Enthüllungen um Mediziner Klümper:Der Fußball weiß, was Doping ist

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In seinem aufsehenerregenden Buch "Anpfiff" beschrieb der damalige Nationaltorwart Toni Schumacher 1987 unter anderem die Vorgänge beim DFB während der Weltmeisterschaft ein Jahr zuvor in Mexiko (im Bild die deutsche Nationalmannschaft im Halbfinale gegen Frankreich).

(Foto: imago/Laci Perenyi)
  • Seit Jahrzehnten wird bestritten, dass im Fußball Doping oder zumindest medizinische Leistungsförderung im Graubereich eine Rolle spielt.
  • Eine unabhängige Evaluierungskommission bestätigt nun, dass sich im deutschen Profifußball "Anabolikadoping in systematischer Weise" beweisen lässt.
  • Schon länger gibt es Indizien, dass in den siebziger und achtziger Jahren leistungsfördernde Substanzen genutzt wurden - etwa in dem 1987 erschienenen Buch "Anpfiff" des damaligen Nationaltorwarts Toni Schumacher.

Von Thomas Hummel

Doping im Fußball? Auf keinen Fall. Macht niemand, bringt ja auch nichts. Da wird doch bloß Stimmung gemacht! Beim Thema verbotene Leistungssteigerung im Fußball funktioniert das, was Soziologen weitläufig "Konstruktion von Wirklichkeit" nennen. Ganz nach Otto Rehhagel, der einmal sagte: "Wer mit links nicht schießen kann, trifft den Ball auch nicht, wenn er 100 Tabletten schluckt."

Oder Franz Beckenbauer, der den Verdacht bei der WM 1966 habe es in der deutschen Mannschaft Ephedrin-Doping gegeben, mit den Worten bestritt: "Man wusste gar nicht, was Doping überhaupt ist. Man kannte das Wort auch gar nicht." Dagmar Freitag, die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, berichtet: "Wir hatten schon Auftritte von Verbandspräsidenten vor dem Sportausschuss, die behauptet haben, Doping würde in ihren Mannschaftssportarten gar nichts nutzen."

Der Verdacht, auch im Millionenbetrieb Fußball könnten sich Spieler mit leistungssteigernden Mitteln behelfen, wird von der Branche in die Nähe von Verschwörungstheorien gestellt. Wäre auch wirklich zu geschäftsschädigend. Die paar dokumentierten Fälle? Nebensächlichkeiten. Nur wer dumm ist, wird erwischt.

Nationaltorwart Schumacher schrieb über Doping und wurde suspendiert

Dabei gibt es längst Anhaltspunkte, Kronzeugen und handfeste Indizien, die auf das Gegenteil hinweisen: Doping oder zumindest medizinische Leistungsförderung im Graubereich spielen im Fußball sehr wohl eine Rolle. Das ist nicht erst seit den Ergebnissen der Expertengruppe klar, die sich mit den Machenschaften an der Universität Freiburg rund um den Arzt Armin Klümper beschäftigt. Jeder, der es wissen wollte, konnte es auch sehen.

Gerade in dem betroffenen Zeitraum Ende der siebziger Jahre und in den achtziger Jahren gab es einige Hinweise. In seinem aufsehenerregenden Buch "Anpfiff" beschreibt der damalige Nationaltorwart Toni Schumacher 1987 zum Beispiel die Vorgänge beim DFB während der Weltmeisterschaft ein Jahr zuvor in Mexiko.

Schumacher berichtete von der "ärztlichen Überversorgung der Mannschaft" durch das Ärzteteam um Professor Heinz Liesen. Die Spieler hätten "haufenweise Tabletten" schlucken müssen, zudem "hagelte es Spritzen. Professor Liesen selbst hat davon 3000 gespritzt". Dabei soll es sich laut Schumacher um Vitamine, Elektrolyte, "Hormönchen für die Höhenanpassung", Kälberblutextrakt, Bienenhonigextrakt et cetera gehandelt haben. Dazu Schlaftabletten. Nach dem Turnier sei er in eine Phase depressiver Müdigkeit gefallen. "Man hat uns in Mexiko vollgepumpt und dann alleingelassen," hat er Liesen später vorgeworfen.

Auch auf handfestes Doping ging Schumacher ein. "In der Fußballwelt gibt es Doping - natürlich totgeschwiegen, klammheimlich, ein Tabu." Er beschrieb, dass unter den Kickern vor allem die Stimulanzien Captagon und Ephedrin beliebt waren. Andere bestätigten das. Schumacher berichtete, dass 1984 vor einem "Schicksalsspiel" des 1. FC Köln einige Mitspieler Hustensäfte mit höchsten Dosen an Ephedrin geschluckt hätten, die "saftgestärkten Kollegen flitzten wie die Teufel über den Rasen". Schon als junger Spieler habe er mit seinem Auto oft ein halbes Dutzend Kollegen zu einem Kölner Arzt gefahren. "Bei dem holten sie sich vor wichtigen Spielen ihre Pillen und Spritzen". Nach Erscheinen des Buchs flog Schumacher unter dem damaligen Teamchef Beckenbauer aus der Nationalmannschaft, auch der 1. FC Köln suspendierte ihn.

Wer sich äußert, der bestreitet die Vorwürfe

Der aktuell unter Beschuss geratene VfB Stuttgart stand Anfang der neunziger Jahre kurz im Zwielicht. Der damalige Trainer Christoph Daum berichtete 1992 frei und wohl unüberlegt, dass verletzten Spielern das Kälbermastmittel Clenbuterol verabreicht werde. Das Mittel werde aber rechtzeitig wieder abgesetzt. Vor einen Spiel hingen seine Spieler zudem 20 Minuten am Tropf, bekämen aber nur Mineralien und Elektrolyte. Der Klub ruderte tags darauf zurück, Daum dementierte seine Äußerungen.

Der damalige Klub-Präsident Gerhard Meyer-Vorfelder sprang den Ärzten bei. Viele Spieler ließen sich von Armin Klümper behandeln, Vereinsarzt Edgar Stumpf verteidigte damals das Vorgehen. Zu einem Skandal führte das alles nicht. Bald wurde nicht mehr darüber gesprochen, die Fußball-Wirklichkeit ließ wieder den Ball rollen.

Klümpers gutes Verhältnis zu den Spielern

Nun offenbart die Zusammenfassung von Kommissionsmitglied Andreas Singler, dass die Untersuchung rund um die Sportmedizin in der Uni Freiburg Folgendes ergibt: "Anabolikadoping in systematischer Weise lässt sich (...) erstmals auch für den Profifußball in Deutschland sicher beweisen." Nämlich für den Zeitraum Ende der siebziger Jahre und Anfang der achtziger Jahre "in größerem Umfang" beim VfB Stuttgart, sowie beim damaligen Zweitligaklub SC Freiburg, der eine Medikamentenlieferung von Klümper erhalten habe.

Klümper hatte ein überaus gutes Verhältnis zu vielen Spielern. Laut eines Berichts des Spiegels aus dem Jahr 1987 dankte ihm Paul Breitner mit einer Autogrammkarte für seine Behandlung, Profis aus München, Stuttgart und Köln seien seine Patienten. Als der Doktor mit dem Finanzamt Probleme gehabt habe, sollen auf eine Initiative von Reckweltmeister Eberhard Gienger unter anderem Breitner, Karl-Heinz Rummenigge, Dieter und Uli Hoeneß fünfstellige Beträge für Klümper gespendet haben.

Der VfB Stuttgart erlebte damals eine erfolgreiche Phase. Nach dem Wiederaufstieg in die Bundesliga unter dem Trainer Jürgen Sundermann (Beiname: "Wundermann") zwischen 1978 und 1983 wurde der VfB einmal Vierter, dreimal Dritter, einmal Zweiter, 1984 holte der Klub die Meisterschaft. Beteiligt waren bis heute bekannte Profis wie Ottmar Hitzfeld, Karlheinz Förster, Bernd Förster, Karl Allgöwer, Hansi Müller, Dieter Hoeneß und Bundestrainer Joachim Löw.

Wer sich äußert, bestreitet damals irgendetwas zum Thema Doping mitbekommen zu haben. Stellvertretend erklärte der damalige Trainer Sundermann: "Das ist absurd. Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen und halte das für völlig ausgeschlossen." Der VfB Stuttgart erklärte: Er sei "im Sinne eines sauberen Sports an der lückenlosen Aufklärung des Sachverhaltes interessiert."

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