Vergangene Woche, nach dem garstigen 0:0 der Nationalmannschaft in der Ukraine, wurde wieder beherzt über die Gründe der Malaise gestritten: falsche Taktik? falsche Spieler? falscher Trainer? Die Suche nach Lösungen mündete in der nicht neuen, dafür umso deprimierenden Einsicht, dass der globale Erfolg der Premier League den "Three Lions" zum Nachteil gereicht. Ausländische Eigentümer, Trainer und Profis nehmen den Einheimischen die Stammplätze weg.
Die Fans der Spitzenklubs wollen es nicht anders. Und der "goldene Kreislauf" (Ligaboss Richard Scudamore) von Stars und Millionen hat sich sowieso von allen Krisen abgekoppelt. Auch Pleiten wie in der vorigen Saison, in der es kein englisches Team ins Viertelfinale der Champions League schaffte, können dem Geschäftsmodell nichts anhaben.
Offizieller Nudel-Partner von Manchester United
Seit dem Sommer spült der neue Fernsehvertrag aus In- und Ausland nun 2,19 Milliarden Euro pro Saison in die Liga; Sponsoren aus allen Ecken der Erde kämpfen darum, sich mit den Federn der Premier-League-Klubs zu schmücken. Branchenkrösus Manchester United, der unter anderem offizielle Nudel-, Wein- und Chips-Partner unterhält, schaffte es im April sogar, die Namensrechte am Trainingsgelände und die Werbefläche auf den Trainingshemden zu verkaufen.
Da sich mit Geld im Fußball die meisten Probleme lösen lassen, fürchtet man auf der Insel nicht um die grundsätzliche Konkurrenzfähigkeit der Klubs in Europa. Bis England die Champions League wieder so dominiert wie vor fünf, sechs Jahren könnte es allerdings noch ein wenig dauern.
Diesen Sommer gelang den Topklubs trotz beachtlicher Investitionen eher ein Hupfer als ein Sprung nach vorne. Schuld ist nicht zuletzt der interne Konkurrenzdruck. Vor lauter Hauen und Stechen vor der eigenen Haustür fehlen für Eroberungszüge auf dem Kontinent die Kräfte. Vom Gewinn des Europapokals redet derzeit niemand, nicht einmal José Mourinho, der aus Madrid zurück zum FC Chelsea kam.
Leverkusens Stürmer Stefan Kießling:Vorsingen im Old Trafford
Leverkusens Angreifer Stefan Kießling agiert in der Form seines Lebens, zum Auftakt der Champions League wartet nun die schwere Auswärtsaufgabe bei Manchester United. Doch der Zeitpunkt, sich dem englischen Meister entgegenzustellen, war noch nie so günstig.
David Moyes, der neue Coach von Meister United, steht exemplarisch für diese Zurückhaltung. "Real Madrid, Barcelona und Bayern München haben großartige Kader", sagte der Schotte, "aber Manchester United hätte gegen alle gute Chancen. Ich hoffe, dass wir die Gelegenheit bekommen, zu zeigen, dass wir gut genug sind, sie zu schlagen." Dafür müsste United aber erst einmal die Gruppenphase überstehen (zum Beispiel an diesem Dienstagabend gegen Bayer Leverkusen).
Moyes erzählte, dass sein Vorgänger Alex Ferguson ihn telefonisch vor dem "härtesten Los" seit langem gewarnt habe. Das klang in doppeltem Sinn verdächtig. Zum einen wirkte der 50-Jährige, der bis auf eine erfolglose Playoff-Runde mit dem FC Everton über keinerlei Erfahrung auf diesem Level verfügt, arg bemüht, die Erwartungen kleinzureden. Darüber hinaus offenbarte der Verweis auf die Bedenken von Sir Alex auch Schwäche: seine eigene Einschätzung der Ausgangslage erschien Moyes für das Gespräch mit den Reporten offenbar nicht überzeugend genug zu sein.
Die Red Devils haben eine Mannschaft, die funktioniert, weil sie mental gefestigt ist und im Sturm der Niederländer Robin van Persie und Wayne Rooney das kreative Defizit auf den Flügeln und in der Zentrale ausgleichen. Das gewisse Etwas aber geht dem Team ab, aus den enormen finanziellen Möglichkeiten wurde diesen Sommer zu wenig gemacht.
United scheiterte beim Versuch, Gareth Bale, Cristiano Ronaldo oder Cesc Fàbregas ins Old-Trafford-Stadion zu locken. Am Ende wurde der belgische Kraftprotz Marouane Fellaini für 32 Millionen Euro aus Everton geholt. Der 25-Jährige steht für Präsenz und Torgefahr, aber United hätte noch ein bisschen mehr gebraucht.
Die Lokalrivalen von Manchester City gaben 110 Millionen Euro für neue Spieler aus, kein englisches Team verfügt über mehr Offensivqualität. Und als Trainer führt ein ruhiger, seriöser Chilene die Geschäfte, der sich in Europa auskennt: Manuel Pellegrini, der zuvor beim FC Malaga wirkte. In der Abwehr drückt zwar eine Verletzungsmisere auf die Stimmung, aber der Scheich-Klub sollte anders als in den beiden Jahren zuvor die Gruppenphase überstehen.
Misere in der Mitte
Nicht zu unterschätzen ist der FC Chelsea. Coach José Mourinho ist bekanntlich ein Spezialist für Champions-League-Fußball; die Konterwucht der Blues wird den Favoriten aus Spanien und Bayern zusetzen. Ob Veteran Samuel Eto'o die Misere in der Sturmmitte beheben kann, ist allerdings fraglich, und die 0:1-Niederlage in der Liga gegen Everton am Samstag ließ erste Zweifel aufkommen, ob die mit vielen Technikern besetzte Mannschaft und der ultrapragmatische Trainer zusammenpassen.
Eigentümer Roman Abramowitsch hatte für seinen Wunschtrainer Pep Guardiola, den er nicht bekam, in West-London ein hübsch verziertes, elegantes Häuschen gebaut - eingezogen aber ist die alte Flamme Mourinho, der lieber in Trutzburgen aus Beton residiert. "Dieses Team hat einen anderen Charakter als das von früher", sagt der Portugiese etwas traurig.
Größer ist der Optimismus beim FC Arsenal. Arsène Wenger erinnert heute noch stolz an den 2:0-Sieg vom März in München gegen die späteren Champions-League-Sieger; 50-Millionen-Euro-Mann Mesut Özil beflügelt zudem seit seinem Wechsel von Real Madrid die Mitspieler und die Phantasie der Fans. "Er gibt allen mehr Zeit am Ball", lobte Wenger den Zugang nach dessen 3:1-Debüt beim FC Sunderland. Özil ist der perfekte Arsenal-Spieler, was aber gleichzeitig heißt, dass er das Grundproblem von Wengers Elf nicht lösen kann: das Spiel ohne Ball.
Ein Sieger aus England lässt sich angesichts dieser Lage kaum vorstellen, aber als echtes Problem gilt das nicht. Trost spendet eine These, die nicht nur bequem ist, sondern wohl auch wahr: Die Qualität an der Tabellenspitze und der Kampf um die Champions-League-Qualifikation sind in der Premier League schlicht zu groß, um es in Europa mit Teams aufzunehmen, die ihre Ligen nach Belieben beherrschen.