Entlassung von Luiz Felipe Scolari:Babykopfs Vermächtnis

Die Nachricht von der Entlassung Luiz Felipe Scolaris war nur noch ein formaler Akt. Bei der Heim-WM ist der Seleção und dem ganzen Land zu viel Leid widerfahren. Der Schuldige ist schnell gefunden: Es ist der Bauernsohn, der vor der WM noch der große Hoffnungsträger war.

Von Matthias Schmid

13 Zeilen. So viel war dem Brasilianischen Fußball-Verband CBF die Trennung ihres Nationaltrainers Luiz Felipe Scolari am Montagabend auf seiner Homepage wert. 13 Zeilen für einen Mann, der die Seleção vor zwölf Jahren zum fünften und bisher letzten Weltmeistertitel in Korea und Japan geführt hat. Hat der 65-jährige 13 dürre Zeilen verdient?

Im Moment überwiegen Frustration, Trauer und Wut, vergessen sind die vergangenen eineinhalb Jahre, in denen Felipão versuchte, den verunsicherten brasilianischen Kickern so etwas wie Halt und Disziplin zu vermitteln, um ihre technischen und taktischen Unzulänglichkeiten mit viel Herzblut und Leidenschaft zu kaschieren. Vielleicht wird es einige Wochen, ja vielleicht auch einige Monate dauern, bis die Menschen in Brasilien, in diesem mystisch so aufgeladenen Land, verstehen, was sie an Luiz Felipe Scolari hatten.

Es hat auch gute Tage gegeben. Man muss seine Karriere wohl einordnen in eine Zeit vor dem 8. Juli 2014 und danach. Dieser 8. Juli, diese verstörende 1:7-Niederlage gegen die deutsche Nationalmannschaft bei der Heim-WM war so etwas wie eine Zäsur, ein Bruch. Nicht nur in der Karriere von Luiz Felipe Scolari. Im gesamten brasilianischen Fußball. Er selbst hatte nie eine Niederlage vergleichbaren Ausmaßes erlebt. Auch nicht mit Portugal damals bei der EM 2004, als er Griechenland im Endspiel unterlag.

Nach dem Spiel gegen Deutschland war er der Sturkopf, der sich in ein Paralleluniversum geflüchtet hatte, nichts und niemand sollte sein Lebenswerk zerstören, das war die Botschaft. Dafür zog er nach dem Debakel gegen Deutschland sogar einen Statistikzettel hervor. Es war ein öffentlicher Hilfeschrei. In elf Spielen, gab er dann zu bedenken, habe es acht Siege und nur eine Niederlage gegeben. "Das zeigt, wie gut vorbereitet das Team war. Wir hatten ein Spielsystem - alles ist in Ordnung."

Ein motivierender Redner und Selbstdarsteller

Einen fabelhaften Gesamteindruck habe diese Mannschaft geboten, den nur diese "sechs Minuten" trübten, in denen sein Team eine "generelle Panne" erlitten habe. Aber da sei halt etwas über sie hereingebrochen, das nicht von dieser Fußballwelt ist: ein deutscher Tsunami. Ob er seine Ausflüchte selbst glaubte? Auch im Spiel um Platz drei war seine Mannschaft gegen die Niederlande chancenlos, das 0:3 war sogar noch geschmeichelt für Brasilien. Was ist also von Luiz Felipe Scolari geblieben? Was ist sein Vermächtnis?

Tatsächlich hat er mehr hinterlassen als den WM-Titel 2002. Er galt vor der WM im eigenen Land als die Idealbesetzung für den Job. Viele in Brasilien trauten nur ihm zu, dass er die nationale Schmach von 1950 mit der Finalniederlage gegen Uruguay in einen triumphalen Siegeszug verwandeln könnte. Er war nicht nur der Fußballlehrer der Nation, sondern auch der Hoffnungsträger, Prediger, dem seine Spieler - vor allem Neymar - blind folgten wie einem Sektenführer. Manchmal war er sogar ein Cabeca de Nene, ein Babykopf; sein Spitzname als Profi. Er schüttelte sein Haupt immer dann, wenn ihm im Spiel ein Fehler unterlaufen war. Noch heute ist es so.

Dieser Wesenszug, der mitunter sehr unbeholfen wirkt, ist nicht gespielt. Trotzdem täuscht der Eindruck von ihm in der Öffentlichkeit. Hinter den verschlossenen Türen ist Felipão ein motivierender Redner und großer Selbstdarsteller. Da ist nichts übrig vom Bauernsohn aus Rio Grande do Sul, dem tiefen Süden des Landes, wo die aus Norditalien eingewanderte Familie Scolari bis in die Fünfzigerjahre Felder bestellte und das Vieh zusammenhielt.

Er liebt es, vor wichtigen Spielen seinen Spielern kleine Zettelchen unter die Tür zu schieben, mit motivierenden Zeilen. Aphorismen von Micky Maus bis Martin Luther King, Botschaften, die ins Esoterische abdriften ("Das Lächeln der Sonne, mit ihren Strahlen der Hoffnung, sagt: Gehe hin und erfülle Deine Reise!").

Seine Reise im brasilianischen Fußball ist nun zu Ende. 13 Zeilen genügten für die Demission. Ach ja, schöne Worte gab es am Ende auch noch vom Verband. "Scolari und sein gesamtes Trainerteam verdienen unseren Respekt und unsere Dankbarkeit", heißt es in der Erklärung. "Er hat dem brasilianischen Volk die Liebe zur Seleção zurückgegeben. Auch wenn er das große Ziel nicht erreicht hat." Es klingt wie ein Nachruf. Doch Luiz Felipe Scolari, er lebt.

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