Entscheidungen des IOC in Buenos Aires:Kalkül des Strippenziehers

Entscheidungen des IOC in Buenos Aires: Bietet den Beobachtern seltene Einblicke in die Entscheidungsprozesse des IOC: Scheich Ahmed Al-Sabah.

Bietet den Beobachtern seltene Einblicke in die Entscheidungsprozesse des IOC: Scheich Ahmed Al-Sabah.

(Foto: AFP)

In Buenos Aires fällt die Entscheidung über den Austragungsort für die Olympischen Spiele 2020. IOC-Mitglied Ahmed Al-Sabah bekundet offen seine Sympathie für Madrid und auch für Thomas Bach als neuen Präsidenten. Seine Ankündigungen eröffnen dem Publikum seltene Einblicke in die Demokratie des Weltsports.

Ein Kommentar von Thomas Kistner

Muss man Ahmed Al-Sabah dankbar sein? Nicht nur, weil der Mann alles tut, dass bald ein Deutscher den Weltsport regiert. Nein, der Scheich aus Kuwaits Königshaus ist ein auskunftsfreudiger Mensch, anders als die mausgraue Funktionärsschar um ihn herum, die er ungeniert auf ihr Stimmvieh-Dasein reduziert.

Weil Al-Sabah dabei nachweisen kann, dass er tatsächlich alle wichtigen sportpolitischen Entscheidungen in jüngerer Zeit zugunsten seiner Wunschkandidaten lenken konnte, seien es Personen oder Städte, ist für die IOC-Session ab Samstag in Buenos Aires eine Situation entstanden, die der Olymp bisher gar nicht kannte: Transparenz, sozusagen.

Dank der selbstwussten Ankündigungen des Scheichs kann das Publikum erstmals mitverfolgen, wie das abläuft mit der Demokratie im Weltsport. Al-Sabah hat hier ja, wie er selbst mitteilt, zwei Eisen im Feuer: Thomas Bach, den er am Dienstag zum IOC-Präsidenten gekürt sehen will, und vorher Madrid bei der Städtekür am Samstag. Beides ergibt Sinn.

Madrid war bis vor Kurzem abgeschlagener Außenseiter, jetzt ist Spaniens Kapitale voll im Rennen. Falls sie gewinnt, wäre das für den Strippenzieher Al-Sabah von hohem Nutzen. Denn gewiss hätte er in absehbarer Zeit gerne Sommerspiele am Golf. Dafür bräuchte es eine Art geosportpolitische Flurbereinigung - und die gibt es nur mit einem Sieg Madrids. Istanbul knüpft als europäisch-asiatische Brücke an die islamische Welt an, Tokio ist sogar der Inbegriff einer asiatischen Megalopolis.

Ein Overkill an asiatischen Großturnieren

Auch die Golf-Staaten gehören zu Asien (dessen nationalen Olympiakomitees Al-Sabah ebenso vorsteht wie dem Verband aller nationalen Komitees weltweit). Sollte nun Tokio die Spiele 2020 erhalten, kommt es zum Overkill an asiatischen Großturnieren: Winterspiele 2018 in Südkorea, Sommer 2020 in Japan, Fußball-WM 2022 in Katar - wie soll man da zeitnah ein weiteres Emirat als Veranstalter durchboxen? Vor 2032 wäre das kaum denkbar.

Denn Europa und Nordamerika sind ja auch noch da. Und die sollte das IOC schon aus Vermarktungsgründen nicht für Jahrzehnte von der Veranstalterkarte radieren - mögen die Anwärter aus den Rohstoff-Autokratien zwischen Golf und Ural noch so locken und drängen. Also: Madrid wäre idealer Wegbereiter für künftige Spiele am Golf, Europa wäre ja dann erst mal bedient.

So weist die Städtekür den Weg für das Folgende. Dass er bisher äußerst planvoll verfuhr, hat Al-Sabah ja schon jüngst gezeigt, als er Buenos Aires, Schauplatz dieser IOC-Session, die Jugendspiele 2018 prophezeite - und die Stadt prompt gewählt wurde. Al-Sabahs iberische Kampflinie steht, das Stimmpaket in Afrika ist, wie man hört, ebenso geschnürt.

Unterstützung hat dieser Scheich auch Thomas Bach für den Dienstag zugesichert. Er hat in jüngster Zeit seine Thronhilfe für den Deutschen wiederholt als ein von langer Hand vorbereitetes Szenario dargestellt, hat gar auf angebliche Bedingungen verwiesen. Diese selbstbewussten Auftritte brachten ihn in Fühlungnahme mit der Ethikkommission, was wiederum zu Flüsterdebatten in Buenos Aires führt. Wie belastbar der von Al-Sabah skizzierte Machtpakt ist, zeigt Bachs Reaktion: Er wisse gar nicht, was der Scheich meine. Man solle sich bitte an diesen wenden. Ist das ein klares Dementi in einem so sensiblen Wahlkampf-Finale?

Al-Sabah entstammt einem Kulturkreis, der noch Fuß fassen muss im bisher westlich geprägten und dominierten Olymp. Da birgt es große Risiken, wenn einer das Herz auf der Zunge trägt wie der stolze Scheich. Indem er offenbart, was er vorhat, bietet er dem Publikum die historische Möglichkeit, hinter die Kulissen einer Sportwelt zu blicken, in der Ranküne, Deals und Vetternwirtschaft alles sind. Geht alles auf, kann sich der staunende Beobachter die letzte aller Fragen - wie einer wie Al-Sabah so rätselhaft viele Gefälligkeiten der Kollegen auf sich zu lenken vermag - am Ende selbst erklären. So wie in einem packenden Hollywood-Streifen.

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