Enttäuschter FC Bayern:"Dienstag, zwanzig Uhr fünfundvierzig"

Schon vor dem Anpfiff gegen den FSV Mainz 05 ahnten Zuschauer und Spieler des FC Bayern, dass sie einem bedeutungslosen Kick beiwohnen würden. Beim leblosen 0:0 erregen allein die Fanproteste in der Südkurve ein wenig Aufsehen. Nach dem wahrscheinlichen Verlust der Meisterschaft verdichtet sich die Saison der Münchner nun im Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid.

Thomas Hummel, Fröttmaning

Gegen 16.55 Uhr läutet in einer Münchner U-Bahn ein Handy, es hat einen dieser metallischen Klingeltöne. Eine junge Frau mit rot-weißen Schal um den Hals geht ran und statt "Hallo" sagt sie: "Schalke." Es werden kurz Späße gemacht, dann stellt sie die entscheidende Frage: "Hat jemand ein Tor geschossen? Ja? Dortmund führt? Scheiße!"

FC Bayern München - FSV Mainz 05 0:0

Warum bin ich hier? Bastian Schweinsteiger gelang gegen Mainz ebenso wenig wie seinen Mitspielern. 

(Foto: dpa)

Weil die junge Frau durchaus nicht leise spricht, verfolgt das gesamte Zugabteil das Gespräch, es fallen ein paar mehr Fäkalausdrücke rundherum. Die Anhänger des FC Bayern München erleben ihren finsteren Enttäuschungsmoment schon lange, bevor das Spiel ihrer Mannschaft überhaupt beginnen sollte. Borussia Dortmund führt beim FC Schalke 04 und wenn das bleibt, das war allen klar, dann ist die Meisterschaft endgültig verloren. Dann reduziert sich das eigene Spiel gegen den FSV Mainz 05 um 18.30 Uhr zur Trainingseinheit für das Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid am Dienstag.

Genau so kam es dann auch. Manch ein Besucher der Münchner Arena vernahm die Dortmunder Siegesmeldung mit grantigem Gesicht über Internetradio auf dem Weg zum Stadion. Und als die 69.000 Besucher erkannten, dass Franck Ribéry, Philipp Lahm, Mario Gomez, Toni Kroos und Luiz Gustavo auf der Bank saßen, ahnten sie, dass sie Geld für einen bedeutungslosen Kick ausgegeben hatten. Sie sollen recht behalten. Nach 92 bedeutungslosen Minuten stand es 0:0, der FSV Mainz feierte einen weiteren Punkt für das Ziel Klassenerhalt. Und der FC Bayern?

"Es war heute der Tag, an dem um 17.15 Uhr faktisch die Meisterschaft besiegelt war. Unabhängig von unserem Ergebnis", erklärte Sportdirektor Christian Nerlinger. "Dass dann ein wenig der Esprit gefehlt hat, ist nachzuvollziehen." Trainer Jupp Heynckes beteuerte, dass sich seine Aufstellung auch im Falle einer Dortmunder Niederlage nicht geändert hätte, er habe die Startelf bereits am Freitag der Mannschaft mitgeteilt. Was den Eindruck verstärkte, dass die Münchner bereits nach der Pleite in Dortmund das Thema Meisterschaft weitgehend abgehakt hatten. "Wir hatten ja am Mittwoch schon gesagt, dass es Dortmund nicht mehr aus der Hand gibt. Wir wollten noch alle Spiele gewinnen und schauen, was möglich ist, aber zu 100 Prozent dran geglaubt haben wir nicht mehr. Eigentlich haben wir schon vor ein paar Tagen abgeschlossen", berichtete Philipp Lahm.

Die Mannschaft bekam natürlich den Dortmunder Sieg in Schalke mit. Zuerst im Mannschaftsbus, dann die letzten Minuten in der Arena auf dem Bildschirm. Um die Partie gegen Mainz waberte deshalb eine seltsame Stimmung, als würden sich Spieler und Zuschauer fragen, ob sie hier nicht ihre Zeit verschwenden.

Real? "Eine Angriffsmaschine."

Auf dem Feld quälten sich die Profis des FC Bayern gegen die laufstarken Mainzer, auf den Rängen rangen sich die Besucher nur selten dazu durch, ihrer Anfeuerungspflicht nachzukommen. Noch nie fiel es so schwer, dem Gesang "Steht auf, wenn ihr Bayern seid" nachzukommen.

Allein die Südkurven-Fans nutzten die Stille, um ihre Anliegen unters Volk zu streuen. Zwölf Minuten schwiegen sie, um für "Respekt und Meinungsfreiheit" zu demonstrieren. Dabei geht es wohl um ein Verbot von Fan-Magazinen in der Arena, außerdem gestaltet sich die Beziehung zwischen den Ultras und dem Verein wegen der Verpflichtung von Manuel Neuer weiterhin schwierig. Von der 13. Spielminute an feuerten sich die Fans dann hauptsächlich selbst an und richteten Schmährufe an den Klub mit dem Höhepunkt: "Wir sind euch doch scheißegal, ihr Wichser!" Vielleicht auch deshalb wollte sich keiner der Klubbosse nach dem Spiel vor ein Mikrofon stellen.

Dieser Nachmittag hielt einfach nichts Erfreuliches bereit für den FC Bayern München. Außer vielleicht, dass sich drei Tage vor dem Heimspiel gegen Real Madrid niemand verletzte. Jupp Heynckes wollte am Ende noch den Sieg erzwingen, brachte Ribéry, Gomez und Kroos. Doch auch das half nichts mehr. Und so rätselten später einige, ob die Enttäuschung in Dortmund und der leblose Auftritt gegen Mainz nicht doch Spuren hinterlassen werden. "Man muss sagen, dass wir ein schlechtes Spiel gezeigt haben", sagte Toni Kroos, die Mannschaft habe sich Selbstvertrauen holen wollen für das Real-Spiel, "aber das ist uns nicht gelungen".

Andere wischten negative Gedanken beiseite. Besteht die Gefahr eines moralischen Knacks? "Nein. Wir sind Profis, am Dienstag werden wir mit Herz und Leidenschaft auftreten", prophezeite Arjen Robben. Wie schon vor dem Dortmund-Spiel vermieden die Münchner allerdings auffällig, eine Art Kampfansage zum Gegner zu senden. Alle Bayern verbanden das Versprechen, alles geben zu werden mit der Erklärung, vor einer schweren Aufgabe zu stehen. "Real hat eine exzellente Fußballmannschaft", bemerkte Trainer Heynckes, allein die 107 Saisontore in der Primera Division bewiesen, "was das für eine Angriffsmaschine ist".

Nach dem Verlust der Meisterschaft verdichtet sich für den FC Bayern die Saison im Champions-League-Halbfinale. Wer wie Sportdirektor Nerlinger drei Spieltage vor Schluss einen Glückwunsch-Gruß nach Dortmund senden muss ("Sie haben es sicherlich verdient, haben national gute und konstante Leistungen gebracht"), der spürt auch den Druck, dass diese Spielzeit bei einem Ausscheiden gegen Madrid eine verlorene sein könnte. Dagegen könnte eine Teilnahme am Finale im eigenen Stadion am 19. Mai alles retten. Das verdeutliche auch der Auftritt des Präsidenten. Uli Hoeneß kam beim Verlassen der Arena an den Kameras und Mikrofonen vorbei und rief dabei genau vier Wörter hinüber: "Dienstag, zwanzig Uhr fünfundvierzig."

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