben von einem Unternehmen gesponsert wird - oder doch eher ein "Marketingklub", wie es der Wirtschaftswissenschaftler Tobias Kollmann formulierte? Das wird sich wohl erst zeigen, wenn der Klub tatsächlich in die zweite oder erste Liga aufsteigt - und wenn das Nachwuchskonzept wirklich umgesetzt wird.

An diesem Nachmittag jedenfalls führt Leipzig schon in der 64. Minute mit 7:0. In der 74. Minute schafft der TSV Buchbach das 1:7, was mit Ergebniskorrektur nicht wirklich etwas zu tun hat. Bereits vor dem Abpfiff verabschieden sich einige Zuschauer zur Würstchenbude oder zum Parkplatz. Vor dem Containerbau warten Kinder auf die Spieler, die sich mit Unterschriften auf Programmheften und Torwarthandschuhen nicht zieren. Zur Weihnachtsfeier des Fanclubs "Glücksbullen" schauten zwei RB-Spieler vorbei, die sich der Fanklub wünschen konnte, erzählt Grabow. Und Tim Lobinger kam als Überraschungsgast dazu.

Golden schimmert die Red-Bull-Arena, die einst Zentralstadion hieß, zwischen den kahlen Baumwipfeln hervor. Zwischen ihr und dem Trainingszentrum liegen 600 Meter und das Elsterbecken, zwischen RB Leipzig und der Bundesliga drei Aufstiege. Der Gedanke an das volle Stadion lässt Bräutigam nicht los, er guckt, als hätte er schon die Wand der "Roten Bullen" vor Augen. "Von Anfang an dabei gewesen und den Weg zu Ende gegangen zu sein", das sei seine persönliche Version.

Die auffällig vielen schwarzen Audis rollen vom Betreuerparkplatz und schießen den Schotter kreuz und quer in die Luft. Und dann beginnen die Füße zu tauen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1592716
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/jüsc
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.