Süddeutsche Zeitung

Englische Teams in der Champions League:Fluch der Millionen

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Das sportliche Niveau der englischen Klubs ist gesunken. Die großen Vereine haben sich gegenseitig kannibalisiert. Die Inflation der Gehälter hat Durchschnitt sündhaft teuer und Extraklasse unerschwinglich gemacht. Nun droht in der Champions League erstmals seit 1996 ein Viertelfinale ohne Klub von der Insel. Der Blick geht voller Neid in die Bundesliga.

Von Raphael Honigstein, Manchester

29,6 Millionen Euro Verlust waren am Montag für eine Schlagzeile zu wenig: Die miserablen Geschäftszahlen von West Ham United taugten nur für eine Randnotiz in der Daily Mail. Etwas mehr Aufmerksamkeit erhielt der FC Liverpool, der am selben Tag für die Spielzeit 2011/12 ein Minus von 46,4 Millionen Euro auswies. Als schockierend werden solche tiefrote Zahlen in der Premier League jedoch schon lange nicht mehr empfunden, in den zwei speziellen Fällen kamen sie nicht einmal überraschend.

Die 2011 abgestiegenen Hammers gaben das viele Geld aus, um den Sprung zurück in die Eliteliga zu schaffen. In Liverpool versuchten die neuen Eigentümer aus Amerika, mit Neueinkäufen die Qualifikation für die Champions League zu stemmen; vergeblich.

Die miesen Bilanzen sind die unerwünschte Konsequenz des Booms. Mitten in der britischen Wirtschaftskrise hat die "Prem" ihre TV-Einnahmen nahezu verdoppelt. Ab der kommenden Spielzeit werden die 20 Elite-Vereine jährlich 1,9 Milliarden Euro einnehmen, allein auf den Meister entfallen dann rund 120 Millionen Euro. Die Geldschwemme könnte eine neue Dominanz in Europa möglich machen - doch das sportliche Niveau der englischen Klubs ist gesunken.

Die großen, zum Teil von Oligarchen geführten Vereine haben sich gegenseitig kannibalisiert. Die Inflation der Gehälter hat Durchschnitt sündhaft teuer und Extraklasse unerschwinglich gemacht. Ein Mangel an qualifizierten einheimischen Kräften - und an englischen Trainern, die diese fördern würden - verstärkt den Trend zur Geldverbrennung: Selbst Abstiegskandidaten konkurrieren auf dem internationalen Markt und ruinieren für die gesamte Liga die Preise.

In der Champions League, die trotz der Unwägbarkeiten stets ein verlässliches Barometer für die relative Spielstärke ist, droht nun ein Viertelfinale ohne englische Beteiligung. Das hat es zuletzt 1995/96 gegeben, als die Liga eine ähnliche Umsatzexplosion verzeichnete, aber das Knowhow fehlte, sinnvoll zu investieren. Da man davon ausgehen muss, dass dem FC Arsenal im Rückspiel in München nach dem 1:3 im Hinspiel eher keine Sensation gelingen wird, kommt dem Match von Manchester United gegen Real Madrid am Dienstag (Hinspiel 1:1) besondere Bedeutung zu.

Es ist nicht nur das Duell "zweier fantastischer Teams", wie United-Trainer Alex Ferguson ohne falsche Bescheidenheit sagte - auf dem Spiel steht auch der globale Glanz des englischen Vereinsfußballs. Auf Dauer ist es produktschädlich, wenn Entertainment-Faktor und sportliche Qualität zu deutlich auseinander klaffen.

Die gute Nachricht ist, dass im Old Trafford eine Ausnahme-Mannschaft die Fahne Ihrer Majestät hoch halten wird. Das sagt zumindest die Tabelle: Uniteds Abstand auf die Konkurrenz - 15 Punkte vor der Partie des Tabellenzweiten Manchester City bei Aston Villa am Montagabend - hat schon bayerische Dimensionen erreicht. Am Samstag wurde Aufsteiger Norwich City ohne einen Anflug von Mühe mit 4:0 abgefertigt. Ferguson hatte sein System auf ein 4-3-3 umgestellt; der Ex-Dortmunder Shinji Kagawa, der wegen einer Knieverletzung und unbeständigen Leistungen bisher nur Ergänzungsspieler war, erzielte einen Hattrick.

Die Personalie passt ins Bild. Welche Teile der Rotations-Großmeister Ferguson Woche für Woche ein- oder ausbaut, scheint unerheblich zu sein: Seine rote Maschine spuckt regelmäßig drei Punkte aus. Ehemalige Spieler, die im Vereinssender MUTV die Aufstellungen erraten sollen, tappen im Dunkeln. Allein die Teilnahme von Ryan Giggs ist am Dienstag garantiert. Der 39-jährige Waliser feiert sein 1000. Profispiel. "Diese Ehre können wir dem Jungen nicht verwehren", sagte Sir Alex.

Trotz der Siegesserie wirkte die Mannschaft im Vergleich mit den großen United-Teams der Vergangenheit bis vor einigen Wochen etwas unbalanciert, anfällig in der Defensive und ohne Präsenz in der Zentrale. Im Dezember grantelte Ferguson, das Abwehrverhalten sei ein Fall für die Kindersendung "Cartoon Calvacade" (Zeichentrick-Parade). Doch seit dem Jahreswechsel hat sich zur Brillanz der Offensive um den Niederländer Robin van Persie bemerkenswerte Stabilität hinzu gesellt. Beleg: nur acht Gegentore in den vergangenen 14 Spielen. "Unser defensives Bewusstsein ist jetzt geschärft", sagt Ferguson. Sein Mantra lautet, dass die Saison sowieso erst so richtig im Frühjahr anfängt.

Spielt United auch gegen die Königlichen und Rückkehrer Cristiano Ronaldo zu null, winkt dem 71-jährigen Ferguson ein würdiger Abschied auf einen Vorstandsposten. Der Premier League wäre einstweilen schon sehr geholfen, wenn "Man Utd", ihre Kernmarke, es in die nächste Runde schaffte, gerade auf Kosten eines spanischen Teams: Die Primera Divisón verströmte nach Geschmack der Engländer zuletzt etwas zu viel Glamour. Und nicht zuletzt muss man sich ja der Attacke aus Deutschland erwehren. Die für ihre traditionellen Werte, ihre Profitabilität und den stark verbesserten Fußball viel gepriesene Bundesliga macht zur Zeit schmerzhaft deutlich, was trotz - oder gerade wegen - der unzähligen Millionen auf der Insel alles besser laufen könnte.

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Quelle:
SZ vom 05.03.2013
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