Fußball-WM:Kennen Sie schon den mit dem Suppenhuhn?

Englands Stürmer Harry Kane beim Training während der WM in Russland

Harry Kane amüsiert das Spiel mit dem Hahn ganz offensichtlich.

(Foto: Adrian Dennis/AFP)

Früher tingelte England als Weltmeister der Selbstironie von Turnier zu Turnier. Nun lacht das Team selbst - vor dem WM-Halbfinale gegen Kroatien fliegt sogar ein Gummispielzeug über den Trainingsplatz.

Von Barbara Klimke

Was auf der Insel bleiben wird von dieser Weltmeisterschaft, ist auch die Erinnerung ans blaue Suppenhuhn. Denn nichts spiegelt die Mischung aus Erstaunen und Entzücken der Engländer über ihr Nationalteam besser wider als die Schlagzeilen, mit denen die Zeitungen pünktlich zum Halbfinale ihre Leserschaft begrüßen: Auf das wichtigste Fußballspiel seit 28 Jahren, so heißt es, bereiteten sich Harry Kane und seine Kollegen mit Gummispielzeug vor. Daneben sieht man Bilder gestandener Nationalspieler, die sich beim Aufwärmen statt Bällen Quietsche-Hennen zuwerfen und sich vor Lachen biegen; Trainer Gareth Southgate grinst dazu. Was Humor ist, so die Botschaft, bestimmt diese englische Mannschaft jetzt endlich wieder selbst.

Früher ist das Team selbst oft genug die Pointe gewesen. Vor vier Jahren in Brasilien scheiterte England als Gruppenletzter bereits in der Vorrunde, und der bissigste WM-Witz ging damals so: Die englischen Nationalspieler besuchen in Rio de Janeiro ein Waisenhaus, freudig begrüßt vom Betreuer des Heims mit den Worten: "Es ist schön, wenn man bei Menschen ohne Hoffnung, die ständig glauben, dass sie zum Scheitern verurteilt sind, ein Lächeln aufs Gesicht zaubern kann."

Weltmeister der Selbstironie

Und wie, so fragten sich die Briten beim Quiz im Pub gegenseitig, wird noch einmal ein Engländer genannt, der es schafft, die Vorrunde einer WM zu überstehen? Richtig: Schiedsrichter!

Oder der: Was ist der Unterschied zwischen einem englischen Nationalspieler und einer Flugzeugturbine? Nun, die Turbine hört irgendwann mal mit dem Heulen auf.

Mangels Erfolg auf dem Rasen hatten sich die Engländer, die die Urheberschaft auf das Fußballspiel beanspruchen, seit 1966 nur noch in ihrer Selbstironie weltmeisterlich präsentiert. In dieser Disziplin waren sie bis zu diesem Sommer allerdings eine Klasse für sich: Niemand sonst verstand es, so humorvoll zu leiden. Niemand konnte slapstickartig immer und immer wieder im Elfmeterschießen scheitern. Und keine andere Nation gaukelte der Welt vor, dass sie nur aus purem Sportsgeist - auch dies eine britische Erfindung - anderen großzügig das Gewinnen überließ.

Eine Übung, die auf mannschaftlicher Geschlossenheit basiert

Damit ist nun Schluss. Seit Gareth Southgate das Team übernahm, hat er England daran erinnert, dass Fußball nicht der Versuch ist, elf Egoisten für eine Spielidee zu interessieren, sondern eine Übung, die auf mannschaftlicher Geschlossenheit basiert. Auch das gehört zu den Gründungsmythen des Rasenspiels, das England weit über das 19. Jahrhundert hinaus sportlich, aber auch gesellschaftlich prägte. Dies hat am Sonntag, aus gegebenem Anlass, die Parlamentarierin Justine Greening angemahnt, die von der britischen Regierung eine Rückbesinnung auf die Tugenden der Grasnarbe verlangte: England, sagte die Politikerin, hätte das WM-Viertelfinale gegen Schweden niemals 2:0 gewonnen, wenn die Spieler so gekeift und gezetert hätten wie die über den Brexit zerstrittenen Mitglieder im Kabinett.

Die Warnung kam zu spät. Tags drauf brach nach dem doppelten Ministerrücktritt das Regierungsteam der Premierministerin auseinander.

Es ist mehr als eine Legende, dass Konzepte, über die sich die englische Gesellschaft definiert, beim Sport entwickelt wurden, auf den Spielfeldern fortschrittlicher Schulen: Teamgeist etwa, aber auch Fairplay und Disziplin. Das letzte Mal verloren Englands Fußballer übrigens dramatisch, als das Land so zerstritten war wie seit Generationen nicht - vier Tage nach dem Brexit-Referendum ging 2016 in Frankreich das Achtelfinale der Europameisterschaft gegen Island verloren. Vielleicht sollte sich die Regierungsmannschaft diesmal, pünktlich zum Halbfinale der WM 2018 gegen Kroatien, kurz am Riemen reißen. Zum Wohle der Nation. Es hat schließlich zwei Jahre gedauert, bis die Kicker ihren Humor wiederfanden. Es lebe das Suppenhuhn.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: