England vor dem Schweden-Spiel:Wenn nur alle ihr Bestes geben

England hat es sich bei der EM in der "Dabei sein ist sehr schön"-Ecke gemütlich gemacht. Die älteren Spieler lassen sich durch den Enthusiasmus des jungen Kaders anstecken. Die Unbekümmertheit der Debütanten bringt Perspektive: Es muss nicht nur die zwei traditionellen Möglichkeiten des glorreichen Triumphs und des grenzenlosen Versagens geben.

Raphael Honigstein

Von den guten alten Wembley- und München-Postern, die der englische Fußballverband bei diesen Gelegenheiten gerne aufhängte, fehlt im Andel's Hotel in Krakau jede Spur. Die Apfelsaftgläser, die winzigen Lachs-Häppchen, die handlichen, fast verschwindenden Kuchenstückchen: Alles ist eine Spur kleiner geraten als sonst, inklusive der beiden Namen auf dem Podest.

Fußball, England training

Wayne Rooney im Kreis seiner Kollegen: Aus Hero wird Hairo

(Foto: dpa)

Jordan Henderson (FC Liverpool) und Danny Welbeck (Manchester United) sitzen da, zwei 21-jährige Jungprofis, die selbst auf der Insel nur den echten Fußballfans ein Begriff sind, aber die englischen Reporter wollten es ja nicht anders. Der Verband hatte ihnen ursprünglich den dauerlaufenden, verbal aber arg statischen Mittelfeldspieler James Milner sowie Joleon Lescott (beide Manchester City) vorsetzen wollen, letzterer war nach seinem Kopfballtor zum Auftakt gegen die Franzosen aber schon erschöpfend befragt worden.

"Wir haben denen unsere Stollen gezeigt, das war richtig", sagt einer der einflussreichsten Schreiber, als nach dem stillen Protest der Journalisten die beiden Nachwuchstalente zur Vernehmung erscheinen.

Zum Spiel gegen die Schweden an diesem Freitag in Kiew erfährt man dann aber nichts Substanzielles von dem Duo, die Fragen kreisen um neue Haarschnitte ("bei Ashley Young im Zimmer hat der Friseur sein Quartier aufgeschlagen", erzählt Welbeck), um den angesetzten freien Tag mit der Familie ("ich habe noch keine Pläne", sagt Henderson) und natürlich auch um den weiter tapfer auf der Strafbank schmorenden Stürmer Wayne Rooney.

"Es juckt ihn in den Füßen", sagt Welbeck über seinen Vereinskollegen aus Manchester, der wegen seiner Rot-Sperre aus der EM-Qualifikation erst im letzten Gruppenspiel gegen die Ukraine wieder mitwirken darf. Der 26-jährige Rooney, der sich unlängst per Haartransplantation etwas Fülle auf den Kopf zaubern ließ, war augenscheinlich bei Young im Zimmer, wie beim Training zu beobachten war. Die Boulevardzeitung Sun taufte ihn darauf am Donnerstag gleich vom Hero zum "Hairo" um.

Es wird viel gelacht. Sogar der sich normalerweise heftig an seine eigene Ernsthaftigkeit klammernde englische Verbandsprecher hat ein Grinsen auf den Lippen, und während die zusammen auf zehn Länderspiele kommenden Youngster mit glänzenden Augen von "Aufregung", "Ehre", "Privileg" und "massiver Herausforderung" reden, merkt man es: Roy Hodgsons England hat es sich in dieser "Dabei sein ist sehr schön"-Ecke wirklich gemütlich gemacht.

Neuer Zusammenhalt im Team

Welbeck erzählt, die älteren Spieler ließen sich durch den Enthusiasmus des nach Deutschland und Polen drittjüngsten Kaders bei diesem Turnier anstecken. Falls das stimmt, hätte Hodgson schon einiges erreicht. Die Unbekümmertheit der Debütanten bringt Perspektive: Es muss nicht nur die zwei traditionellen Möglichkeiten des glorreichen Triumphs und des grenzenlosen Versagens geben.

Ein bewusst nicht näher definierter Ausgang irgendwo zwischen diesen Extremen wäre auch in Ordnung, wenn nur alle ihr Bestes geben. Hodgsons gesamtes emotionales Management zielte bisher auf diesen Druckabbau.

Das Verhältnis zwischen dem Trainerstab und den Spielern ist seit der Demission des überstrengen Fabio Capello auch sehr viel normaler geworden. Eiskalte Distanz war des Italieners Markenzeichen, sein Torwarttrainer nannte Torhüter Joe Hart angeblich hartnäckig "John". Nun sei ein Zusammenhalt spürbar, schrieb der Daily Telegraph, "Hodgson hat eine Kulturlücke geschlossen".

Der 64-jährige Nationaltrainer leitete am Tag vor der Abreise zum zweiten Gruppenspiel in der Ukraine hochvergnügt das Training in Fußballstiefeln, die aus Zeiten des Schwarz-Weiß-Fernsehens stammen könnten. Weder der galizische Dauerregen im brüchigen Hutnik-Stadion vor den Toren Krakaus noch der englische Spielermangel konnten ihm die Laune verderben; die komplette erste Mannschaft hatte sich nach einer Viertelstunde des Schwitzens schon wieder zu Massagen verabschiedet.

Hodgson erwägt jetzt, die in der Hitze besonders leidenden Routiniers Steven Gerrard, 32, und Scott Parker, 31 gegen die Ukraine zu schonen, doch dafür müssen erst einmal die traditionell unbequemen Schweden geschlagen werden. Welbeck, der voraussichtlich im Olympiastadion von Kiew ein weiteres Mal den Vorzug vor Andy Carroll von Newcastle United erhalten wird, weiß, dass man gegen die Skandinavier wohl mehr Fußball als beim Auftakt gegen Frankreich spielen muss.

"Wir müssen mehr Leute nach vorne bekommen und im letzten Drittel stärker sein", sagt er. Die entscheidende, die Wohlfühlatmosphäre in Krakau vermutlich nachhaltig beeinflussende Frage ist nun, ob der Konter- und Standardexperte Hodgson für diese Umstellung den Mut und auch den nötigen Matchplan mitbringt.

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